Nick Drake / Pink Moon
Pink Moon Gesamtspielzeit: 28:32
Medium: CD
Label: Island Records, 1972
Stil: Folk


Review vom 19.06.2008


Grit-Marina Müller
Von einem anderen Stern... .
Man forscht und forscht. Es ist eine viel und lang diskutierte, immer wieder strittige Frage, die auch nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen und Theorien nicht zweifelsfrei beantwortet werden kann: Gibt es in diesem unserem Universum anderes, intelligentes, gar schönes Leben? Und wird es jemals Kontakt zu uns aufnehmen?
Eine eher zum Negativen tendierende Wahrscheinlichkeitsrechnung lässt die Hoffnungen schwinden. Um so erschreckender ist diese, seit der Mondfinsternis von "Pink Moon" erlebte, befremdliche Feststellung: Oh ja, wir hatten bereits wundervollen Besuch und waren offenbar nicht in der Lage, es überhaupt oder kaum rechtzeitig wahrzunehmen. Unsere Gastfreundschaft war demzufolge wohl auch nicht das, was man als herzlich, interessiert und aufmerksam bezeichnen konnte. Wie sonst ist es zu erklären, dass Nick Drake die Erde nach so schmerzhaft jungen 26 Lebensjahren wieder verlassen musste, auf dem Weg hin zu seinem unheimlichen Mond, dem fernen Zuhause in einer anderen Welt? Sein Abschiedsalbum hinterlässt er uns als eines dieser kostbaren Geschenke, die wir tröstlicherweise das Glück haben, für alle Zeit in Händen halten und hören zu dürfen.
Hört man Nick Drake das erste Mal, macht man als sensibleres Wesen die kurze, äußerst wirkungsvolle Erfahrung eines fliegengewichtigen No Names gegen den 36fachen Weltmeister der höchsten Gewichtsklasse im katastrophal zerschlissenen Boxring seelenverwundender Emotionen. Knock Out. Es trifft einen der Schlag. Fast lautlos und unsichtbar. Das gibt es doch gar nicht. Man hört eine Stimme, die etwas so Ursprüngliches, gänzlich Unverfälschtes, unerklärlich Unerklärliches und doch so vertraut Nahes besitzt. Ihre unwirkliche Natur schlägt in einen fürchterlichen Bann, der mit Präzision jede Magengrube vollständig aushebt, samt der Erschütterung aller tragenden, inneren Fundamente. Nick singt ohne jede Phrasierung oder Affektion, dennoch sauber und akzentuiert. Nicht ausdrucks- oder gar teilnahmslos aber umso eindrucksvoller. Seine Stücke sind von seltener Anmut, wunderschöner Melodiösität, oftmals mit Oktav- und Halboktavsprüngen dramatisch klug aufgebaut und fesselnd atmosphärisch, ob orchestral arrangiert oder wie auf dem hier vorgestellten, puristischen Meisterwerk "Pink Moon".
Nick Drake brachte in der begrenzten Zeit bis zu seiner abrupt endenden künstlerischen und Lebenslaufbahn drei Alben hervor, eine Art introspektiver Trilogie, beginnend mit dem 1969 erschienenen, sparsam produzierten "Five Leaves Left". Ein sehr vielversprechender Anfang, der wohlwollende Kenner als auch Kritiker aufhorchen ließ und den Mitarbeiterstab um Produzent Joe Boyd (Autor von White Bicycles) zu co-kreativen Höhenflügen mit ihrem zuweilen zweifelnden aber durchaus ambitionierten Schützling trieb. Mit dem durch Robert Kirbys beispiellosen - und vielleicht schönsten String-Arrangements in der Populärmusik überhaupt - aufwändig ausgestatteten "Bryter Layter" gipfelte 1970 die Popularität Nick Drakes in der englischen Folkmusic-Szene.

Kritiker sehen Drake allerdings bei diesem Album mitunter stark beeinflusst vom Interesse 'Außenstehender', die seiner reinen, künstlerischen Intention einen allzu kommerziell-populären Anstrich verleihen wollten und glauben sich in ihrer Auffassung bestätigt durch Drakes drittes und letztes, 1972, zwei Jahre vor seinem Tod veröffentlichtes Werk "Pink Moon", das er wieder im Alleingang, schlicht mit Stimme und Gitarre sowie Klavier zum Titeltrack aufnahm. Er sei sehr wohl stolz gewesen auf "Bryter Layter", liest man in Berichten seines näheren Umfelds, hätte sich aber deutlich größeren und nachhaltigeren Erfolg gewünscht. Den hatte er tragischer Weise, wie es so oft ist, posthum und ausgerechnet mit dem beinahe unauffälligen, doch so schönen "Pink Moon", der 28 Jahre später als Werbesong für eine große amerikanische VW-Kampagne eingesetzt werden sollte und Nick Drakes Namen in diesem Moment endgültig weltweit 'salonfähig' machte. Ob er darüber glücklich gewesen wäre? Beeindruckt vielleicht.
Der düstere Mond - ein Abgesang auf die Welt, in der zu leben es ihm offenkundig immer schwerer fiel - ist ein spartanisch, in einer einzigen Nacht aufgenommenes Ein-Personenstück. Nick Drakes seltsam ausgehöhlt wirkende, hauchend fragile, berührend sinnliche Stimme legt sich darin schützend zwischen die unendlich zarten Seiten seiner abgrundtief traurigen Seele, während er die Saiten seiner Akustikgitarre martialisch verteidigend, unerbittlich, hart anschlägt, als könnte er ganze Felswände damit zerklüften, wenn er nur wollte… als ob er das wollte. Resignation ist integrale Konsequenz all seiner Gedanken. Warnt er noch die, die ihn überschatten, fast kämpferisch vor dem finsteren "Pink Moon" im Eröffnungsstück, so gibt er sich im zweiten Song bereits geschlagen, in hilfloser Erinnerung an seine verblasste Stärke der Vergangenheit und bittet um einen Ort der Erlösung in "Place To Be". Als Inbegriff gefühlten Unsichtbarseins sieht er sich in "Parasite" zu Staub zerfallen auf Erden liegen. Nick kämpft um Zuversicht und Kraft und verliert doch wieder allen Glauben in "Things Behind The Sun". Eine Tragödie, die einem das Herz bricht und das in allen nur vorstellbaren wie nie gekannten Moll-Variationen.
"Pink Moon" ist nichts für schwache, ernsthaft gefährdete Gemüter. Kühnste Heere furchtlos stürmender Ritter brechen weg wie Streichhölzer im tobenden Orkan angesichts Nick Drakes weltverlassener, gedankenverlorener Kapitulation vor dem Leben. Die Poesie und Romantik seiner tiefen, unruhigen Impressionen aber gleichen dem wirren, traumhaft schönen Farbenrausch eines ewig suchenden, rastlosen Claude Monet. Der 'patron saint of all depressed' lebte Melancholie durch seine Musik als - wenn es das gibt - schönste, vielleicht erträglichste Form fortwährenden Schmerzes und übermächtiger Hoffnungslosigkeit. Ein unsagbar gefühlvolles, extrem authentisches Stück Musikgeschichte bildet das gesamte Werk dieser verzweifelten, zerrissenen Seele Nick Drakes, der am 19. Juni 2008 60 Jahre alt geworden wäre.
An dieser Stelle vergeben namhafte RockTimes-Redakteure gern die beliebten, trendig tickenden RockTimes-Uhren. Nicht möglich wäre das in diesem Fall. Denn die Zeit steht still und ist für immer angehalten.
Von Nick Drake.
Tracklist
01:Pink Moon
02:Place To Be
03:Road
04:Which Will
05:Horn
06:Things Behind The Sun
07:Know
08:Parasite
09:Ride
10:Harvest Breed
11:From The Morning
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