Mick Farren /
Vampires Stole My Lunch Money
Vampires Stole My Lunch Money
Der Mann trinkt zu viel! Das war der erste Gedanke, der mir durch den Kopf schoss, als ich das CD-Backcover vor dem Wühltisch einer Warenhauskette überflog. Kein Wunder bei Songtiteln wie "Half price drinks", "I want a drink", "Drunk in the morning" oder "(I know from) Self destruction".
Angeboten wurde das schöne Stück zum Preis von DM 1,00. Musik von Mick Farren hatte ich zu diesem Zeitpunkt zwar noch keine gehört, kannte seinen Namen jedoch in Verbindung mit Hawkwind und Motörhead, für die er jeweils einen Song mit Lemmy Kilmister geschrieben hatte. Und bei DEM Preis überlegte ich nicht zweimal, ob ich das Teil denn nun zu meiner Sammlung addieren sollte.
Und als ich dann zu Hause vor dem ersten Durchlauf das Booklet (in dem u.a. alle Texte abgedruckt sind) studierte, wurde die Sache immer vielversprechender. 1978 auf dem Höhepunkt der Punk-Ära produziert, hat Farren mit Chrissie Hynde (Pretenders, backing vocals), Larry Wallis (ex-Motörhead, ex-Pink Fairies) und Wilko Johnson (ex-Dr.Feelgood) an den Gitarren und Alan Powell (ex-Hawkwind, Drums) sehr interessante Musiker verpflichten können. Einzig der Bassist Andy Colquhoun, der bei drei Songs auch Gitarrenparts beisteuert, war und ist mir ansonsten unbekannt.
Nach den üblichen Vorbereitungen (kühles Bier, leerer Aschenbecher, bequeme Sitzhaltung einnehmen) wurde dann ganz aufgeregt die Play Funktion des CD-Players betätigt. Beim ersten Song des Albums handelt es sich auch um den einzigen Coversong, 'Trouble comin' everyday" von Frank Zappa's "Mothers of Invention". Und Mick HAT Ärger. Ganz im Spirit des Punk schimpft er und beschwert sich was das Zeug hält. Die Originalversion ist mir leider nicht bekannt und Farren hat den Song so verinnerlicht, dass, wenn Zappa nicht als Komponist aufgeführt wäre, ich nie auf die Idee gekommen wäre, dass es sich um einen Coversong handelt. Die Parallelen zum Punk hören hier jedoch auch schon wieder auf, denn musikalisch handelt es sich weniger um Punk, als vielmehr um rauen, kantigen (Street-) Rock, bei dem vor allem Larry Wallis, der das Album auch produziert hat, durch sowohl melodiöses wie auch kraftvolles Spiel überzeugen kann.
Die Laufzeiten der Songs bewegen sich im angenehmen Rahmen von 1:45 bis 4:03 Minuten und auch die Songs an sich sind abwechslungsreich und verfügen über gute Melodien, so dass die CD mit ihren zwölf Tracks nie langweilig wird. Die sehr guten Texte behandeln vorwiegend ein Thema: Das Leben in der Gosse bzw. Unterschicht im England (London) der Spät-Siebziger. Orientierungslos, wütend, müde vom täglichen Überlebenskampf, aber weit noch nicht Willens aufzugeben, werden Geschichten davon erzählt, wie man in der Winterkälte vor der Haustür der (ex-??) Freundin steht, die genug von einem hat und die Tür einfach nicht mehr aufmacht ("Let me in, damn you"), von den Gedanken eines Mannes, der im Sterben liegt, nach dem er während eines Streits in einer Bar angeschossen wurde ("I don't wanna go this way") oder das sehr düstere, nur von einem Herzschlagbeat unterlegte "(I know from) Self destruction".
Aber die CD ist lange nicht so depressiv, wie sich die obigen Themen vielleicht anhören, da es Mick Farren hervorragend versteht, mit Rock'n'Roll die Trostlosigkeit seiner Proteges (oder singt er doch von sich selbst??) aufzulockern.
Außerdem hat er sich jede Menge Selbst-Ironie bewahrt, so dass er sich selbst nicht zu ernst nimmt, bzw. durchaus noch über sich selbst lachen kann. Abgeschlossen wird die Geschichte dann mit dem zwar etwas traurigen, aber wunderschönen "Drunk in the morning", in dem es darum geht, dass er nach durchzechter Nacht am nächsten Morgen immer noch in der Bar sitzt und überlegt, was er mit dem neuen Tag anfangen soll ("...maybe I'll hide, maybe I'll run, maybe I'll stagger in the light of the sun, maybe I'll stumble, maybe wander, maybe I'll be back when the day is done...").
Meine Scheibe wurde 1988 von der feinen Company 'Line Records' aus Hamburg auf CD herausgebracht. Dass ich sie vor ca. 13 Jahren auf einem Wühltisch gefunden habe, spricht nicht gerade für hohe Verkaufszahlen, so dass ich vermute, dass sie bereits seit einigen Jahren aus dem Katalog gestrichen ist. Aber wer weiß...?? Meiner Meinung eine vergessene Perle, was raue, ungeschliffene und auch mitreißende Rockmusik angeht. Geschmäcker sind verschieden und so mag jeder davon halten, was er will.
Aber eines ist sicher: Mick Farren kommt sehr authentisch rüber und...ich glaub ihm jedes Wort, das er singt.


Spielzeit: 34:10, Medium: CD, Line Records, 1988 (1978/Logo Records)
1:Trouble Coming Every Day 2:Half Price Drinks 3:Don't Want To Go This Way 4:I Want A Drink 5:Son Of A Millionaire 6:Zombie Line 7:Bela Lugosi 8:People Call You Crazy 9:Fast Eddie 10:Let Me In,Damn You 11:(I Know From) Self Destruction 12:Drunk In The Morning
Markus Kerren, 18.08.2005
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