Fleetwood Mac / Rumours (35th Anniversary Edition)
Rumours Spielzeit: 44:56 (CD 1), 55:41 (CD 2), 65:02 (CD 3)
Medium: CD-Set
Label: Rhino / Warner Music, 2013
Stil: Pop, Rock


Review vom 07.02.2013


Jochen v. Arnim
»Eigentlich wollte ich ja gar keine Rede halten« - haben wir das nicht alle schon einmal irgendwo gehört, inklusive der dann doch folgenden Rede? Und eigentlich muss man gar nichts zu diesem absoluten und unbestrittenen, oft kopierten und nie erreichten Meilenstein der Musikgeschichte schreiben - und dennoch müsst Ihr jetzt hier durch…und ich möchte mit einem kleinen privaten Exkurs beginnen.
Noch ganz genau erinnere ich mich an diesen sonnigen Mittag des 15. Mai 1977, wir waren gerade aus der Kirche gekommen und im elterlichen Haus aufgeschlagen, als mir meine Großmutter ein Paket zu meiner gerade stattgefundenen Konfirmation überreichte, das wegen seiner Abmessungen von ca. 40 x 40 Zentimetern auf einen interessanten Inhalt schließen ließ. Großmütig hatten sie offensichtlich akzeptiert, dass meine Auffassung von einem 'Geschenk fürs Leben' nicht unbedingt mit der ansonsten üblichen Familientradition konform ging und ich dem Silber das schwarze Vinyl vorziehen wollte. Konnte ich dann nur hoffen, dass die Auswahl auch inhaltlich meinen Geschmack treffen würde, ein paar Tipps hatte ich ja in der Familie gestreut. Und siehe da, neben anderen feinen Teilen lag da auch die gerade im Februar erschienene "Rumours" von Fleetwood Mac im Karton. Ich weiß noch, dass ich mich im Laufe des Nachmittags von dannen stahl, um mich mit meinem Freund aus dem Hause DUAL zumindest schon mal kurz den Geschenken zu widmen.
Bereits im Erscheinungsjahr sollte sich abzeichnen, dass es die post-Peter Green-Besetzung geschafft hatte, einen absoluten Volltreffer zu landen. "Rumours" schoss in Großbritannien und in den USA auf Platz 1 und in Deutschland kam die Platte immerhin auf den sechsten Rang. Zigfach mit Gold und Platin überhäuft und mit einem Grammy ausgezeichnet rangiert das Album heute an dritter Stelle der am meisten verkauften Platten weltweit und hat derzeit Platz Nr. 26 in der Hitliste des Rolling Stone der 500 besten Platten aller Zeiten - das macht die Scheibe unbestritten unsterblich. Um diese Unsterblichkeit zu manifestieren, hat sich Warner Music entschieden, den 35. Jahrestag der 'Erscheinung' gebührend zu feiern. Eine Expanded Edition in Form dreier CDs sowie die Deluxe-Variante mit einer zusätzlichen CD, einer DVD und dem originalen Vinyl dürfen die Fans ab sofort erfreuen. Die erste CD (der vorliegenden Expanded Edition) bietet fast 1:1 die alte "Rumours" mit ihren elf Klassikern. Lediglich an zwölfter Stelle hat man noch den Titel "Silver Springs" gesetzt, eine alte B-Seite zur Single-Auskopplung von "Go Your Own Way", die bereits im Dezember 1976 und somit vor dem regulären Longplayer auf den Markt kam.
Auf der zweiten Scheibe darf man bislang nicht veröffentlichten Live-Mitschnitten von der 1977er Rumours-Tournee lauschen. Die Aufnahmen wurden allesamt in Oklahoma City, Tulsa, Nashville und Columbia gemacht und bieten einfach das Beste, das man damals bei einem Konzert von Fleetwood Mac zu hören bekommen konnte. (Ich drücke gerade zum x-ten Mal die Repeat-Taste bei "The Chain", das so herrlich aufregend schön mit Orgelelementen unterlegt daherkommt, in eine fast endlose Jam-Version auszuufern scheint und mit dem gleichfalls gefühlte Stunden dauernden "Rhiannon" zu meinen Favoriten gehört.)
Zu guter Letzt wird auf dem dritten Rundling eine Vielzahl (ebenfalls unveröffentlichter) Aufnahmen aus den Recording-Sessions zu "Rumours" geboten, darunter sehr frühe Takes von "Go Your Own Way", "I Don't Want To Know" oder auch "Silver Springs". Obendrein gibt es ein instrumentales Demo zu "Never Going Back Again" und eines zu "Planets Of The Universe". Diese Komposition stammt von der von mir sehr verehrten Stevie Nicks und brachte ihr mit ihrem späteren Solo-Album "Trouble In Shangri-La" noch einmal einen weiteren Grammy ein.
Ich tue mich ein wenig schwer, hier auf die einzelnen Stücke in musikalischer Hinsicht einzugehen. Fast möchte ich wetten, dass 90 Prozent unserer Leser 90 Prozent des Albums mitsingen oder zumindest mitsummen können. Kaum einem Hörer von "Rumours" werden die in weiten Teilen, dem Anschein nach lockeren und leichten (nicht seichten!!) Arrangements nicht geläufig sein. "Second Hand News", "Don't Stop" oder "Go Your Own Way" sind millionenfach gespielte Klassiker der Pop-(Rock-)Geschichte. Klassiker, die in einer eigentlich unendlich schweren Zeit der Bandgeschichte entstanden sind (und für die man sich auch rund zwei Jahre Zeit genommen hat), denn im Grunde standen die Vorzeichen auf Sturm. Die Band drohte auseinanderzubrechen oder sich zumindest einschneidenden Personalwechseln unterziehen zu müssen. Irgendwie mutete alles an wie das Wer-mit-wem eines großen deutschen Bankhauses. Gründungsmitglied Mick Fleetwood hatte an den Nachwehen seiner Trennung zu knabbern, John McVie (nicht ganz Mitbegründer von 1967, aber dennoch im selben Jahr dazugestoßen) machte Ähnliches bei der Trennung von seiner Frau Christine McVie durch und Lindsey Buckingham (seit 1975 dabei) trennte sich von Stevie Nicks (mit Buckingham 1975 dazu gekommen). Band am Ende, alles klar - sollte man meinen. Irgendwie aber schaffte man es, trotz aller Widrigkeiten in ein und derselben Mission unterwegs zu sein: Fleetwood Mac.
Es ist ja kein Geheimnis, dass Musiker (oder Künstler allgemein) ihre privaten und persönlichen Belange mittels ihrer Werke zu verarbeiten versuchen. Wenn aber eine komplette Truppe aus frisch gescheiterten Beziehungen besteht, dem Frust, dem Schmerz und der Eifersucht auch noch Drogen und andere betäubende Substanzen zugeführt werden, dann kann das nur in die Hose gehen. Jeder von uns würde sagen, dass da nur eine ganz düstere Sache draus werden kann, die kaum einer hören möchte. "Rumours" beschreibt wie wohl kein zweites Album die Situation, in der sich die Band Mitte der siebziger Jahre befunden hat. »The truth about "Rumours" is that "Rumours" was the truth« beschreibt auch Nicks die Angelegenheit in einem einzigen Satz. Rumours (also Gerüchte) waren genau das, was die einzelnen Bandmitglieder jeweils über die anderen oder auch sich selber zu hören bekamen. Ehrlich und voll von tiefen Gefühlen mag man die Songtexte nennen, die in Zeilen wie von z. B. "Gold Dust Woman" ausgedrückt werden, in denen Stevie Nicks auf den Konsum von Kokain abhebt. "Don't Stop" soll in Richtung Beziehungskiste aus dem Hause McVie gehen und auch bei "Go Your Own Way" liegt die Vermutung nah, dass Buckingham seine Ex Nicks meinte, als er zur Feder griff. Therapeutische Aufarbeitung von Beziehungskisten par excellence und zum Wohle der Band spitzenmäßig umgesetzt.
Im Gegensatz zu den teils folkrockig angehauchten Popsongs des regulären Albums bekommt der Käufer mit den Live-Aufnahmen der Tour von 1977 ein feines Kontrastprogramm geboten. Zwar besteht ein Großteil der CD aus einer Schnittmenge mit "Rumours", aber dennoch weiß die Band ihre Blues Rock-Vergangenheit zu Zeiten von Peter Green, Jeremy Spencer oder Bob Welch († 2012) hervorzuholen. Oft driften sie gekonnt in dieses Genre ab, ziehen Songs geschickt in jammige Längen, zollen der Bandgeschichte (und ihren Neigungen) Tribut und kombinieren das mit ihrem neu beschrittenen Weg, der sie in den Olymp der erfolgreichen Musiker führen sollte. Allein schon die beiden weiter oben angesprochenen Songs von der Live-Scheibe reichen als Paradebeispiel für diese Aussage.
Oddities und Rarities nennt man dann den Inhalt der dritten CD, der sich aus vielen, teils ganz frühen Studioaufnahmen im Vorfeld zu den finalen Takes von "Rumours" zusammensetzt. Als alleinstehende Platte würde (und sollte) das wohl niemand kaufen, als Bonusmaterial stellt die Scheibe eine nette und nicht uninteressante Zusammenschau von Material dar, das es in der Form 'nicht geschafft' hat oder die Basis für die letztendlich gültigen Versionen bot. Schön gespielt ist z. B. das akustische Duett zu "Never Going Back Again", vorgetragen von wohl Buckingham und Nicks.
Neben den CDs bietet die Double Gatefold-Edition noch ein gelungenes 20-seitiges Booklet mit Texten zur "Rumours" und Anmerkungen der Bandmitglieder, in denen sie sich dem Album und auch der Jubiläumsausgabe kontemplativ ergehen.
Natürlich gibt es mit den späteren "Tusk" oder Tango In The Night fast ebenso erfolgreiche (schaut man zumindest auf die Platzierungen) Alben Fleetwood Macs und natürlich gibt es andere Live-Alben, dennoch bietet die Kombination beider hier vorliegender Scheiben in Addition der Studio-Takes einen klasse Mehrwert für den interessierten Käufer. Wer sich nach seiner Vinylzeit schon lange mal wieder die "Rumours" zulegen wollte, für den ist jetzt der richtige Moment gekommen. "Rumours", ein Meilenstein? Jawohl, uneingeschränkt, unbedingt und für alle Zeit!
Line-up:
John McVie (bass)
Lindsey Buckingham (guitars, vocals)
Stevie Nicks (vocals)
Mick Fleetwood (drums, percussion)
Christine McVie (keyboards, synthesizers, vocals)
Tracklist
CD 1 (Rumours):
01:Second Hand News
02:Dreams
03:Never Going Back Again
04:Don't Stop
05:Go Your Own Way
06:Songbird
07:The Chain
08:You Make Loving Fun
09:I Don't Want To Know
10:Oh Daddy
11:Gold Dust Woman
12:Silver Springs (B-side)
CD 2 (Live, 1977 Rumours World Tour):
01:Intro
02:Monday Morning
03:Dreams
04:Don't Stop
05:The Chain
06:Oh Daddy
07:Rhiannon
08:Never Going Back Again
09:Gold Dust Woman
10:World Turning
11:Go Your Own Way
12:Songbird
CD 3 (Recording Sessions):
01:Second Hand News (Early Take)
02:Dreams (Take 2)
03:Never Going Back Again (Acoustic Duet)
04:Go Your Own Way (Early Take)
05:Songbird (Demo)
06:Songbird (Instrumental, Take 10)
07:I Don't Want To Know (Early Take)
08:Keep Me There (Instrumental)
09:The Chain (Demo)
10:Keep Me There (With Vocal)
11:Gold Dust Woman (Early Take)
12:Oh Daddy (Early Take)
13:Silver Springs (Early Take)
14:Planets Of The Universe (Demo)
15:Doesn't Anything Last (Acoustic Duet)
16:Never Going Back Again (Instrumental)
Externe Links: