Caravan / Same
Caravan Spielzeit: 35:28
Medium: CD
Label: MGM/Verve 1968
Stil: Progressive Rock


Review vom 22.12.2011

  
Grit-Marina Müller
Verträumte, malerische Coastline, umgeben von der ungeschliffenen Poesie erhabener landschaftlicher Urtümlichkeit, imposante Jahrtausend-Architektur, die - fast beiläufig erwähnt - dem Selbstverständnis des ranghohen Status Weltkulturerbe gereicht... Liest man einschlägige Reiseführer, weiß Canterbury mit eben diesen vorzüglichen Empfehlungen aufzuwarten. Noch interessanter darüber hinaus aber lässt den zweifellos anziehenden Touristenmagneten Südenglands eine einzigartige Hörenswürdigkeit erscheinen: die fabulöse Zukunftsmusik des Canterbury Sound - Prog-Avantgarde par excellence, geboren im Herzen der einmal mehr als wegweisend zu bezeichnenden Sechziger des vergangenen Jahrhunderts.
Das rockhistorische Monument dieser extraordinären, eigenwillig vervollkommneten Stilblüte repräsentieren durch ihre Mitglieder ineinander verwobene Bands namens Soft Machine, Camel, The Wilde Flowers, Gong oder Whole World und die hier im Mittelpunkt stehenden Caravan. Pye Hastings und Richard Coughlan erfanden ihr neues Canterbury-Projekt 1968 in jener frühen Vision des kühnen, Grenzen sprengenden Progressive Rock. Ihr noch verhalten beachtetes, in meinen Ohren und Augen jedoch umso glanzvoller und äußerst charakteristisch geformtes, gleichnamiges Debüt-Album veröffentlichten Caravan im selben Jahr mit dem wunderbar szenischen Cover der traumverlorenen, gedankenversunkenen Konterfeis seiner passionierten Protagonisten.
Voluminös entfaltet sich die Ouvertüre des herausragenden Präzedenz-Werks und ersehnt den imaginären Zielort der lebensbestimmenden Suche nach Identität. "Place Of My Own" manifestiert sich als massives Statement der Grundsätzlichkeit, dominiert vom obsessiven Klangwahnsinn der Majestät unter den Instrumenten, macht- und kraftvoll zelebriert, gleich einer feierlich gehaltenen Messe in Canterbury Cathedral, einer der ältesten in England überhaupt. Voller Dramatik und leiser rhythmischer Hochspannung setzt sich "Ride" in Gang, fährt geschmeidig melodiöse Kurven und driftet mit souveräner Gelassenheit in sein launig apart verjazztes Fun-Finish, ausgelebt von Pye Hastings unverkennbarem Gesang sanftester Andeutung, eingehüllt in die ehrerbietenden 'organ'ischen Schallwellen des meisterhaften David Sinclair.
"Love Song With Flute" drückt in denkbar einfachen Worten aus, was dieses spezielle Liebeslied in reizvollster Verführung, unbändiger verspielter Romantik auf den Flügeln buchstäblich höchster Flötentöne durch die Lüfte trägt, mitreißt im Sog schwebender Leichtigkeit und virtuoser Perfektion einer raffinierten Komposition von klassischem Niveau.
Ha! "Cecil Rons" schockt den gebannten Caravan-Entdecker nach dem stürmischen Hauch von Liebe gehörig. Bis ins Mark erschüttern die Dissonanzen in diesem surrealen, audiopsychedelischen Film Noir. Hier offenbaren die englischen Sound-Doktoren ihre ganze intellektuelle Bandbreite experimentierfreudiger Rock-Forschung. Und wieder rückt die Königin der Instrumente ins Zentrum eines irrwitzigen Ton-Gebildes, kreischt durch stattliche Oktaven, rast, schreckt, schüttelt die ohnehin zitternden Knochen im Leib. Der interpretatorischen Fantasie im Fall des unheimlichen Cecil seien überdies keine Grenzen gesetzt! Man mag den parawissenschaftlichen Erläuterungen von "Grandma's Lawn" folgen und/oder seine Konfusion komplettieren, um schließlich den Kopf in tiefst-verwirrter Ergriffenheit zu senken.
Ganz und gar harmonisch, beinah versöhnlich brillieren Caravan wiederum beim unerhört verzaubernden "Magic Man", das im wahrsten Sinne des Wortes die Magie ihrer künstlerischen Idee in die höheren Sphären inspirativer Grenzenlosigkeit erhebt. Das Grand Finale als etwas kryptische, aber charmante wie selbstbewusste Sinnfrage "Where But For Caravan Would I?" versieht die unbestreitbare Größe und Bedeutung der detailvernarrten Prog-Pioniere mit einem letzten bestechenden Ausrufezeichen für die nobelste Umsetzung genussvoller, kompromissloser Eigenständigkeit.
In den nächsten Jahren sollten Caravan mit anerkannten Alben wie "If I Could Do It All Over Again, I'd Do It All Over You", "In The Land Of Grey And Pink" oder "Waterloo Lily" zu Ruhm und Ehre gelangen. Dennoch haben die Briten in ihrer gewachsenen, gewiss anspruchsvollen progressiven Stilistik einen nicht unwesentlichen Teil einstiger Unbekümmertheit, Ursprünglichkeit und vielleicht sogar innerer Geschlossenheit hinter sich gelassen. Ihr Debüt aber tanzen Caravan auf den kilometerhohen Wolken euphorischer Selbstvergessenheit, bar jeder Restriktion, erfolgstaktischer Manöver und täuschender Finessen, jung, anmutig, rein und unverfälscht.
»Now I'm here, please make yourself at home
Climb inside our fire
Can you see that you never were alone
And your world is getting higher?
We'll take time to play for you now
So fly into my eye«
»We'll take our time flyin', we'll take our time
We need your mind to be flyin', we need your mind
Tell me if there's anything that you need
We'll find you another dream…«
Caravan - Canterbury at its finest.
Line-up:
Pye Hastings (guitar, vocals)
David Sinclair (keyboards)
Richard Sinclair (bass, vocals)
Richard Coughlan (drums)
Tracklist
01:Place Of My Own
02:Ride
03:Policeman
04:Love Song With Flute
05:Cecil Rons
06:Magic Man
07:Grandma's Lawn
08:Where But For Caravan Would I?
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