Various Artists / Lost Blues Tapes
More American Folk Blues Festival 1963 - 1965
Lost Blues Tapes/More American Folk Blues Festival 1963 - 1965 Spielzeit: 58:33 (CD 1), 51:09 (CD2)
Medium: Do-CD
Label: ACT, 2004
Stil: Blues


Review vom 25.06.2007


Norbert Neugebauer
Der Blues lebt von seinen Legenden. Von den personifizierten und den erzählten. Nicht jeder alte Blueser ist eine Legende und nicht jede Story wahr. Viel ist 'business' und sollte nicht allzu 'blue-eyed' geglaubt werden.
Aber hier kommt eine, da passt alles!
Legendär ist das American Folk Blues Festival. Joachim-Ernst Behrendt, der deutsche Jazz-Papst, hatte die Idee, die hierzulande noch völlig unbekannten Bluesmusiker aus Chicago und dem Süden der USA, die in ihrer Heimat auch nur schwarzem Publikum geläufig waren, für eine Tournee nach Europa zu holen. Die Promoter-Legenden Lippmann&Rau wagten zu Beginn der 60er Jahre (und ihrer unternehmerischen Tätigkeit) das Risiko und schnürten ein Paket mit Künstlern, die heutzutage fast komplett einen legendären Ruf haben. Mit dieser Veranstaltungsreihe kamen erstmals junge, bluesbegeisterte Musiker diesseits des Atlantiks mit den Originalen in Kontakt - der Rest ist Legende ...
Doch es gibt dazu noch eine Fußnote der Geschichte, eine zwar nahezu untergegangene (die zumindest an dem blueslastigen Autor dieser Zeilen und Besitzer der kompletten LP-Serie im Schuber vom AFBF völlig vorbei gegangen ist), aber dennoch sehr interessante. Und für Blues-Fans, die das Authentische suchen, vielleicht sogar eine kleine Sensation. Sie ist mit dem Namen Siggi Loch verbunden, der damals die ersten Mitschnitte der Konzerte von 1962 bis 1966 für das Label Fontana auf Vinyl produziert hatte.
Loch machte sich 1992 mit seinem eigenen, vorwiegend Jazz-orientierten Label ACT selbständig und erinnerte sich, dass da noch irgendwo unveröffentlichtes Material aus den ersten Konzerten herumliegen musste. Nach Gesprächen mit seinem damaligen Co-Produzenten Horst Lippmann fand er im Archiv die vermissten Original-Tapes und stellte daraus 1993 die beiden CDs "Blues Giants" und "Lost Tapes" zusammen. Als diese vergriffen waren, legte Loch beide Scheiben im Mai 2004 zusammen unter dem Titel "Lost Blues Tapes/More American Folk Blues Festival 1963 - 1965" nochmals auf. Auch das blieb unseren Lesern vorenthalten, weil es RockTimes damals noch nicht gab ...
Solche Schätze gehen jedoch nicht unter! Im Zuge des 15-jährigen Firmenjubiläums von ACT entdeckte der Review-Schreiber den Doppelpack der Legenden der legendären Blues-Tour und damit wären wir nun beim Thema: Muddy Waters, John Lee Hooker, Sunnyland Slim, Sonny Boy Williamson, Willie Dixon, Buddy Guy (ja, auch der war damals schon dabei!), Otis Spann,
Big Mama Thornton, Big Joe Williams, J. B. Lenoir ... .
Und das alles in feinster Sound-Qualität nach so langer Zeit - fantastisch! In fast intimer Club-Atmosphäre und puristisch, ohne große Begleitung, spielten die Größen ihre Songs, von denen viele danach als Standards Eingang auch ins gängige Rock-Repertoire fanden. Fans, die wissen wollen, wie die ursprünglich mal geklungen haben, bzw. interpretiert wurden, können hier reinhören. Alle Künstler waren noch sehr traditionell ausgerichtet, John Lee Hooker und Muddy Waters spielten reinen Folk-Blues. Selten kommt mal eine dezente E-Gitarre (Big Joe Williams) zum Zug und auch bei den reinen Vokalisten, wie Big Mama Thornton, spielt die Combo nur in kleiner Besetzung semi-akustisch mit Gitarre, Piano, Kontrabass und Schlagzeug.
Mundharmonika-Freaks können die unterschiedlichen Stile der angetretenen Harp-Großmeister vergleichen, die wohl sonst auch selten live zusammentrafen. Neben den bekannten Namen finden sich hierzulande weniger geläufige, wie Victoria Spivey, Doctor Ross oder Hammie Nixon, die dann nicht den Sprung ins große Rampenlicht schafften, aber nicht weniger eindrucksvoll klangen. Sugar Pie Desanto ist heute noch als Blues- Soul- und Jazzsängerin aktiv und tritt sogar im Juli 2007 bei einem Festival in Italien auf.
Die so nachgelieferten 32 Tracks ergänzen die alten Veröffentlichungen bestens und Loch sei Dank, dass sie den Fans zugänglich gemacht wurden. Blues, als er in Europa seinen Siegeszug begann und dann, reflektiert von der 'British Invasion', auch in den USA ein Publikum erreichte, wie nie zuvor. Die Doppel-CD im Vierfach-Digi-Pack ermöglicht ein Wiederhören mit den Legenden des Blues, von denen nur noch wenige leben. Die gemeinsam und erstmals in Übersee auf Tournee gingen, zusammen auf der Bühne standen und von einem begeisterten (weißen) Publikum gefeiert wurden. Nicht nur ein Zeitdokument, sondern ein echter Leckerbissen. Aufgenommen wurde in Bremen und Hamburg, Disc 1 stammt von 1963, Disc 2 von 1964 und 1965.
Blues-Fans sehr zu empfehlen!
Tracklist
CD 1:
01:Blues Everywhere - Memphis Slim
02:John Henry - Memphis Slim / Willie Dixon
03:Captain Captain - Muddy Waters
04:Catfish Blues - Muddy Waters
05:In The City - Muddy Waters
06:I Feel Like Cryin' - Muddy Waters
07:Your Love For Me Is True - Sonny Boy Williamson
08:Don't Misuse Me - Sonny Boy Williamson
09:I'm Gettin' Tired - Sonny Boy Williamson
10:Going Down Slow - Otis Spann
11:Careless Love - Lonnie Johnson
12:C.C. Rider - Lonnie Johnson
13:T.B. Blues - Victoria Spivey
14:Big Roll Blues - Big Joe Williams
15:Back In The Bottom - Big Joe Williams
16:Baby Please Don't Go - Big Joe Williams
CD 2:
01:Della Mae (Alternate Take) - John Lee Hooker
02:Hound Dog (Outtake & Alternate Take) - Big Mama Thornton
03:Captain Captain - Muddy Waters
04:I Got To Cut Out - Sonny Boy Williamson
05:Blues Harp Shuffle - Big Walter Horton
06:Strong Brain - Broad Mind - Willie Dixon
07:Big Leg Woman - Willie Dixon
08:You Got Me Running - Sugar Pie DeSanto
09:South Side Jump - Buddy Guy
10:If I Get Lucky - J. B. Lenoir
11:Got A Letter This Morning - "Mississippi" Fred McDowell
12:Sail On - Roosevelt Sykes
13:Memphis Boogie - Memphis Slim
14:Your Best Friend's Gone - Sleepy John Eastes/ Hammie Nixon
15:Farewell Baby - Doctor Ross
16:Della Mae (Outtake) - John Lee Hooker
Externe Links: