The Graham Bond Organization / The Sound Of 65
The Sound Of 65 Spielzeit: 56:00
Medium: CD
Label: Columbia Records, 1965
Stil: Rhythm & Blues


Review vom 13.12.2010

  
Grit-Marina Müller
»So ungefähr stellt man sich einen Axtmörder vor...« ...lautet der bestbewertete Kommentar eines YouTube-Videos von Graham Bond... »aber einer, den man jederzeit wagemutig in sein Wohnzimmer einladen würde, um zu sagen: 'play this stuff for me all night!'« ...pointiert das verzückte Bond-Opfer...
In der Tat ist das Mysterium des Mr. Bond eines der ganz besonderen Art. 1937 in Romford/Essex geboren, sollte die dank ihres etwas eigentümlich finsteren Angesichts vermeintlich 'düstere Gestalt der Londoner Halbwelt' in den Sechzigern zur prägenden Schlüsselfigur und einem der wichtigsten Drahtzieher im Hintergrund der brandheißen British Blues Explosion des revolutionären Jahrzehnts avancieren. Seit frühester Jugend in verschiedenen Band-Konstellationen unterwegs, erspielte sich Bond ein aufmerksames Publikum und wurde bereits 1961 vom Melody Maker nach einer Umfrage mit dem zweitbesten Voting in der "New Star"-Kategorie auf die glatt gelegte Erfolgs-Spur geleitet.
Im Jahr 1963 dann aus dem Dunstkreis von Alexis Korner als magisch intuitiv zusammengefügtes Ensemble namhaftester Schwergewichte hervorgegangen, gab The Graham Bond Organization den Weg frei für die bis heute unumstrittene Supergroup der Geburtsstunde des Heavy Rock - Cream. Zuvor jedoch erarbeiteten die späteren Akteure jener Glanz-Formation, Jack Bruce und
Ginger Baker, unter Federführung ihres unheimlichen Visionärs Bond einen meisterlichen 'Erstschlag', der nichts Geringeres als die Definition des "Sound Of 65" für sich beansprucht. -
Eine wütend akzentuierte Definition, die granatenweise Genre-Grenzen sprengt, radikal mit quälend lähmenden Konventionen bricht und mit Rock-konventionellen Line-ups! - Wozu zum Teufel braucht man eigentlich eine Lead Guitar?! Das muss sich nicht nur John McLaughlin gefragt haben, als er die Band kurz nach ihrer Gründung schon wieder verließ. Die Antwort der Bond-Verschwörung fliegt den ewig Gestrigen um so donnernder um die verblüfften Ohren: dr, b, org, sax, basta! Bonds urgewaltiges Kern-Kraftwerk erzeugt mit diesen Brennstäben ein Energievolumen von so ungeheurem, umweltfreundlichem Potenzial, dass sich Laufzeitdiskussionen der aktuellen Art vollständig erübrigen.
Komplettiert wird die Organization durch Dick Heckstall Smith, dem wohl herausragendsten aller Sax-Tenöre im Blues Rock-Universum. Bonds Organisatoren, allesamt maßgeblich im Jazz verhaftet, sind rhythmische Spitzen-Regisseure, die auf ihrem Studio-Debüt ein konzertantes Feuerwerk fabelhafter, kongenialer R&B-Sachkenntnis entfachen. Chefdramaturg Graham Bond zeichnet für fünf der 14 Kompositionen selbst verantwortlich.
Das Rhythm & Blues-Lehrbuch startet mit einer Bond-entworfenen Rekonstruktion von Willie Dixons "Hoochie Coochie Man" und verschafft dem R&B-Geheimagenten G. B. nach der eindringlichen Warnung "Neighbour Neighbour" allen nötigen Respekt vor der gewünschten Anonymität. Die Eigenkreation "Spanish Blues" bewegt sich gleich über die volle Distanz und hebt die markanten musikalischen Charaktere der vier hier agierenden außergewöhnlichen Individuen in ihrem beeindruckend vollkommen ineinandergreifenden Zahnradgetriebe hervor.
Traditionell und fachlich präzise verflüssigt wird "Wade In The Water", das jedes Horrorszenario in einem der unverwüstlichen Edgar Wallace-Kultstreifen perfekt untermalen würde und als nächstes Paradebeispiel für die artistischen Hochseilakte der Bond-Truppe steht. Heckstall-Smiths brillierend virtuose Sax-Orgien rangieren sich ungemein elegant und makellos in die spannendst gefahrenen, diffizil verlaufenden Tempo-Strecken von Bakers und Bruce' knallharten Beat-Attacken. Synchron schneidet Graham Bond seine manischen Hammond-Linien in hysterischer Herrlichkeit wie ultrascharfe Wilkinson-Swords zwischen das mächtige Rhythmus-Bollwerk.
Neben der Organ nutzt Bond ein weiteres Organ. - Und hier kommt sie tatsächlich zum Einsatz - die Axt, mit der der Mad Man Ton-ähnliche Gebilde aus dem soliden Hartholz einer tief gewachsenen, inneren deutschen Eiche hackt und das scheinbar tonnenschwere Klanggut archaisch durch die Kehle nach oben zum Licht der Welt wuchtet. Das, was er da hervorbringt, lässt einen erschauern und erstarren. Nicht nur beim Klassiker "Got My Mojo Working" gelingt es cruel Graham, sein ganzes schmerzerfülltes Unglück mit dem enttäuschenden Glücksbringer herauszuschreien, als würde ihm die Haut bei lebendigem Leib abgezogen.
Diese Authentizität kann der überaus glaubwürdig furchterregende Darsteller in zahllosen 'Rollen' mühelos unter Beweis stellen. Wenn Graham Bond Sound-Thriller-Beispiel Nr. 8 titels "I Want You" zu verstehen gibt, klingt das weniger nach einer flehentlichen Liebeserklärung an die künftige Mrs. Bond als viel mehr nach der sehr unmissverständlichen, ultimativen Aufforderung eines zwielichtigen Gläubigers aus dem Nebel von Soho, dem man noch eine Summe im fünfstelligen Bereich schuldet.
Rasante, todsicher taktierte High-Speed-Schocks kriegt der ohnehin schon erschütterte Hörer in Stücken wie "Oh Baby", "Train Time" (Vorläufer der Cream-Version) und "Baby Be Good To Me" verabreicht. - Stromstöße, die speziell Creams zukünftige Beat-Sektion konzentriert erbarmungslos in die kleinsten, feinsten Nervenenden jagt. Zwanghafte, unkontrollierbare Zuckungen sind selbstverständliche Begleiterscheinungen dieser 'Behandlung' und haben suchtfördernde Nachwirkungen zur sehnlichst erwünschten Folge.
Einen Gang runter schaltet die Gang der Verrückten in der halben Geschwindigkeit von "Half A Man" und das furiose Klangwerk endet schließlich mit der überraschenden, anmutsvollen Ballade "Tammy". "The Sound Of 65" hat einen massiven, hoch substanziellen, in seiner Bedeutung nicht zu unterschätzenden Meilenstein der Geschichte am majestätischen, schimmernd asphaltierten Motorway des britischen Rhythm & Blues aufgestellt - ein wahres Monument, das auch nach unglaublichen 45 Jahren nichts von seiner einst richtungsweisenden, immensen Strahlkraft verloren hat.
Noch im Spätherbst 1965 vollführte die famose Vier-Mann-Big-Band ihren zweiten Genie-Streich unter der schöngeistig-wortspielerischen Überschrift "There's A Bond Between Us", bevor Chef-Organisator Bond in den darauffolgenden Jahren mehrere eigene Produktionen veröffentlichte. Fast unbemerkt ist der ursprüngliche Jazz-Saxofonist und anerkannte Hammond-Pionier wie aus dem 'Untergrund' erschienen - tragisch und viel zu früh verschwand Graham Bond 1974 im Dunkel des Londoner Untergrunds…
Line-up:
Graham Bond (vocals, organ, alto saxophone)
Ginger Baker (drums)
Jack Bruce (bass guitar, double bass, lead and backing vocals)
Dick Heckstall-Smith (tenor saxophone)
Tracklist
01:Hoochie Coochie Man
02:Baby Make Love To Me
03:Neighbour Neighbour
04:Early In The Morning
05:Spanish Blues
06:Oh Baby
07:Little Girl
08:I Want You
09:Wade In The Water
10:Go My Mojo Working
11:Train Time
12:Baby Be Good To Me
13:Half A Man
14:Tammy
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