Anyone's Daughter / In Blau
In Blau Spielzeit: 62:01
Medium: CD
Label: Tempus Fugit/SPV, 2012 (1982)
Stil: Prog Rock


Review vom 29.12.2012


Steve Braun
"In Blau" oder "In Blue"? Der Titel war vor Produktionsbeginn klar, aber sollte in Englisch oder in Deutsch gesungen werden?? Diese Frage stellte sich Anyone's Daughter nach dem überraschend großen Erfolg von Piktor's Verwandlungen, der Vertonung einer Hermann Hesse-Erzählung. Ein klassischer Scheideweg... man entschied sich für das Letztere - eine Entscheidung, die man im Sinne des damaligen Zeitgeistes als konsequent bezeichnen muss. Und eine gute noch dazu! Es ist für einen Künstler immer leichter, sich in seiner Muttersprache auszudrücken. "In Blau" war ein weiterer Beweis gegen die These, dass die deutsche Zunge zu hart und ungelenk für Rockmusik sei.
Keine Sorge - 'blaue Töne' sind (auch) diesmal nicht von Anyone's Daughter zu erwarten. Vielmehr drückt sich in dem Titel die Sehnsucht und Melancholie aus, die eigentlich seit jeher durch die Musik der Schwaben transportiert wurde. Mit den deutschen Texten gesellte sich eine Lyrik hinzu, die nahtlos an "Piktors Verwandlungen" anzuschließen vermochte. Natürlich sind die Aussagen etwas naiv, aber - ehrlich gesagt - grün waren wir damals allesamt noch hinter den Ohren! Und so kann die Wiederbeschäftigung mit "In Blau" durchaus zu einem Eintauchen in die Geisterbahn der eigenen Vergangenheit werden...
Allerdings ein überaus vergnügliches Unterfangen, denn "In Blau" ist in jeder Hinsicht erfreulich und präsentiert Anyone's Daughter auf dem Höhepunkt ihrer Kreativität. Zu der magischen Lyrik der Texte, die allesamt aus der Feder des Bassisten und Sängers Harald Bareth stammen, gesellen sich kunstvoll drapierte Klangwelten, die überwiegend von Uwe Karpa und Matthias Ulmer gestaltet werden. Sie führen somit das konsequent fort, was die sich seinerzeit im Niedergang befindlichen Novalis begonnen hatten. Vielleicht sogar noch einen Tick besser als die Hamburger, was ich vor allem Bareths Gesang zuschreiben würde, der auf jegliche Theatralik verzichtet und sich stattdessen cremig und warm in das höchst melodische Gesamtkunstwerk einfügt. Dieses spannt den Bogen von ästhetischem Art Rock über camel'schen Melodic Rock bis hin zu unverhohlen jazzigen Passagen, für die vorwiegend der begnadete Keyboarder Matthias Ulmer sorgt.
Mit "Sonnenzeichen - Feuerzeichen" steigt man atmosphärisch in die Thematik 'In Blau' ein und steigert sich dann sehr feinsinnig in ein furioses Finale von Uwe Karpa - man wünscht sich fast, dass dieses nicht enden will! Akustische Gitarren und Grand Piano prägen zunächst "Für ein kleines Mädchen", das dann mit vertrackten Gitarren- und Pianofiguren in leicht jazzige Gefilde eintaucht. Mit "Nichts für mich" verband ich, untermalt von mächtigem Prog Rock, seinerzeit meine Beziehung zu einer ganz bestimmten Person und hat somit für mich einen sehr persönlichen Bezug:
»Keinen deiner Träume träume ich
Keinen deiner Wünsche teile ich mit dir
Nichts was du verschläfst versäume ich
Nichts für mich

Keines deiner Lieder singt in mir
Keines deiner Bilder lebt in meinem Herz
Keiner deiner Verse klingt in mir
Nichts für mich«
Das wunderbar eingängige "Nach diesem Tag" versuchten Jahre später die schwäbischen Kollegen aus Bietigheim-Bissingen immer wieder zu kopieren - zunächst zwar erfolgreicher als das Original, aber immer als Plagiat erkennbar!! Das Instrumental "La La" verbindet auf äußerst geschickte Weise progressive mit folkigen Klängen - und ist, wie das darauf folgende "Sonne", ein kleines Meisterwerk.

Höhepunkt - und hier wird's leider schon wieder persönlich - war und ist "Tanz und Tod". Die Thematik 'Abschiednehmen - Sterben' war seinerzeit für einen auf einer Pflegestation eines Altenheimes Zivildienstleistenden brandaktuell. Musikalisch wird das in einer atemberaubenden Intensität begleitet, die streckenweise an - im positiven Sinne - monströseste Genesis-Zeiten anzuschließen vermag. Nicht nur wegen der Piano- und Sprechgesangeinlagen hätten der Mittelteil, "Yaqui" betitelt, und die Einleitung des anschließenden "Tanz und Tod" auch problemlos auf "Piktor's Verwandlungen" erscheinen können. Ein beeindruckendes Stück deutscher Rockhistorie...
Auch die Live-Stücke sind à la bonne heure und selbstredend zusätzlicher Kaufanreiz, wobei das "Adonis"-Medley sicherlich den Vogel abschießt. Was Ulmer hier seiner Hammond entlockt, ist kaum von dieser Welt!
Man kann "In Blau" durchaus als das Meisterwerk Anyone's Daughters bezeichnen, zumal die Bandmitglieder dies in der Retrospektive - wie man den Liner-Notes entnehmen kann - ganz ähnlich sehen. Ich gehe allerdings noch ein Schrittchen weiter und bezeichne das Album als einen wahren Klassiker. Pflichtkauf!!
Line-up:
Uwe Karpa (elektrische und akustische Gitarren)
Matthias Ulmer (Tasteninstrumente, Gesang)
Peter Schmidt (Schlagzeug und Perkussion)
Harald Bareth (Gesang, Bass)
Tracklist
01:Sonnenzeichen - Feuerzeichen (5:20)
02:Für ein kleines Mädchen (5:22)
03:Nichts für mich (6:45)
04:Nach diesem Tag (4:13)
05:La La (3:10)
06:Sonne (4:30)
07:Tanz und Tod (15:12)
a) Der Begleiter
b)Yaqui
c)Tanz und Tod

Bonus:
08:Sonne/Adonis Medley [live in Ettlingen] (13:16)
09:Nach diesem Tag [live in Ettlingen] (4:13)
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