Grobschnitt / Rockpommel's Land
Rockpommel's Land Spielzeit: 45:05
Medium: LP
Label: Metronome Records, 1977
Stil: Rock


Review vom 28.01.2016


Michael Breuer
1979, in der 11. Klasse, sollte ich 'Freiheit' malen. Damit war ich erst einmal überfordert, wie die meisten meiner Mitschüler auch. Doch während ich mich wochenlang grübelnd an das Thema heran robbte, kam eine Kommilitonin auf einen segensreichen Gedanken und suchte sich ein passendes Plattencover als Vorlage, immer in der Hoffnung, der Lehrer möge dieses Plagiat nicht bemerken. Es war das Coverbild von "Rockpommel's Land".
Damals kannte ich Grobschnitt noch nicht, doch das gemalte, naiv schöne Bild mit dem großen Vogel faszinierte mich ebenso wie meine Kollegin. So hab ich mir die Platte gekauft und bin in ein neues Universum eingetaucht. Klar war ich auch vorher schon progressiver Musik zugetan, daher fiel dieser Tropfen auf einen fruchtbaren Nährboden und Konzeptalben mit langen Stücken mochte ich eh' besonders gern.
Die märchengleiche Geschichte vom kleinen Ernie, der seinem Tagtraum folgt und in einer fernen Welt mit seinem Freund, dem großen Vogel Maraboo in ein von bösen Wesen, den Blackshirts, bewachtes Land zieht und die dort gefangenen guten Geister dieser unterdrückten Welt befreit, die fabelhaften Illustrierungen dazu auf der Platte und – natürlich und vor allem – die wunderbare, fast mediterran fröhlich, lockere und zugleich immer auch dramaturgisch perfekte musikalische Inszenierung haben mich damals so sehr berührt, dass "Rockpommel's Land" zu meiner meist gehörten Platte wurde; damals, kurz vor dem Erwachsen-Werden.
Dabei war das Werk zu diesem Zeitpunkt schon zwei Jahre alt – es erscheint mir heute übrigens noch genau so frisch und inspirierend wie damals.
Mit diesem überragenden Album grenzen sich Grobschnitt aus Hagen gerade durch die beschriebene Leichtigkeit von den oftmals viel schwerer zugänglichen Werken von YES, Genesis oder erst recht Van Der Graaf Generator ab, sie kreieren eine Art von Rockoper, die die Lebensfreude früher Santana-Scheiben ausatmet, ohne mit dieser Art Musik auch nur annähernd verwandt zu sein. Prog Rock ohne die besonders bei deutschen Bands beliebte Schwermut, voller herrlicher Einfälle und musikalischer Wendungen, eine Reise wie durch ein kleines Paradies. Und die glasklaren, unverzerrten Gitarrensoli sind Dein Reiseleiter, sie führen Dich wie ein guter Freund, fast wie der Vogel Maraboo durch einen knallbunten Kosmos, wunderbar gebettet auf dem Soundteppich eines epischen Orgel-Imperiums, oft garniert mit akustischer Gitarre und Eroc's unvergleichlichen klanglichen Experimenten – ein Soundtrack für ein modernes Fantasy-Märchen.
Die LP besteht aus drei langen Stücken, "Ernie's Reise", "Severity Town" und "Rockpommel's Land", die durchgängig in Thema wie in Atmosphäre musikalisch dicht und stimmig die Geschichte wiedergeben. Nur zu Beginn der zweiten Seite gibt es ein kleines Interlude mit der traumhaft schönen Ballade "Anywhere", die auf mich schon immer wie eine kurze, zusammenfassende Essenz der Handlung gewirkt hat, wie ein Song in den Songs und die nicht nur dem kleinen Ernie Mut machen soll, sondern jedem, der sich auf diese Musik einlässt. Tut sie auch! Passend dazu der romantisch, melodiöse Rahmen, getragen von akustischen Gitarren und einem besonders dezenten Keyboard, auf den Punkt gebracht mit einem kurzen genialen E-Gitarrensolo. Mich hat es immer an das einmalige und für die siebziger Jahre so typische "Remembering" der ungarischen Omega erinnert – wer's denn noch kennt…
Zum finalen Höhepunkt wird es dann fast orchestral bombastisch, wenn die Orgel in einem geradezu sakralen Crescendo kulminiert – doch es wäre nicht Grobschnitt, wenn am Ende des epischen Ausklangs nicht plötzlich ein paar Stimmen und Gelächter im Hintergrund keinen Zweifel bei Dir aufkommen lassen würden: Nimm das alles nicht zu ernst, allzu dramatisch wollen wir es dann doch nicht. Ein kleiner Gag am Schluss, wie schon am Ende der Seite 1, wenn Ernie erschöpft darüber nachdenkt, ob er die Platte umdrehen, oder sich noch einen weiteren Hot Dog gönnen soll. Erst später habe ich dann mitbekommen, dass auf den Vorgänger-Platten noch sehr viel mehr von solcher Art Grobschnitt'schem Humor zu finden war und ist.
Jahre danach, nun mit den Frühwerken hinreichend ausgestattet, erkannte ich auch den musikalischen Wandel, den die Band hin zu "Rockpommel's Land" vollzogen hat. Wie hieß es einst bei Woody Allen? »Der Kokon hat sich geöffnet«.
Ein Wunsch ist mir leider nie in Erfüllung gegangen, ich habe die Band nie live gesehen, was geradezu ein Sakrileg darstellt, sind doch die alten Grobschnitt-Shows für ihren Witz und Einfallsreichtum weit über die Grenzen hinaus berühmt (gewesen). Möge diese Sünde eines Tages getilgt werden, da denn die zweite Generation, Söhne der Ur-Band in den letzten Jahren teilweise den Part ihrer Väter übernommen hat – also bleibt am Ball, Freunde und gebt mir noch einmal eine Chance!
Line-up:
Eroc (Schlagzeug, Effekte)
Lupo (Gitarren)
Mist (Keyboards)
Popo (Bass)
Wildschwein (Gesang, Akustische Gitarre)
Tracklist
Seite 1:
01:Ernie's Reise (10:56)
02:Severity Town (10:05)
Seite 2:
03:Anywhere (04:13)
04:Rockpommel's Land (20:55)
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