Colosseum II / Strange New Flesh
(Remastered + Expanded)
Strange New Flesh Spielzeit: 67:15 (CD 1) 42:02 (CD 2)
Medium: Do-CD
Label: Esoteric Recordings/Cherry Red Records, 2012 (1976)
Stil: Jazz Rock, Prog Rock


Review vom 18.05.2012


Jürgen Hauß
Die vorliegend zu besprechende CD ist - mal wieder - eine meiner 'von Hölzchen auf Stöckchen'-Entdeckungen. Bei meiner regelmäßigen Lektüre der News auf RockTimes stieß ich auf den Hinweis, dass Gary Moore am 4.4.2012 60 Jahre alt geworden wäre, wenn, ja wenn… Der Rest ist bekannt. Am Ende der Nachricht war ein Link zu dem bemerkenswerten Nachruf von Ulli Heiser, der es wert ist, von Zeit zu Zeit wieder gelesen zu werden, um in Erinnerung gerufen zu bekommen, wen die Musikwelt im vergangenen Jahr viel zu früh verloren hat. Am Ende wiederum dieses Nachrufs sind verschiedene Links geschaltet zu unterschiedlichen Schaffensperioden von Gary Moore, so auch - soweit vorliegend interessant - zu dessen Mitgliedschaft bei der Jazzrock-Formation Colosseum II.
Ein Klick auf diesen Link öffnet ein YouTube-Video, das eine Live-Aufnahme von "The Scorch" präsentiert. Hoppla, wen kündigt denn da Gary Moore als den Tastenmann an? Niemand anderes als Don Airey, mir allerdings erst bekannt seit seiner Mitgliedschaft bei Deep Purple, bedient da virtuos ein ganzes Arsenal diverser Keyboards bzw. Synthesizer, bevor erst im zweiten Teil Gary Moore zunehmend in den Vordergrund tritt. Jazz Rock? Prog Rock? Fusion? Egal, jedenfalls sehr ansprechend.
Ein Blick in meine durchaus umfangreiche CD-Sammlung stellt bezüglich Colosseum II erschreckende Lücken fest. Aber damit bin ich nicht allein. Auch auf RockTimes ist diese Phase der Band um den Drummer Jon Hiseman bislang nicht existent (wohl aber selbstverständlich die Ursprungsformation Colosseum). Aber Lücken sind bekanntlich dafür da, geschlossen zu werden, was ich kurzfristig im Plattenladen meines Vertrauens, Mr. Music in Bonn, erledigen konnte. Dort fand ich "Strange New Flesh", das Debütalbum der Band aus dem Jahr 1976, allerdings in einer 'remastered + expanded version', die wiederum offenbar ursprünglich in dieser Form (als Doppel-CD) bereits im Jahr 2006 veröffentlicht wurde, hier aber in Gestalt einer Wiederveröffentlichung aus dem Jahr 2012 vorlag. Diesem Umstand habe ich es wohl zu verdanken, dass das Album vorrätig war, so dass ich - mag ich an anderer Stelle die ständige Wiederveröffentlichungspolitik der Plattenfirmen durchaus kritisch beschrieben haben - dankbar bin, auf diese Weise kurzfristig meinen Nachholbedarf stillen zu können. Außerdem rechtfertigt dies das vorliegenden Review über eine 'Neuerscheinung'.
Wie einleitend gesagt: 'Von Hölzchen auf Stöckchen'! Jetzt ist es aber an der Zeit, dieses 'Stöckchen' näher vorzustellen. Ob Colosseum II - wie allgemein praktiziert - als Jazz Rock-Band oder aber als Prog Rock-Band zu bezeichnen ist, ist m. E. ohne Belang - jedenfalls handelt es sich - nach meinem Verständnis - nicht um 'esoterische' Musik (worauf der Name des aktuellen Plattenlabels hinzudeuten vermag), denn dafür sind die vorliegenden Stilelemente zu vielschichtig.
Die Original-Scheibe beginnt mit dem Instrumental "Dark Side Of The Moog", was schon im Titel ankündigt, was den Hörer erwartet: Synthetische Klangteppiche des Tastenmannes mit zahlreichen Soli, auf denen die Kollegen sehr rockig daher schreiten. Flott, flott der Einstieg, doch nach der Hälfte der Spielzeit wird das Tempo - wenn auch nur kurzzeitig - ein wenig herausgenommen. Deutlich melodiöser beginnend das folgende "Down To You", das seinen speziellen Charakter durch die hohe Gesangsstimme von Mike Starrs erhält und damit insgesamt stark an Yes mit ihrem charismatischen Sänger Jon Anderson erinnert. Nach der Hälfte des Songs wird es geradezu klassisch: Piano und akustische Gitarre prägen den kurzen Mittelteil, bevor es elektronisch weitergeht - neun Minuten, die niemals langweilig werden.
Deutlich experimenteller, gleichzeitig funkiger klingt "Gemini And Leo", instrumentalistisch tritt Gary Moore solistisch und damit deutlicher in den Vordergrund, während die Gesangstimme sehr rockig dargeboten wird. Yes-lastiger ist wiederum "Secret Places", bei dem auch zahlreiche Elemente an Manfred Mann's Earth Band erinnern; mit einer Spielzeit von unter vier Minuten ist es der mit Abstand kürzeste Song des (Original-)Albums.
Das balladeske "On Second Thoughts" wird sehr gefühlvoll dargeboten, sieht man einmal von der sehr intensiven Stimme von Mike Starrs ab, und klingt damit stark nach Sky, bevor ein rhythmisches Schlagwerk - von einem Schlagzeug-Solo mag ich angesichts der Kürze des Einsatzes nicht sprechen - den Song abrupt beendet. Jon Hiseman darf dafür den Schluss-Song von "Strange New Flesh" solistisch einleiten. Der längste Track des Albums ist musikalisch sehr vielschichtig mit komplexen sowohl Instrumental- wie auch Gesangsparts.
Das ganze Album ist geprägt durch nicht immer leichte Melodiebögen, so dass die Musik ganz sicher nicht dem 'Easy Listening' zugerechnet werden kann - und das ist gut so! Auch die Tatsache, dass ich an vielen Stellen Vergleiche zu anderen Gruppen der damaligen Zeit gezogen habe - darüber hinaus klingt es mal hier, mal dort nach Camel oder auch Focus - soll keine Kritik im Hinblick auf mangelnde musikalische Eigenständigkeit des Werkes bedeuten. Alle genannten Gruppen waren seinerzeit Mitte der 70er Jahre anerkannte Interpreten des Prog Rock, und wer da schließlich möglicherweise von wem abgekupfert hat, mag getrost dahingestellt bleiben. Was vorliegend bleibt, ist ein äußerst vielfältiges und musikalisch sehr interessantes Album!
Und damit hat es hier ja noch kein Bewenden, denn die 'remastered + expanded version' bietet zehn weitere Songs, bei denen es sich ganz bestimmt nicht lediglich um Füllmaterial handelt. Allen voran - wenn auch nicht an nächstfolgender Stelle der Tracklist - den Colosseum-Klassiker "Walking In The Park" sowie zwei höchst interessante, weil - und dies nicht nur aufgrund der unterschiedlichen Laufzeiten - sehr unterschiedliche Interpretationen der Moore/Hiseman-Komposition "Castles". Und natürlich enthält das Album auch das eingangs genannte "The Scorch", wenn auch bedauerlicherweise nicht in der auf jenem Video dokumentierten Version (die wiederum sehr an "Fanfare For The Common Man" von Emerson, Lake & Palmer erinnert).
Bei diesen Zugaben handelt es sich um zwei von der BBC mitgeschnittenen Studio Demo-Sessions. Die erste stammt aus dem Jahr 1975 und damit noch vor dem ursprünglichen Erscheinungsdatum von "Strange New Flesh". Die zweite stammt aus dem Jahr 1976. Bei ihr waren Neil Murray und Mike Starrs schon nicht mehr dabei; während ersterer durch John Mole ersetzt worden war, übernahm Gary Moore sämtliche Gesangsparts (was zu einem großen Teil die o.g. Differenzierung zwischen den beiden "Castles"-Versionen ausmacht). Auch wenn es sich um Demo-Material handelt, das außerhalb dieser Compilation nicht veröffentlicht worden ist, ist die Soundqualität über jeden Zweifel erhaben.
Vor diesem Hintergrund möchte ich den Freunden des Prog Rock für diesen Klassiker einen uneingeschränkten Kauftipp geben.
Line-up:
Gary Moore (guitars and vocals)
Mike Starrs (vocals)
Don Airey (keyboards)
Neil Murray (bass guitar)
Jon Hiseman (drums)
Tracklist
CD 1:
01:Dark Side Of The Moog (6:22)
02:Down To You (9:05)
03:Gemini And Leo (4:48)
04:Secret Places (3:57)
05:On Second Thoughts (7:29)
06:Winds (10:24)
07:Castles [Version One] (11:05)
08:Gary´s Lament (6:57)
09:Walking In The Park (7:04)
CD 2:
01:Night Creeper (3:46)
02:The Awakening (11:42)
03:Siren Song (6:55)
04:Castles [Version Two] (5:02)
05:The Scorch (4:37)
06:Rivers (4:25)
07:Interplanetary Slut (5:34)
Externe Links: