Blonde On Blonde / Rebirth
Rebirth Spielzeit: 45:34
Medium: CD
Label: Pye Records, 1970
Stil: Progressive Rock


Review vom 14.12.2012

  
Grit Marina Müller
"I Want You", "Rainy Day Women", "Most Likely You Go Your Way And I'll Go Mine"... Bob Dylans schillernde, der mitunter verhängnisvollen Weiblichkeit huldigende Referenz "Blonde On Blonde" legt bis heute Generationen in Ketten. Nicht wenige seiner Gefangenen machten aus der Not eine Tugend und forcierten schon früh die gewissermaßen befreiende Gegenmaßnahme 'Occupy Dylan'. Zahllose blondierte Adaptionen und Inspirationen zeugen von der flammenden Bewegung, die der Folkpoet des 20. Jahrhunderts angefacht hatte und seither unauslöschlich brennen und gedeihen lässt. Echten Mut aber bewiesen vier Waliser, die ihre Band schlicht und direkt nach des Meisters haarmythologischem Essay mystique benannten.
Blonde On Blonde erwachten 1967 in Newport, gegründet von den Gitarristen Gareth Johnson und Ralph Denyer. Schlagzeuger Les Hicks sowie Richard Hopkins, virtuoser Tasten-Wizard und Bassist komplettieren das Quartett, das 1969 sein sehr empfehlenswertes, unerhört vielseitiges und selbstbewusstes Debüt "Contrasts" auf dem britischen Label Pye Records veröffentlichte.
Blonde On Blondes facettenreiches Kontrastprogramm aus psychedelischen Elementen, pittoreskem Paisley-Folk, temporeichem harten elektrischen Rock und einer nicht zuletzt erstaunlich routinierten wie anspruchsvollen Live-Performance beeindruckte die einschlägige Szene und verschaffte dem ambitionierten Dylan-Experiment begehrte Auftritte u. a. als Tour-Support für Jefferson Airplane und bei der Erstauflage des legendären Isle Of Wight-Festivals, wo die Multistylisten vor dem größten Publikum ihrer nur allzu kurzen Laufbahn spielen sollten.
"Contrasts" setzte den Maßstab, änderte aber die Zielrichtungen der Bandmitglieder. Ralph Denyer verließ Blonde On Blonde, formierte ein länger gehegtes Wunschprojekt namens Aquila und wurde von seinem Schulfreund David Thomas, einem glockenklaren Gesangs-Ingenieur von hypnotischer Präzision, wie sich herausstellen sollte, ersetzt. Später würde auch Richard Hopkins die Band-Haarfarbe wechseln, ließ jedoch zunächst noch Blonde On Blondes fundamentale Wiedergeburt "Rebirth" erstrahlen, eine der sagenhaften Initialzündungen im gerade explosionsartig entspringenden Art und Progressive Rock.
Gleich der himmlische Opener "Castles In The Sky" schwebt in hellblauen Regionen und baut fantastisch ausgearbeitete Luftschlösser im Stile einer epochalen Moody Blues-Hymne, Sternzeit 1969. Sehnsüchtig beschwört "Heart Without A Home", hastet im packenden Wettlauf mit dem brillanten "Time Is Passing" der warnenden, unaufhaltsam verrinnenden Sanduhr des Lebens davon, die schon "Broken Hours" so anschaulich vor dem geistigen Auge des Hörers platziert.
Trocken und martialisch treibende Drums fundieren die philosophische Metaphorik à la Blonde, drängen durch weit ausholende, einschneidend klar definierte Gitarrenlinien, berauscht vom Echo wunderbar weltferner Pianoläufe. Über allem thront die außerirdische, beinah opernhafte Stimme des blutjungen, achtzehnjährigen Dave Thomas, der einen popuniversal gefeierten Scott Walker mühelos souverän im Schatten verblassen lässt.
Blonde On Blondes einzigartige, elementare Soundstruktur durchzieht "Rebirth" konzeptionell bis hin zu den aufregend dramatischen Progressive-Abenteuern "Circles" und dem zwölfminütigen "Colour Questions". Voller atemloser Tempowechsel, abgrundtiefer melodiöser Schluchten, filigraner feinakustischer Siencen, bombastischer Materialschlachten und artistisch aufeinander getürmter thematischer Gebirge manifestieren die walisischen Musterknaben eindrücklich, wie man aus der Hälfte heute einsetzbarer technischer Mittel doppelt effektvolle Klangwunder zaubert.
Anmutig erdet Dave Thomas im finalen Resümee "You'll Never Know Me" die grandiose Reinkarnation der noblen Dylan-Imagination Blonde On Blonde. Unerwehrbar fesselt die malerische pianistische Endlosschleife dieser Offenbarung und gleitet in eine majestätische Schlusssequenz bildhafter Ewigkeit.
Glänzende Kritiken, Ansehen in erlauchten Insider-Kreisen, respektable Plattenverkäufe - einen durchschlagenden Erfolg erzielten die Prog-Visionäre rätselhafter Weise dennoch nicht. Ein vielleicht anderer Moment... eine mögliche Schlüsselbegegnung... und die Anfrage des bedeutend großen C-Labels, das schon Dylan zum großen Ruhm verhalf... Ja, die gab es in der Tat, wie mir Dave Thomas im privaten Interview lächelnd gelassen und doch etwas wehmütig verriet. Alles hätte ganz anders kommen können...
So aber blickten die bemerkenswert talentierten Briten bereits 1971 in ihrem dritten und letzten Album "Reflections On A Life" zurück auf Blonde On Blondes hellen Schein im lichtintensiven, innovativen Kosmos des Golden Age of Rock'n'Roll. Und wie so viele fast vergessener Perlen wird auch dieses Juwel nach Jahrzehnten aus den analogen Tiefen unschätzbarer Rock-Archive ans Tageslicht unseres medial hochperfektionierten Zeitalters gehoben, um tatsächlich, makellos und für immer wiedergeboren zu werden.
Line-up:
Gareth Johnson (sitar, lead guitar, lute, electronic effects)
Richard Hopkins (bass, keyboards)
David Thomas (vocals, guitar, bass)
Les Hicks (drums, percussion)
Tracklist
01:Castles Im The Sky
02:Broken Hours
03:Heart Without A Home
04:Time Is Passing
05:Circles
06:November
07:Colour Questions
08:You'll Never Know Me
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