Electric Orange / Fleischwerk
Fleischwerk Spielzeit: 79:15
Medium: CD
Label: Sulatron Records, 2008
Stil: Psychedelic/Experimental

Review vom 20.10.2008


Ulli Heiser
Mein lieber Schwan! Diese Scheibe stellt für den Rezensenten eine harte Nuss dar. Ich kenne Kollegen, die beim Hören von "Fleischwerk" wohl ernsthaft ihr weiteres irdisches Dasein überdenken würden. Mir werden, ob meiner Passion zu nicht massenkompatibler Musik, ja in der Regel die 'schweren' Werke zugeschanzt und da ich von Electric Orange bereits zwei Alben besprochen habe, war klar, dass auch "Fleischwerk" in meinen Händen landet. Morbus und Platte wurden gelobt, die "Platte" gar mit der Tipp-Grafik geadelt.
"Fleischwerk" ist anders. Was nicht automatisch schlechter bedeutet. Aber mir fehlt der totale Zugang und auch nach mehrmaligem Hören will sich der 'Es hat Klick gemacht'-Effekt nicht einstellen. Dabei gibt es durchaus Stellen, die gefallen. "Koodu" etwa, das mit akustischer Gitarre beginnt und dann zu einem rollenden Orgelmonster im Stil von Cottonwoodhill umschaltet, oder das per Orgel richtig groovende "Schatten". Auch "Gewächs" geht mir bei, ja das geht sogar prima bei. Dieser Track ist Highlight der Original-Scheibe, die längst vergriffen ist. Hier hat es einen roten Faden, an dem sich ein hypnotisierender Rhythmus und eine erkennbare Gitarre entlang hangeln.
Am längsten Stück, "Schrasng", dagegen, könnte ich verzweifeln. Electric Orange sind eine improvisierende Band, deren Aufnahmen spontan entstehen und nicht geplant werden. "Schrasng" ist mir bei Weitem zu improvisiert. Vielleicht ist aber nur meine persönliche Grenze erreicht, oder ich verstehe nicht, was hinter der Nummer stecken soll. Das mag sein, wie bei einem modernen Kunstwerk, das sich erst nach Erklärung durch den Künstler für den Betrachter erschließt. Auch in "Schrasng" gibt es Passagen, die nach des Hörers Aufmerksamkeit greifen und ihn teilhaben lassen möchten. Aber es mag, in meinem Fall, nicht gelingen. Dieses immer wiederkehrende 'Geknatter' lässt es nicht zu.
Damit wäre der 'offizielle Teil' von "Fleischwerk" beendet. Dem Re-Release wurden aber vier Bonustracks spendiert, die die ursprüngliche Spieldauer verdoppeln.
"Sakral" versprüht mit minimalistischem Einsatz die Stimmung, die der Titelname vermuten lässt. Man kann sich zurücklehnen und seinen Gedanken freien Lauf lassen, dem einsamen Drumming oder der in den Raum oszillierenden Hammond zuhören und die Wirkung genießen. Auch bei der Bonus-Dreingabe sind die kurzen Stücke, "Jubiläton" und "Trommelgemüse", eher dazu da, den Rezensenten fragend dreinblicken zu lassen.
"Fleischzusatz" dagegen, fesselt gleich zu Beginn. Da sind sie wieder, die Tasten, die so begeisternd durch den Raum schweben und Spannung aufbauen. Per Gitarre und knarzendem Bass werden die Keys schließlich 'angegriffen' und man findet sich in einer Sound- und Klangcollage, die als gelungen bezeichnet werden muss. So macht der Jam Spaß und Hammond-Fans dürften mit der Zunge schnalzen. Schlagwerk, Bass und Gitarre feiern eine Orgie, so, als wollten sie den Tasten zum Höhepunkt verhelfen.
Nach acht Minuten folgt ein Break, Synthiefetzen und Schlagzeugsolo sorgen nun erst mal für einen Augenaufschlag, bis es geballt und kraftvoll zum Powerjamming kommt. Yeah, das geht ab und nun auch bei. Gewaltige Drum-Hiebe, eine fast explodierende Orgel und herrliche Gitarrenlinien. Dem offiziellen Ende nach den neunzehneinhalb Minuten schließt sich ein Hidden-Track an, der aber eher als Gimmick zu sehen ist.
Was sag ich nun? Wer die Band kennt und mag, wird diese CD-Ausgabe mit den Bonustracks sicher kaufen und zumindest Teile des Albums genießen. Neulinge sollten unbedingt erst reinhören und mit was anderem anfangen. "Morbus" und "Platte" mögen da die bessere Wahl sein. "Fleischwerk" ist starker Tobak. Da vom Guru Eroc remastert, allerdings in feinster Qualität.
Line-up:
Dirk Jan Müller (Hammond, Farfisa, Rhodes, Synthesizer, Tonband)
Dirk Bittner (Gitarren, Percussion, Stimme, altes Schlagzeug - #2)
Josef Ahns (Gitarren, Flöte)
Tom Rückwald (Bass - #13)
Georg Monheim (Schlagzeug - #13)
Eric Karow (Schlagzeug - #5, 9)
Silvio Franolic (Schlagzeug - #7, 8)
Tracklist
01:Trommelfleisch (0:20)
02:Koodo (6:12)
03:Sonnenbart (9:13)
04:eeemolle (0:30)
05:Schatten (3:24)
06:Trockenfleisch (0:12)
07:Gewächs (5:52)
08:Arabon (0:37)
09:Schrasng (12:42)

Bonustracks:
10:Jubiläton (1:14)
11:Sakral (12:20)
12:Trommelgemüse (1:49)
13:Fleischzusatz (19:36)
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