Drahdiwaberln / Psychoterror
Psychoterror Spielzeit: 39:44
Medium: CD
Label: Gig (Sony Music Austria), 1981
Stil: Punk Rock


Review vom 16.10.2015


Michael Breuer
Eine Österreich-Trilogie – Teil 2
Land der Berge, Land der Seen – Pustekuchen, hinterm Berg geht's derbe zu! Wer weiter an dem oftmals hier zu Lande verbreiteten, verniedlichten Bild der Alpenrepublik festhalten möchte, der sollte sich bloß fernhalten von der Musik der Drahdiwaberl – und erst recht von ihren Happening gleichen Auftritten, die wir allerdings leider wohl nicht mehr erleben werden. Der Chef des chaotischen Ganzen ist von Parkinson gezeichnet, er wird wohl keine Liveauftritte mehr bestreiten können.
Damals aber, entwachsen aus den wilden Zeiten der 68er Generation, da startete ein Mann namens Stefan Weber, den sie viele Jahre später den »Schweine-Rock-Dodel der Nation« nennen sollten, seinen musikalischen Feldzug gegen das Wiener Establishment. Umgeben von einer Schar gleichgesinnter Rockrebellen etablierte Drahdiwaberl (ein Wiener Wort für einen Brummkreisel) ein zappaeskes Rockspektakel, bei dem keine Provokation ausgelassen wurde. Sexorgien auf der Bühne, von den Protagonisten liebevoll »Mulatschag« genannt, brennende Mönchskutten und Pipi für die Enthusiasten vor der Bühne, für die Band gab es keine Geschmacklosigkeit zu viel, kein Tabu, das es nicht zu brechen galt. Wen nimmt es Wunder, dass Stefan nicht nur musizierte wie Zappa, er sah auch fast so aus wie Frank. War er doch musikalisch ein Bruder im Geiste. Und so klingen viele Kompositionen ein wenig wie aus des Meisters Kopf ersonnen. Der allerdings hat sich zwar auch ab und an mit der deutschen Sprache auseinander gesetzt (man denke nur an die Startsequenz zu "Stick It Out"), aber des Österreichischen war Zappa ganz sicher nicht mächtig. Das brachte Drahdiwaberl in die Welt und auf die Bühne, böse, politisch unkorrekt und voll beißender Satire. Da kriegte jeder sein Fett weg. Anfangs nur in der Band, später begleitet von einer ganzen Schwadron irrer Gleichgesinnter.
Erinnern wir uns an die Anfänge der Rockmusik. War da nicht immer ein Stück weit Revolution, eine befreite und befreiende Lebensart und der Widerstand gegen alt Hergebrachtes? Drahdiwaberl hat über 40 Jahre der (oft spießigen) Gesellschaft den kulturellen Arsch ins Gesicht gehalten. Hey Leute, genau das ist Rock'n'Roll. Wer hätte das gerade im beschaulichen Österreich vermutet? Stefan Weber hat wahrscheinlich den großen Traum von Sex and Drugs and Rock and Roll mehr gelebt als viele andere. Feiern wir ihn dafür.
Auf die Band gestoßen bin ich durch eine der genialen Folgen von "Kottan's Ermittlungen", jener Kultserie mit dem unvergleichlichen Lukas Resetarits, wo Stefan in einem Gastauftritt seinen Song "Ausgeflippter Lodenfreak" performte. Und der ist auf "Psychoterror", dem ersten Album aus dem Jahre 1981, als Drahdiwaberl bereits seit zwölf Jahren ihr Unwesen trieb. Faszinierend ist, dass eben jener Lukas Resetarits mit der Band wenig später "So Lonely" einspielte, worauf auf Grund der enormen Popularität dieser Nummer sogar der ORF seinen bis dahin geltenden Drahdiwaberl-Boykott auflöste. 'Major Kottan', wir danken Dir!
Die Musik ist dabei schon durch ihre zappaesken Kompositionen ein Stück weit schräg, aber immer auch auf vertrautem Terrain. Gut, wilde Keyboard-Ausbrüche und abstruse Rhythmuswechsel findet man bei Drahdiwaberl wie beim Meister, Saxofon und anderes Gebläse auch. Aber immer und überall begleitet uns eine gnadenlos gute Gitarre von Helmut Bibl mit perfekter Rhythmusarbeit und sehr wohl klassischen Soli. Wir finden uns schon zurecht in dieser abstrusen Welt der Rockmusik, keine Sorge. Total geil und abgefahren ist der immer wieder faszinierend schräg provokante Gesang von Stefan, egal, welche Merkwürdigkeiten und in welcher Sprache er diese gerade zum Besten gibt. "Boring Old Fart" (was für ein Titel) bietet das zum Einstieg in bester Manier. Eine wilde Mischung aus sehr wohl großartiger handwerklicher Musikarbeit und völlig abgefahrenen Texten, ein Heil auf die Frechheit und Freiheit des Geistes und der kulturellen Aggression. Nina Hagen würde mir als bester Vergleich einfallen, aber solche Einordnungen sind eigentlich verboten wenn es um wirklich eigenständige Dinge geht. Die völlig abgedrehte Version der alten Schnulze "Ganz Paris träumt von der Liebe" zeigt das böse, sarkastische Potential der Truppe ähnlich wie der Titeltrack, der dann am Ende aber für uns Altrocker ganz tröstlich mit einem wunderschönen Gitarrensolo ins Nirwana driftet.
Übrigens, ein gewisser Hans Hölzel ist als Bassmusiker der Drahdiwaberl in das Musikgeschehen eingestiegen – und ein paar Jahre später als Falco weltberühmt geworden. Hatte ich ihm und seiner für meinen Geschmack eher seichten Musik damals keinen Respekt gezollt -hiermit hole ich das nach, mein lieber Hans.
Hey Leute, ich hoffe ich beleidige euch nicht, wenn ich bei allen Attitüden von Zappa, Punk und wilden Improvisationen feststellen muss, dass ihr ganz schön Kraut-lastig seid? Und das meine ich mit tiefer Bewunderung.
Drahdiwaberl sind der wildeste, schillerndste Planet am Firmament des österreichischen Rock'n'Roll-Himmels, und sie selbst würden sich todsicher lieber beim Gehörnten in den Katakomben einordnen. Wie immer man das auch sehen mag, diese Band hat einen unverzichtbaren kulturellen Beitrag geleistet, der den meisten Menschen des einig uneinigen Europas bis heute verborgen geblieben ist. Höchste Zeit, das zu ändern.
Im dritten Teil wenden wir uns retrospektiv dem Underground zu. (Teil 1).
Tracklist
01:Boring Old Fart
02:Großstadtdschungel
03:Machomann
04:Ganz Paris träumt von der Liebe
05:Mad Cat Sadie
06:Ganz Wien
07:Dog Shit Miller
08:Ausgeflippter Lodenfreak
09:Psychoterror
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