Brainticket / Cottonwoodhill
Cottonwoodhill Spielzeit: 34:00
Medium: CD
Label: Cleopatra Records, 2013 (Hallelujah, 1971)
Stil: Psychedelic, Progressive


Review vom 20.07.2013


Ulli Heiser
Man legt die CD in den Player und ohne Vorspiel, ohne Vorwarnung, ohne jedwedes Gimmick treibt der "Black Sand". Er treibt, er verschlingt alles. Er verschlingt dich. Mächtige Orgelwellen rollen, scharfe Gitarrenlicks schneiden den Weg frei. Und der Sand kann weiterollen. Und er rollt. Und wie er rollt ...
»Brainticket ... wenn es einen Wettbewerb gäbe, welche Band das abgefahrenste Album ihr eigen nennen darf, dann wäre das 1971er Debütalbum "Cottonwoodhill" aber so was von ganz weit vorne mit dabei. Ach was sage ich, es gibt im psychedelischen Bereich mit Sicherheit keinen Trip, der es mit diesem Album aufnehmen kann.« Das schrieb ich vor ein paar Jahren im Review zu Braintickets Psychonaut & Celestial Ocean
Mastermind Joël Vandroogenbroeck wechselte sehr früh von klassischem Pianospiel zum Jazz und wurde als 15-Jähriger mit dem Art Tatum Preis als jüngster Jazzpianist geehrt. Der Belgier war als Jazzer unterwegs und zog 1962 in die Schweiz, wo er sich dem Rock widmete. Die Zeiten des Flower Power, der Hippies brach an. Neue Musik aus Amerika und England wälzte sich auch über die beschauliche Schweiz. Joël sog sie auf: Hendrix (»Hey Joe knocked me out«) oder der
Yellow Submarine-Soundtrack (»Knocked me out again«) zum Beispiel.
Für Vandroogenbroeck hatte sich damit nicht nur die musikalische Welt auf einen Schlag verändert. Er wollte daran teilhaben und suchte Mitstreiter. In dem Gitarristen Ron Bryer fand er den ersten. Der brachte King Crimsons "In The Court Of The Crimson King" und "Electric Ladyland" von Hendrix mit. Die RockTimes-Leser werden mir zustimmen: Zwei absolute Meilensteine der Rockgeschichte. Als Basser stieß Wolfgang Paap dazu und als Third Eclipse rockte man in klassischer Triobesetzung.
Weitere musikalische Einflüsse waren dann ELP, Tull oder auch die Stones. Ihre Musik fand allerdings kaum Bewunderer. Joël meinte, dass fast niemand verstand, was sie musikalisch wollten. Ein neu gegründetes Label nahm die Band unter die Fittiche, stockte das Line-up auf, aber auch das brachte keinen Erfolg. Die Zeit schien noch nicht reif für "Black Sand". Allerdings wuchsen die Musiker auch spirituell zusammen. Sie 'erforschten' bei Kerzenlicht mit akustischen Instrumenten die Musik der Naturvölker. Ein Major-Label sollte her, aber die Leute verstanden die Musik immer noch nicht. Die Band hing durch, Vandroogenbroeck selbst hatte nach eigener Aussage seine Karten in der Jazz-Szene verspielt und musste um leben zu können, als Tankwart arbeiten. Dabei sagte Vandroogenbroeck über "Cottonwoodhill" - und da gebe ich ihm uneingeschränkt recht - »Something magical happened, I cannot explain, but a unique masterpiece was born, and it would be impossible to recreate.«.
Die Plattenfirma brachte Aufkleber an. Das Album zierten Aussagen wie »After listening to this disc, your friends won't know you anymore« oder »Only listen once a day to this disc. Your brain may be destroyed«. Die Musiker wurden darüber nicht informiert, sondern erfuhren es aus dem Radio, als DJs behaupteten, die Musik sei ein Trip, ein schlechter Trip. Daraufhin entdeckten sie im Plattenladen die Aufkleber. Die Band stand in einigen Ländern auf dem Index, die Schweizer Behörden schalteten sich ein, und wies die »drug addicts« aus. Auf Konzerten soll LSD ins Publikum geworfen worden sein. Auch heute noch finden sich im Netz Texte die behaupten, das Album wäre ein musikalischer LSD-Trip. Man könnte es glauben, denn die Musik ist über Strecken sehr weit weg vom damals Üblichen. In Deutschland dagegen war das Album ein Erfolg. Gerade die Warnaufdrucke haben mich seinerzeit zum Kauf animiert. Das machte mächtig neugierig. In Verbindung mit dem Cover und dem Bandnamen waren die 'Warnungen' ein extremer Kaufanreiz. Und in der Tat konnte man mit dem Album seine Freunde überraschen. Es gab nur zwei Möglichkeiten: man mag es, oder man mag es nicht. Daran hat sich auch bis heute nichts geändert. Ich liebe es!
Den falschen Propheten folgend war "Cottonwoodhill" auch für mich eine musikalische Drogenreise. So musste es sein, wenn man auf LSD war. Gottlob habe ich nie verifiziert, ob das so ist. Die Musik allein war und ist Stimulanz, um das ticket fürs brain zu lösen und zu 'verreisen'. "Cottonwoodhill" wird von mir in zwei Teile gesplittet. Das bereits erwähnte "Black Sand" ist eine unheimlich nach vorne treibende Macht. Unterschwellig mit einem funkigen Rhythmus ausgestattet, rollt diese Walze einfach so los und der repetative Grundtenor zieht sich fast durch die gesamte Platte. "Places Of Light" ist anders. Da ist auch dieser soulige, funkige Touch. Aber sehr zurückgenommen. Jazzige Texturen legen sich darüber und wenn sich Dawn Muirs hocherotische, verzerrte Stimme mit den gewaltigen Orgelwellen paart, dann ist das ganz großes Kino. Hinzu kommt die Flöte, deren Spiel eine folk-psychedelische Komponente addiert. Das ist in der Tat meisterlich.
'Mein' Teil zwei von "Cottonwoodhill" sind dann die beiden "Brainticket Parts". Der "Black Sand" rollt wieder irgendwie, aber nun wird es ernst und sowohl Kleingeister als auch die Drogenwächter haben ihr Futter. Zu sehr weicht das nun Gehörte ab vom Standard. Presslufthammer, Affengebrüll, Krankenwagensirene, splitterndes Glas, eine extatische Dawn Muir, ein alles ausprobierender Hillmuth Klobe, ein urplötzlich ins Geschehen geworfenes Fragment aus Beethovens "5ter" usw. Schwerer Tobak, aber wenn man sich einmal eingepegelt hat, dann treibt man einfach mit...
Ja, es gibt nur zwei Möglichkeiten. Für mich ist "Cottonwoodhill" ein Klassiker, den ich nicht missen möchte.
Line-up:
Joël Vandroogenbroeck (organ, flute)
Ron Bryer (guitar)
Werni Frolich (bass)
Cosmo Lampis (drums)
Wolfgang Paap (tablar)
Dawn Muir (voice)
Hillmuth Klobe (potentiometers, generators and sound effects)
Tracklist
01:Black Sand
02:Places Of Light
03:Brainticket Part I
04:Brainticket Part II
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