Birth Control / Live
Live Spielzeit: 70:09
Medium: CD
Label: Trick Music (Green Tree Records), 1995 (1974)
Stil: Krautrock


Review vom 10.12.2006


Jürgen Bauerochse
Was sagen uns die folgenden Fakten?
- Doppel LP (CD) mit über 70 Minuten Laufzeit
- Trackliste besteht aus lediglich fünf Songs mit einer Länge zwischen 5:42 und 20:47 Minuten
- mitgeschnitten im Jahr 1974
- auf dem Cover eröffnen vier langhaarige, mit Hüten bekleidete Typen aus einem alten Mercedes heraus das Feuer mit Handfeuerwaffen auf einen Kinderwagen.
Na, rausgekriegt? - Richtig! Bei dieser CD handelt es sich um eines, wenn nicht dem besten Live-Album, das der sogenannte Krautrock je hervorgebracht hat. Schlicht und einfach "Live" betitelt, halte ich das definitive Meisterwerk von Birth Control in den Händen. Obwohl die Band bis heute immer wieder sehr gute Alben und faszinierende Konzerte zustande bringt, ist dieser Longplayer das Non Plus Ultra der deutschen Rockmusik-Szene.
Ich hatte das Glück die Band um Bernd 'Nossi' Noske während dieser Tour live erleben zu dürfen. Und das ist, obwohl inzwischen 32 Jahre her, immer noch eines meiner persönlichen Konzerthighlights.
Noch stärker ist aber, was die Produzentenlegende Dieter Dierks aus diesen mit einem mobilen Studio aufgezeichneten Titeln gemacht hat. Ein schier unglaublich klarer Sound, der jede noch so kleine Feinheit während des Gigs rüber bringt, ist hier gepaart mit total authentischen Publikumsreaktionen. Ganz unverfälscht wird die Stimmung im jeweiligen Saal eingefangen. Es gibt bis heute kaum Live-Alben, die so einen Sound bieten können.
Maßgeblichen Anteil am gelingen dieser CD hat natürlich auch die Band selbst. Neben Noske gab der unvergessene Bruno Frenzel († 21.09.1983) hier den Ton an. Er war Gründungsmitglied von Birth Control und auch für den Großteil des Songwritings zuständig. Keyboarder Bernd 'Zeus' Held und Bassist Peter Föller vervollständigten dieses wohl stärkste Line-up der Band, das es je gegeben hat.
Kommen wir zur Musik. Kurzes Orgel Intro, unterstützt von einer kleinen Beckenorgie, kurzes Anzählen, und "The Work Is Done" ist auf den Weg gebracht. Bis heute gehört der Song mit seinem eindringlichen "Gimme Shelter" Refrain zum Programm der Band. Kurze Soloeinlagen an Gitarre und Orgel, und dann folgt ein Saxofonspiel von Bernd Held in schönster Jazzrock-Manier. Dazu kommt der Tieftöner unheimlich wuchtig aus den Boxen. Nach ca. drei Minuten ist der Spuk vorbei, und Nossi trommelt sich schon mal warm. Brunos Gitarre jubelt die Fans in unglaubliche Sphären hoch. Kaum ist diese Soundorgie vorbei, folgt ein wunderschönes ruhiges Zwischenspiel. Diese Hammond- und E-Piano-Klänge sind einfach unbeschreiblich. Wie im Fluge sind knapp 17 Minuten zu Ende.
Knochentrocken folgt "Back From Hell". Schwere Orgelriffs werden ergänzt von einem stimmlichen Zwiegespräch von Noske und Föller. Wieder hebt Bruno Frenzel förmlich ab und liefert sich intensive Duelle mit Zeus an der Hammond B3. Maschinengewehrmäßig feuern Drums und Bass dazwischen. Als sich alle Musiker ausgetobt haben, ist Nossi auf Betriebstemperatur und vermöbelt seine Schießbude nach Strich und Faden. Ich kann mich noch gut erinnern, dass die Band das Solo zu viert am Schlagzeug beendete. Wer das nicht mit eigenen Augen gesehen hat, der kann es einfach nicht glauben.
Kommen wir nun zu dem Song von Birth Control. "Gamma Ray" setzte der Band ein ewiges Denkmal in der Rockmusikgeschichte. Es gab in den Siebzigern wohl keinen einzigen Laden, in dem dieses Meisterwerk nicht mindestens einmal am Abend gespielt wurde.
Nach gut fünf Minuten dreht Bruno Frenzel bei seinem Solopart gewaltig auf und entfacht ein wahres Soundgewitter. Als er sich so richtig verausgabt hat, steht der legendäre Percussionteil an. An allen Ecken und Kanten rasselt, zischt und klopft es. Die Bühne scheint nur so zu brodeln. Orgel und Gitarre begeben sich in ein intensives Zwiegespäch, und schließlich duelliert sich Nossis Stimme mit Brunos Brett. Kurze Rückkehr zum Grundthema, bevor die Bandmitglieder vocalistisch und a capella gegeneinander antreten. Es folgt noch ein Solo an Orgel und Piano, und der Song ist zu Ende. Nach diesen zwanzig Minuten kann man sich nur noch völlig geschafft im Sessel zurücklehnen.
"She's Got Nothing On You" treibt ohne Schnörkel nur nach vorne. Wieder ist Peter Föller zusammen mit Nossi für die Vocal-Parts zuständig.
Doch auch jetzt ist es noch nicht genug. Elf Minuten lang gibt es zum Abschluss noch puren Rock'n'Roll auf die Ohren. "Long Tall Sally" raubt jedem Hörer die letzten Kräfte. Mittendrin ein sehr schönes Mundharmonika-Solo, bevor Bruno Frenzel und Bernd Noske noch mal das Letzte aus ihren Instrumenten herausholen.
Wer dieses Jahrhundertwerk der Rockmusik nicht zuhause im Regal hat, der ist selber schuld. Diese Scheibe ist einfach ein Pflichtkauf für jeden Fan der handgemachten Musik.
Line-up:
Bernd Noske (Vocals, Drums)
Bruno Frenzel (Guitar)
Peter Föller (Bass, Vocals)
Bernd Held (Keyboards, Saxofon, Harmonika)
Tracklist
01:The Work Is Done (16:51)
02:Back From Hell (15:40)
03:Gamma Ray (20:47)
04:She's Got Nothing On You (5:42)
05:Long Tall Sally (11:07)
Externe Links: