BAP / Zwesche Salzjebäck un Bier
Zwesche Salzjebäck un Bier Spielzeit: 46:27
Medium: CD
Label: EMI Electrola (Musikant), 1984
Stil: Deutsch-Rock


Review vom 14.12.2011

  
Sabine Feickert
Kurz vor meinem 18. Geburtstag fiel sie mir in die Hände – diese Kassette. Darauf war, wie damals so üblich, auf jeder Seite eine LP, sorgsam ausgesteuert und aufgenommen, eine handschriftliche Liste der Lieder dabei.
Abgespielt wurde sie im heimischen Kassettenrekorder oder in den Autoradios von Freunden, bei denen das Radio oft das Wertvollste an den vierrädrigen Gefährten war. In den alten Enten, Käfern, R4s oder gelegentlich (Luxus!!!) Opels oder VWs fuhren wir mit so vielen Leuten, wie in den Karren irgendwie unterzubringen waren, zu Theateraufführungen, Konzerten, ins Kino oder in Kneipen. Kürzere Strecken wurden politisch korrekt und den schmalen Schüler-/Studentengeldbeutel schonend, mit dem Fahrrad zurückgelegt. Um auch auf dem Drahtesel die passende musikalische Versorgung sicherzustellen, gab es den Walkman, Urgroßvater des iPod. Die Kopfhörer, noch mit Bügel überm Kopf und fetten Schaumstoffpolstern auf dem Ohr, wurden unter Kapuzen oder PLO-Schals versteckt, denn vorbeifahrenden Polizeikontrollen war diese Art der Beschallung ein Dorn im Auge.
Überhaupt die Polizei – sie war (zumindest in unseren Augen) allgegenwärtig in der BRD - wehe dem, der in der Schule diese Abkürzung verwendete, denn das war der DDR vorbehalten, die sie geprägt hatte.
Und nicht nur die Polizei, nein, »dä Verfassungsschutz es mittlerweile och he drinn doheim«, so sang Wolfgang Niedecken auf der einen Seite meiner Kassette. "Zwesche Salzjebäck und Bier" war DIE Verkörperung unseres Lebensgefühls. "WIR" waren der alternativen Szene zugehörig: friedensbewegt, frauenbewegt und hoch politisch interessiert.
Da passte es, dass Niedecken im "Bahnhofskino" mit seinem nachdenklich-melancholischen Sprechgesang prägende Figuren der Zeitgeschichte von Castaneda, Brecht über Einstein als Statisten nebeneinander »en nem Tunnel, dä "Zuflucht" heiß«, auftreten lässt. Genauso gingen unsere nächtelangen Diskussionen kreuz und quer und stellenweise auch nebeneinander her. Endzeitstimmung kommt auf, wenn die arbeitslosen Schutzengel mit todsicherem Revolver russisch Roulette spielen oder Einstein im Schatten der Bombe heult. Heute mag das übertrieben erscheinen, aber zu der Zeit war durch das Wettrüsten die Gefahr einer – womöglich aus Versehen ausgelösten – Apokalypse allgegenwärtig.
Auch der Ost-West-Konflikt und die deutsche Teilung hatten ihren Platz im Politrock. Für 1984 war eine BAP-Tour in der DDR geplant, es gab die Zusage, sie dürften spielen, was sie wollen. Im Vertrag war dann die Einschränkung zu lesen: "Die Künstleragentur der DDR behält sich Programmänderungen vor." Was dies im Detail bedeutet, erfuhr BAP bei einer Aufzeichnung für das DDR-Fernsehen. Ein Interview mit Wolfgang Niedecken und zwei unplugged gespielte Songs wurden sinnentstellend verkürzt. Dieser Zensur wollten sich die Kölner nicht beugen und verarbeiteten die Erfahrung in "Deshalv Spill' Mer He". Um genau diesen Song gab es kurz vor Tourstart eine so heftige Auseinandersetzung mit der Künstleragentur der DDR, dass schließlich die Tour abgebrochen wurde, noch bevor sie in Erichs Reich überhaupt begonnen hatte.
In der BRD war der Staat auf dem rechten Auge blind in jener Ära Zimmermann und Kohl und nicht nur BAP und die anderen linksorientierten Politrocker wie die 'macht kaputt, was Euch kaputt macht' Scherben, 'irgendwo in Deutschland' Wolf, der 'Monopoly-spielende' Klaus oder der 'Sonderzug-fahrende' Udo, waren hoch suspekt. Ob nun wirklich jeder spießig wirkende Konzertbesucher der V-Mann vom Verfassungsschutz war, sei dahingestellt, aber wir fühlten uns schon das ein oder andere Mal beobachtet.
Kein Wunder, dass Niedecken der Fee, die in "Drei Wünsch frei" aus der Bierdose aufsteigt, eine unverblümte Situationsschilderung abliefert, nicht aber seinen Wunsch verrät. Doch wenn er wortspielend die Kommerzialisierung anprangert »Do läuf jraad Werbung un dä Sprecher stöhnt, als jing ihm einer aff, dat Columbusei des Tages wööhr dä so'n' so Hoostesaff.« und über den Chor, »dä jet vun "Einigkeit und Freizeit" gröhlt.« als »Musik zur Jeisterstund« ätzt (für unsere jungen Leser: das Fernsehprogramm lief zu der Zeit noch nicht rund um die Uhr und zum Sendeschluss gegen Mitternacht wurde die Nationalhymne gespielt), die »Arbeitsplatzerhaltung en der Rüstungsindustrie« verurteilt und die 'Vorkriegszeit' des dritten Weltkriegs ausruft, dann braucht es nicht viel Phantasie, um seinen Wunsch zu erraten. Klaus 'Major' Heusers Gitarrenparts geben hier immer wieder die Gelegenheit, das Gesagte ohne weitere Worte Revue passieren zu lassen und wenn Niedecken sich in Rage singt, sägt der Major dazu.
Überhaupt – der Major: Niedecken und Major waren damals für BAP wie Jagger und Richards für die Stones und lieferten astreines Teamwork. In Songs wie "Alexandra, nit nur do" oder "Diss Naach ess alles drinn", die rockig und ein bisschen dreckig durchaus an das andere Dreamteam erinnern. Aber beide beherrschen auch den Blick aufs Detail, die Kleinigkeiten und leisen Töne, die mehr erzählen als so manche Beschreibungstirade. Und so haben sie auch Lieder geschrieben, die zeitlose Themen aufgreifen und erzählen.
"Sendeschluss" - um nur ein Beispiel rauszugreifen – verbildlicht eine Szene, die sich auch heute noch, trotz 7x24 Verfügbarkeit des TV, in den Wohnzimmern abspielt. Trostlosigkeit und Perspektivlosigkeit werden in der kleinen, nicht wirklich heilen Welt mit »Salzjebäck un Bier« runtergespült. Das sprachlose Nebeneinanderherleben der Eltern ist heute so aktuell wie damals in den 80ern. Und auch deren Tochter, die sich nach dem Spätfilm aus dem Haus schleicht und der Band in der Hoffnung auf einen Job und das Gefühl, gebraucht zu werden, nachtrampt, könnte ebensogut heute unterwegs sein. Genauso wie die verbitterte alte Frau in "Jojo", die ihren viel zu dicken Hund fest an der Leine hält, damit er ihr nicht auch noch wegläuft.
Ganz leise wird das Album abgeschlossen mit "Schloof Jung, schloof joot", dem Schlaflied für Niedeckens damals neugeborenen Sohn, das ganz zart und behutsam daherkommt.
Und nachdem die letzten Töne verklungen sind, hallt für mich noch eine ganze Weile eine nachdenkliche Stimmung nach...
So schlimm wie unsere apokalyptischen Phantasien es damals ausmalten, ist die Welt ja gar nicht geworden. Die große Angst vor dem dritten Weltkrieg ist für meine Kinder kein Thema. Überwachung dafür durchaus, in der Dimension ganz sicher heute viel stärker als damals Mitte der 80er Jahre. Waren seinerzeit kameraüberwachte Plätze noch die große Ausnahme, so gehören diese heute zum Alltag und vermitteln oftmals sogar ein Gefühl der 'Sicherheit'. Die Bedrohung durch Atomkraft ist geblieben, Tschernobyl grüßt Fukushima. Vieles ist anders geworden und doch gibt es das "Bahnhofskino" noch. Dort läuft vielleicht heute ein anderer Film mit anderen Akteuren und ganz bestimmt in 3D. Schneller, brutaler, bunter! Doch danach 'jiltet' es und am Wochenende wird einer draufgemacht, während daheim die Mutter zwischen "Salzjebäck un Bier" einschläft, auch ohne Sendeschluss. Oder Reviews für RockTimes schreibt und sich immer noch nicht so sicher ist, ob dieses Album von den Stimmungen, die es vermittelt, nicht doch heute so aktuell ist wie damals.
Line-up:
Wolfgang Niedecken (Gesang, Gitarre)
Klaus Heuser (Gesang, Gitarre)
Steve Borg (Bass)
Jan Dix (Schlagzeug)
Manfred Boecker (Percussion, Gesang)
Alexander Büchel (Keyboard)
Hans Wollrath (Toningenieur)
Tracklist
01:Bahnhofskino
02:Drei Wünsch frei
03:Diss Naach ess alles drinn
04:Sendeschluss
05:Alexandra, nit nur do
06:Jojo
07:Zofall un e janz klei' bessje Glöck
08:Deshalv spill' mer he
09:Schloof Jung, schloof joot
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