Colosseum Live
(Reissue)
Colosseum Live Spielzeit: 74:40
Medium: CD (Remastered)
Label: Castle Communications, 1998 (Bronze 1971)
Stil: Prog/Art/Jazz/Fusion-Rock, Blues (!)


Review vom 26.11.2006


Manni Hüther
Der Zwiespalt deutet sich schon bei der Stilnennung an. Für Schubladenfetischisten ein Fest, für andere ein Albtraum. Oder: Wer könnte mir den Unterschied zwischen Prog Rock und Art Rock vermitteln? Wegen treffender Gegenargumente hat bisher noch jeder kapituliert, der es versucht hat. Es gibt keinerlei gültige Definition und vielleicht ist das auch gut so.
Der absolute Klassiker von 1971, von dem hier die Rede ist, geht auch gerne noch ein paar Schritte weiter, schon die Besetzung gibt Anlass zu glauben, dass hier Grenzen gesprengt werden sollten. Das war nicht nur zur Erstveröffentlichung vor so langer Zeit ein echter Favorit der Fans, die Platte, gerade in der CD-Version, ist es bis heute zu Recht geblieben.
Ein paar Worte zur Geschichte der Band finden sich in der Review der "Valentyne Suite". Um von dort weiterzumachen: Clem Clempson war ja schon Bestandteil von Colosseum, für das dritte Album "Daughter Of Time" stiegen dann noch Mark Clarke am Bass und der schon als weiße Blueshoffnung bekannte Chris Farlowe als Sänger ein. Der hauptsächlich, weil Clempson nur ungern den Gesangspart übernahm. Und das war ein Glücksgriff, mit diesem Line-up kam mehr als nur eine Brise Drive in den Sound.
"Colosseum Live" wurde bei einem Konzert in der Manchester Universität im März 1971 mitgeschnitten und hatte, wie schon erwähnt, einen durchschlagenden Erfolg. Jon Hiseman schreibt im Booklet, dass das Tape mit dieser Show von der Band beinahe gelöscht wurde, weil sie anfangs nicht damit zufrieden war... ein geradezu furchtbarer Gedanke. Wegen der guten Akustik der Halle wurden weitere fünf Konzerte dort aufgenommen, aber nach Hisemans Aussage konnte keines den Zauber des ersten Abends übertrumpfen.
Und das ist auch nicht weiter verwunderlich. Der Einstieg mit dem alten Jack Bruce/Pete Brown-Song "Rope Ladder To The Moon" gelang phänomenal, die ganze Power der hervorragend eingespielten Band reißt den Zuhörer aus dem Sessel. Aus dem Wah-Wah aus Clempsons Les Paul entwickelt sich eine Tour de Force einer brillianten Darbietung. Das ist kein Cover eines Songs mehr, die Arrangements verselbstständigen sich zu einem Kunstwerk!
Über Jon Hisemans knochentrockenen Drums, untermalt von heftiger Orgel, erhebt sich Dick Heckstall-Smith zum Giganten, der gegen Ende des Tracks Tenor- und Sopransaxophon GLEICHZEITIG bläst. Ein Song für die Ewigkeit, reine musikalische Magie!
"Walking On The Moon" beginnt mit der Bemerkung von Chris Farlowe an einen der Fans: »He's got a Philips Cassette downstairs. C'mon, hurry up!«, Lachen im Saal über den wohl verzweifelten Versuch einer Bootleg-Aufnahme, dann geht auch hier die Post ab, die Bearbeitung legt einen Schwerpunkt auf Blues.
Nur zwei der Songs des originalen Doppelalbums waren Eigenkompositionen (mit dem Bonustrack auf der CD sind es nun deren drei), und dazu gehört "Skelington", das mit seinen knapp 16 Minuten die zweite LP-Seite komplett einnahm. Schon beachtlich, dass ein solches Juwel nicht auf einer regulären Colosseum-Platte erschienen war. Dies ist wohl das jazzrockigste Stück des Werks, wiederum jedoch auf einem satten Bluesfundament aufbauend und beinhaltet auch einiges an Skurrilität, vor allem in Form von Farlowes Jodeln. Das nahm und nimmt man augenzwinkernd mit, er macht allerdings auch seinem Namen als Bluesröhre alle Ehre. 'Clem' Clempson entlockt seiner Gitarre eine Power sondergleichen und spinnt daraus ein Solo mit eingearbeiteter psychedelischer Sprengkraft, das bis heute erstaunlich gelieben ist. Die Abschnitte zwischen den Soloeinlagen werden vom unvergleichen Drive des Jon Hiseman bestimmt. Wenn "Skelington" ausklingt, schwitzt man selbst auf der Couch...
... ohne Verschaufpause, da man ja keine Platte auf dem Teller umdrehen muss. Bei James Litherlands "I Can't Live Without You", das bisher unveröffentlicht war, fragt man sich verwundert, was die da noch alles von dieser Show im Köcher haben. Ohne Abstriche ist auch dieser Song auf dem gleichen Level und fügt sich so ein, als sei er schon immer da gewesen. Dave Greenslade drückt hier dem Sound seinen Stempel auf, aber selbstverständlich ist die ganze Band wie gewohnt mehr als engagiert involviert. Anmerkung: Auf einer noch neueren Ausgabe von 2004 ist dies der letzte Track, meine Remasterausgabe von 1998 bringt ihn direkt nach "Skelington".
"Tanglewood '63" sorgt dann wieder dafür, dieses Meisterwerk als eine der Keimzellen des Jazz Rock zu verbuchen. Klasse Sax-Soli von Heckstall-Smith und man leidet fast mit ihm, wenn man deutlich hört, wie er beim Alternieren seiner Saxophone nach Luft japst. Aus einem kleinen Thema ergießt sich nach seinem letzten Solo innerhalb von Sekunden wieder die ganze heiße Lava an musikalischer Macht über die Zuhörer.
Sicher scheint zu sein, dass die Sequenzierung nicht mit dem Konzert übereinstimmt und dies ist wohl der Limitierung der Langspielplatte geschuldet. Denn als zweiter und letzter Song auf der dritten LP-Seite kam dann die Zugabe (Encore) "Stormy Monday Blues" von T. Bone Walker. Im Booklet kann man lesen, dass die Nummer nie geprobt wurde, das ist fast unglaublich, wenn man hört, wie überlegen Colosseum über das Thema dieses alten Blues-Standards variiert hatte.
Was ich über "Rope Ladder To The Moon" anmerkte, gilt ohne Einschränkung auch für "Lost Angeles". In der Live-Version der zweite Song auf diesem Album, der Ewigkeitswert hat und wiederum reine musikalische Magie ist! Ursprünglich stammen beide Titel vom Album
"The Grass Is Greener", das statt der "Valentyne Suite" 1970 in den USA mit extrem abweichendem Tracklisting auf den Markt kam.
Hier auf dem Live-Mitschnitt aus Manchester... was für ein geiler Einstieg mit den schweren Orgelsounds, noch sachte untermalt von Gitarreneinsprengseln und Saxophontupfern, aber immer schneller und zwingender werdend und durch die Drums auf einer satten Basslinie angetrieben, bis sich das Ganze dann im typischen Colosseum-Groove endlich auflöst. Was für ein Spannungsbogen! Dann wird uns allen nochmal exemplarisch vorgeführt, zu welchen musikalischen Großtaten an blinder Verständigung diese Formation fähig war. Das in diesem 15+ Minuten langen Track selbst mehr als ein Drittel davon beanspruchende Gitarrensolo ist wirklich vom Feinsten, eigentlich eher eine Gitarrenorgie, und es ist sicher kein Wunder, dass Dave 'Clem' Clempson nach dem Split von Colosseum von Steve Marriott zu Humble Pie geholt wurde, um den dann freien Posten von Peter Frampton einzunehmen!
Klanglich ist diese CD von 1998 als äußerst gelungen zu bezeichnen. Das restaurierte Klangbild überzeugt bei dieser alten Aufnahme mit Durchsichtigkeit, Druck und Farbenfreude, mehr kann man sich nicht erhoffen. Die neuere Ausgabe von 2004 kann das (bei ja identischen Master Tapes) kaum noch toppen, ich hab die aber noch nicht gehört. Ich kann mir erfahrungsgemäß eine weitere Verbesserung jedoch nicht vorstellen. Dies klingt alles so glaubwürdig, dass es auch auf 'großen' HiFi-Anlagen eine mehr als gute Figur macht.
Fazit: Kaufen und genießen! Die CD kostet weniger als 10 €, da muss man wohl nicht abwägen, jeder, der auf alte (nicht altbackene!), ursprüngliche Rocksounds steht, sollte dieses Werk nicht im Schrank stehen haben, sondern oft in den Player einlegen! Denn diese Musik kann süchtig machen. Das war 1971 so und daran hat sich nichts geändert. Man darf auch bezweifeln, dass sich das jemals ändern könnte.
Line-up:
Jon Hiseman (drums)
Dick Heckstall-Smith (tenor & sopran saxophone)
Dave Greenslade (organ & vibes)
Dave 'Clem' Clempson (guitars & vocals)
Chris Farlowe (vocals)
Tracklist
01:Rope Ladder To The Moon (9:49)
02:Walking In The Park (8:24)
03:Skelington (14:59)
04:I Can't Live Without You (7:53) - vorher unveröffentlicht
05:Tanglewood '63 (10:16)
06:Encore...Stormy Monday Blues (7:33)
07:Lost Angeles (15:47)
Externe Links:
Chris Farlowe
Colosseum bei Wikipedia

Anm.: Manche der Daten bei Wikipedia sind nicht richtig. Das erste Album erschien nicht bei Vertigo, sondern bei Fortuna. "The Grass Is Greener" wurde nicht 1969, sondern 1970 in den USA veröffentlicht. Wer Lust dazu verspürt, kann es in der freien Enzyklopädie jederzeit ändern.