Erste Allgemeine Verunsicherung / Café Passé
Café Passé Spielzeit: 38:39
Medium: CD
Label: Ding Dong Records / Mood Records, 1981
Stil: Rock, Kabarett


Review vom 19.12.2010


Steve Braun
Die Erste Allgemeine Verunsicherung in RockTimes? Nein, ich eifere in punkto Wirrköpfigkeit nicht meinen durchgeknallten Idolen wie Charlie Daniels oder Ted Nugent nach, denn mit »Küss die Hand, schöne Frau, Ihre Augen sind so blau - tirili tirilo tirila« und debilem Blödelwitz - lieber Leser - hat "Café Passé" nichts, aber auch gar nichts zu tun. 1981 klang das noch völlig anders:
»»Wir marschiern, wir marschiern, es vertrocknet unser Hirn,
vorwärts marsch Delirium, dumm im Kreis herum.
Wir pariern, funktioniern, Oarschloch xsam beim Salutiern,
Ritterkreuz, Gedächtnisschwund, Kameradschaftsbund.«
Als diese Scheibe 1981 das Licht der Welt erblickte, war an Hitparadenplatzierungen noch nicht zu denken. Die LP wurde bei Mood Records, einem winzigen Jazz-Label, deren Qualitätsprodukte man ausschließlich über den (ehemals) links-alternativen Frankfurter Versandhandel Zweitausendeins beziehen konnte, vertrieben - war entsprechend rar und hatte wohl auch deswegen Kultstatus. Es handelte sich noch um keinen Rockklamauk, sondern um eine kabarettistisch angelegte Anarcho-Truppe. Auftritte in damals noch kleinen Clubs - zumeist restlos ausverkauft - endeten zuverlässig in herrlich-irrwitzem Chaos auf der Bühne und im Saal. Da flog dann schon mal eine Sahnetorte aus der Keyboard-Ecke in die erste Reihe des Publikums oder - zur Weihnachtszeit - exhibitionierte sich ein sichtbar erregter Weihnachtsmann am Bühnenrand. Das war genau die richtige Unterhaltung für gammlige Bürgerschrecks wie unsereins...
Aber man muss dazu sagen: "Café Passé" wurde von anderen Hauptakteuren als das zwei Jahre später erscheinende "Spitalo Fatalo" geprägt. Walter Hammerl, der durch das Programm führende Chef-Ober Franz, hatte sich Ende 1981 das Leben genommen und Sänger Gert Steinbäcker widmete sich seinem Erfolg versprechenden STS-Projekt. Mit Klaus Eberhartinger, einem Schulfreund Thomas Spitzers, fand dieser seinen ultimativen Blödelpartner. Gesellschaftskritik? Ja weiterhin gerne, aber bitte so, dass die Angesprochenen, denen bei früheren Bühnenprogrammen regelmäßig das Lachen im Halse stecken geblieben war, darüber johlen konnten. Der "Alpenrap" sorgte für erste Schenkelklopfer, auch in Dieter Thomas Hecks Hitparade. Spätestens damit war das Thema Erste Allgemeine Verunsicherung für mich durch.
Wien in den 1950er Jahren - im Café Passé:
Brave Bürger tummeln sich im Buschenschank bei Ober Franz und ersäufen ihre Trauer um das verflossene 'Reich der tausend Jahre' im Heurigen (junger Wein). Ober Franz bekommt zunächst einen Herzanfall beim Anblick der rock- und rollenden Jugendgeneration. Allerdings waren diese pickelgesichtigen Peter Kraus-Anbeter noch harmlos gegenüber dem, was in den folgenden Jahrzehnten später folgen sollte. Franz'ens Horrorvisionen sollten sich bewahrheiten:
»Was ist das für eine Jugend, bargeldlos und ohne Tugend?
Revolution, Freie Liebe, Terror, Anarchie, Rauschgift!
Monsieur, Dame - Alarm!«
Wien, 1968:
Nun ist es linkes Studentengesindel, dass sich in Ober Franz' Buschenschank herumtreibt. Dialektisch rief man nun nach Bieren, während man über dem Verfassen diverser Manifeste immer 'fetter' (Wienerisch für besoffen) wurde. Der Wirt wurde in Marx'- und Engel'scher Manier klassenkämpferisch um Freibier anagitiert:
»Der Hemmschuh der Revolte
Saß da und alkoholte
Mit angelaufnen Brillen
Sich geistig einen runter
Und er sang mitunter im trunkenen Chorale
Die Internationale!«
Aber es gab zu jenen Zeiten auch vereinzelte Lichtblicke in dunkelsten Zeiten. Die Götter der Musik und der starken Lieder riefen zum letzten Abendmahl nach Woodstock und auch gleichzeitig zum Abgesang auf 'Love & Peace':
»Ihr Götter, ihr Götter, warum habt ihr mich verlassen?
Hinein mit dem Kopf in den Blumentopf, ich kann es kaum fassen!
Der Flower Power-Nektar schmeckt so ranzig und sauer.
Freedom, Shilom, Love & Peace, ich bin in tiefer Trauer,
Yeah, ob eurer kurzen Dauer!«
Wien, Ende der 70er Jahre:
Nun sind es zwielichtigste Gestalten, die sich in besagter Lokalität herumtreiben. Während diese rotzigen Punker wegen ihrer Lausbubenstreiche lediglich ein paar hinter die Ohrwaschl'n und Lokalverbot benötigen, sind diese dunkelhäutigen Lockenköpfe, die nichts konsumieren und stattdessen lieber so ein komisches Kraut rauchen, eine massive Bedrohung für das Vaterland. Obwohl... bei etwas genauerer Betrachtung wohl eher nicht:
»»And now listen people, I've something to tell you.
Maybe there are problems in this world.
War, rassism and ...äääh... I don't know.
Maybe it's a bad world, but I don't want to see it, oh nonono!
All we have do to is to smoke and kick your troubles away like a coconut.
Yeah, you see - it's easy!«
Einige Promille später - Sperrstunde im Cafè Passé:
Die Gäste, alle 'fett wie ein Radiergummi', (Besoffene und Kinder sagen bekanntlich immer die Wahrheit) haben die Erleuchtung: alle Aufregung umsonst! Alles ist und bleibt beim Alten! Aber man weiß ja nie so genau, was diesen Jugendlichen im neuen Jahrhundert noch so alles einfällt. Nur, was fällt irgendjemandem in Österreich ein, außer einen zu saufen? Dann wollen wir mal hoffen, dass es so bleibt:
»Wien, Du bist ein Sanatorium,
Da tanzen die Kranken im Kreißsaal herum.
Der Oberarzt ist ein Geschichtebuch,
Umgeben von süßem Modergeruch.
Und wenn der Patient mit dem Selbstmitleid ringt,
Vom Stefansturm die Glocke erklingt.
Ein Schrittmacher fürs goldne Wiener Herz
Im Jugendstilrhythmus friedhofswärts.«
Fazit: selten so gallig gelacht... auch aus Bitterkeit über den Werdegang und den heutigen Zustand der EAV. Weder Kurt Waldheim noch Jörg Haider müssen sich noch im Grab umdrehen, denn die Uridee der Ersten Allgemeinen Verunsicherung ist mausetot - Herr, beende dieses Trauerspiel:
»Ich pfeife auf ein nächstes Leben,
Denn dieses ist schon hart genug.
Als kleiner Furz wird man geboren,
Eine Blähung - schon ist man da,
Zum Stinken sind wir auserkoren,
Und schon heißt's Abschied, Servus und Ba-Ba.«
Hoffentlich kann Walter Hammerl, frohlockend mit Harfe auf Wolke 17 sitzend, diesen Stuss nicht mehr hören...
Line-up:
Walter Hammerl (Ober Franz, Gesang, Chor)
Gert Steinbäcker (Gesang)
Thomas Spitzer (Gitarren, Chor)
Nino Holm (Tasteninstrumente, Bass, Chor)
Eik Breit (Bass, Gesang, Chor)
Anders Stenmo (Schlagzeug)
Tracklist
01:Sohn, wo bist du? (2:25)
02:Im Café Passé (1:20)
03:Im Sommer '53 (1:00)
04:Knickerbocker-Rock (3:35)
05:Oh, nur du (3:40)
06:Im Café Passé (1:35)
07:Aberakadabera (3:50)
08:Woodstock (2:50)
09:Im Café Passé (1:45)
10:Wir marschieren (3:04)
11:Alpen-Punk (2:05)
12:Im Café Passé (1:15)
13: Rasta Disasta-Reggae (3:40)
14:Im Café Passé (1:25)
15:Vienna (3:45)
16:Wien, Wien nur du allein (0:45)
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