Helloween / Expanded Edition
Expanded Edition Expanded Edition
Expanded Edition Expanded Edition
Nach den Scorpions und Accept waren die Hamburger Helloween die erste deutsche Formation der härteren Gangart, die in den Achtzigern auch außerhalb ihres Heimatlandes beachtliche Erfolge verbuchen konnte. Vor allem in Japan und Südeuropa erfreuen sie sich noch immer großer Beliebtheit. Zudem gehören die Hanseaten neben Iron Maiden zweifelsfrei zu den einflussreichsten Heavy Metal Musikern der letzten fünfundzwanzig Jahre. Es gibt wohl kaum eine Band im melodischen Power Metal Bereich, deren Sound nicht von Helloween geprägt wurde. Man muss sich nur einmal angesagte Acts wie Edguy oder Stratovarius anhören, um nur mal zwei der bekanntesten zu nennen. Ohne den Einfluss der frühen Werke der Hamburger würde so manche Metal-Scheibe heutzutage anders klingen, soviel steht fest. Und um diese Frühwerke soll es nun hier gehen, denn die wurden gerade in Form von vier amtlichen 'Expanded Edition'-Box Sets mit massig rarem Bonusmaterial wiederveröffentlicht.
Die erste Box "Walls Of Jericho" ist auch gleichzeitig die umfangreichste und längste der vier Re-Releases und kommt als Doppel-CD daher. Neben dem eigentlichen Album enthält CD Nr.1 noch Helloweens legendäre erste EP von 1985, mit der die Band in den Medien erstmals größere Beachtung fand. Die fünf teilweise noch stark von Judas Priest und Iron Maiden geprägten Songs trafen damals auch genau den Geschmack des Publikums, was den Hanseaten sehr bald eine treue Anhängerschaft verschaffte. Die originelle Mischung aus harten Riffs, den eingängigen Gesangslinien von Sänger und Gitarrist Kai Hansen und der melodischen, zweistimmigen Gitarrenarbeit klingt auch nach zwanzig Jahren noch frisch und unverbraucht. Gerade Songs wie "Starlight" und "Victim Of Fate" sind absolut zeitlos.
Nur wenige Monate später erschien Anfang 1986 endlich das Debüt Album "Walls Of Jericho", das erneut im Berliner 'Musiclab' Studio unter der Obhut von Harris Johns eingespielt wurde. Helloween setzten ihre auf der EP eingeschlagene Marschrichtung konsequent fort und verfeinerten ihren Stil noch. Wieder gab es technisch nahezu perfekten Power/Speed Metal der Spitzenklasse zu hören. Die Songs waren noch eingängiger und abwechselungsreicher als auf dem Vorgänger und ernteten durchweg gute Kritiken. Auf der Platte ist meiner Ansicht nach nicht ein einziges schwaches Stück enthalten, und sie ist ein absoluter Meilenstein der deutschen Heavy Metal-Geschichte und zusammen mit der EP noch immer mein Helloween Lieblingsalbum. Es ist nur bedauerlich, dass sich heutzutage außer "How Many Tears" kaum noch ein Titel dieser Scheibe ins Live Programm der Band verirrt. Dafür hat "Ride The Sky" immer noch seinen festen Platz in der Setlist von Kai Hansens neuer Truppe Gamma Ray, die auch das bereits erwähnte "Victim Of Fate" gelegentlich mal zum Besten gibt. Den Abschluss der ersten CD bildet dann das kurz nach "Walls Of Jericho" nur als Maxi-Single veröffentlichte "Judas" das wohl aufgrund der begrenzten Spielzeit des Vinyls keinen Platz mehr auf dem Album gefunden hat. Qualitativ steht die Nummer dem Rest des Albums in Nichts nach.
Das Bonusmaterial auf CD Nr.2 ist ebenfalls nicht von schlechten Eltern. Zwar finde ich die Remix Versionen "Ride The Sky" und "Murderer" eher überflüssig, dafür sind die Live Versionen von "Ride The Sky" und "Guardians" umso wertvoller. Diese stammen von der B-Seite der "Judas"-Maxi und sind heute sehr schwer zu finden. Einen echten Leckerbissen stellen allerdings "Metal Invaders" und "Oernst Of Life" dar, die die größten Helloween-Raritäten überhaupt sein dürften. Mit diesen beiden Songs gab die Band 1984 auf einem Label-Sampler ihrer Plattenfirma 'Noise Records' ihren Vinyleinstand. Da dieser Sampler mit dem unpassenden Titel "Death Metal" aufgrund seines etwas geschmacklosen Covers nach kurzer Zeit wieder aus dem Verkehr gezogen wurde, ist das Teil heute ein gesuchtes Sammlerstück.
1987, ein Jahr nach "Walls Of Jericho" erschien bereits "Keeper Of The Seven Keys -Part I", der erste Teil einer Trilogie, die im letzten Jahr ihren Abschluss fand und für zahllose junge Musiker noch immer eine schier unerschöpfliche Inspirationsquelle darstellt. Da die Band sich in kurzer Zeit musikalisch stark weiterentwickelt hatte, beschloss man sich mit Michael Kiske einen neuen Sänger zu verpflichten, so dass sich Kai Hansen fortan nur noch auf sein Gitarrenspiel konzentrieren brauchte.
Auf "Keeper…Part I" hatten die Hamburger ihren Stil perfektioniert und lieferten ihre bis dato ambitionierteste Scheibe ab. Die Kompositionen, die zum größten Teil von Kai Hansen stammten, waren um einiges ausgefeilter, vielfältiger, aber mitunter auch kommerzieller ausgefallen. Sie reichten von Melodic Speed Nummern wie "I'm Alive" und "Twilight Of The Gods" über die wunderschöne Ballade "A Tale That Wasn't Right" bis hin zu dem dreizehnminütigen, sehr vertrackten "Halloween". Mit ihrem bis heute größten Hit "FutureWorld" zeigten sie sich sogar von einer recht popigen Seite. Durch die Fähigkeiten von Sänger Michael Kiske eröffneten sich den Musikern ganz neue Möglichkeiten ihre Ideen umzusetzen, und mit "A Little Time" brachte er sich auch gleich als Songwriter mit ein. Seine großartige Stimme sorgte von Anfang an für großes Aufsehen und trug nicht unwesentlich zum Erfolg der Band bei. Noch heute zählt er zu den besten und meist kopierten Metal Sängern der Welt. Bedauerlicher Weise distanziert er sich mittlerweile aus religiösen Gründen komplett von dieser Art Musik.
Die Platte selbst schlug damals ein wie eine Bombe, und schaffte mit fünfhunderttausend verkauften Exemplaren sogar den Einstieg in die deutschen Charts. Auch im Ausland brachte sie der Gruppe große Popularität ein, was ihr ermöglichte u.a. in England und den U.S.A. zu touren.
Die "Keeper…Part I" Box ist im Vergleich zum Vorgänger etwas spärlicher ausgefallen und erscheint nur als einfache CD. Neben dem Album sind leider nur vier Bonustracks enthalten, aber auch darunter sind wieder absolute Raritäten. Neben einer "Alternative Version" von "A Little Time" und einer gekürzten "Video Edit" Fassung von "Halloween" gibt es Neueinspielungen von "Starlight" und "Victim Of Fate" mit Michael Kiske am Mikro zu hören. Die beiden Stücke waren damals nur als B-Seiten der "Future World"-Picture Disc, bzw. "Dr. Stein"-EP erhältlich. Allein diese Perlen rechtfertigen schon den Kauf.
Mit der 1988 erschienenen Fortsetzung der "Keeper Of The Seven Keys" Saga konnten Helloween ihren Erfolg vor allem im Ausland noch gewaltig ausbauen. Die Band spielte auf dem legendären 'Monsters Of Rock' Festival in England, was damals für jeden Metal Musiker einem Ritterschlag gleichkam.
Später erhielt sie die Möglichkeit Iron Maiden auf ihrer Europa Tour zu begleiten. Musikalisch war "Keeper…II" für meinen Geschmack etwas schwächer ausgefallen als "Part I". Gerade einige der von Gitarrist Michael Weikath komponierten Songs wirken mit ihren fröhlichen, kinderliedartigen Melodien arg kitschig. Spötter bezeichneten Songs wie "Eagle Fly Free", "Rise Or Fall" oder das als Single ausgekoppelte "Dr. Stein" einmal treffend als 'Happy Metal'. Sehr gelungen war hingegen das ebenfalls von Weikath geschriebene monumentale Titelstück "Keeper Of The Seven Keys", bei dem er sich von seiner ernsteren Seite zeigte. Sänger Michael Kiske bewies mit "You Always Walk Alone" und "We Got The Right", dass er sich mittlerweile auch als Songschreiber etabliert hatte.
War auf "Keeper…I" Kai Hansen noch für den Löwenanteil des Materials verantwortlich, steuerte er mit "March Of Time", der zweiten Single "I Want Out", sowie den damaligen CD Bonustrack "Save Us" gerade mal drei Songs bei, die aber ganz klar zu den Besten des Albums zählen. Zur Überraschung aller verkündete er kurz nach der 'Pumpkins Fly Free'-Tour seinen Ausstieg, da ihm der Trubel und der Tourstress zu viel wurden, womit der Titel "I Want Out" eine ganz andere Bedeutung bekam. Wenig später gründete Hansen zusammen mit dem früheren Tyran Pace-Sänger Ralf Scheepers, Gamma Ray, die ironischerweise fast noch populärer wurden als seine alte Band, und die man heute als so etwas wie den Gralshüter des klassischen Helloween-Sounds betrachten kann.
Auch auf der dritten Box wurde nicht mit Bonusmaterial gegeizt, so das aus "Keeper…Part II" wieder eine Doppel CD geworden ist. Das sehr popige "Livin' Ain't No Crime" und das knallharte "Savage" stammen beide von der "Dr. Stein"-EP die damals nur im seltenen '3-Zoll'-Mini-CD-Format erschien. "Don't Run For Cover" wurde der "I Want Out"-Maxi-Single entnommen. Weniger interessant sind hingegen die remixten Fassungen von "Keeper Of The Seven Keys" und "Dr. Stein", die sich kaum von den Originalen unterscheiden.
Nach den beachtlichen Erfolgen der beiden "Keeper…"-Alben wurde Helloweens Höhenflug auf unangenehme Weise ausgebremst. Zwar fand man mit dem heutigen Masterplan-Gitarristen Roland Grapow schnell einen neuen fähigen Mann an den sechs Saiten, aber aufgrund eines langwierigen Rechtstreits mit ihrer Plattenfirma war die Band einige Jahre praktisch handlungsunfähig.
1991 erschien dann endlich das nächste Album mit dem lächerlichen Titel "Pink Bubbles Go Ape", mit dem die Hamburger leider nicht ganz an alte Erfolge anknüpfen konnten. Zwar bewegen sich die Songs auf gewohnt hohem technischen Niveau, aber für meinen Geschmack hatten sich die Musiker inzwischen sehr weit von ihren eigentlichen Wurzeln entfernt. Durch die Tatsache, dass mittlerweile vier Leute am Songwriting beteiligt waren, von denen jeder seine eigenen Einflüsse mit einbrachte, wirkt die Scheibe über weite Strecken zu experimentell und orientierungslos. Man vermisst einfach die gradlinige Handschrift eines Kai Hansen, die den ursprünglichen Helloween-Stil maßgeblich mit geprägt hat. Aber trotz allem hat "Pink Bubbles…" einige große Momente, und ist weit davon entfernt eine schlechte Platte zu sein. Besonders "Back On The Streets", "Someone's Crying" und "Mankind" an deren Entstehung Gitarrist Roland Grapow beteiligt war, sowie die von Kiske im Alleingang verfassten "Kids Of The Century" und "Your Turn" gehören zu meinen persönlichen Highlights, wogegen das ziemlich banale "Number One" und das alberne "Heavy Metal Hamsters" mir noch immer echte Schmerzen bereiten. Alles in allem eine gelungene, wenn auch nicht überragende Scheibe.
Leider ist auch die Qualität der Bonussongs diesmal nur recht durchschnittlich ausgefallen. Die Coverversion des alten Elvis-Hits "Blue Suede Shues" und "You Run With The Pack" können sich echt hören lassen. "Shit And Lobster" und das an Gary Moore "Parisienne Walkways" angelehnte Instrumental "Les Hambourgeois Walkways" sind dagegen eher Mittelmaß und können mit den Bonusstücken der anderen Re-Releases nicht ganz mithalten.
Fazit: Die 'Expanded Edition'-CD's sind eine absolut lohnenswerte Anschaffung. Sämtliche Titel wurden remastert (was man auch wirklich hört). Die Gestaltung muss einfach als vorbildlich bezeichnet werden. Alle vier Booklets wurden reichhaltig illustriert und mit sehr informativen Linernotes versehen. Zudem sind alle Songtexte abgedruckt, auch wenn man für das Lesen der "Pink Bubbles…" Texte eine Lupe benötigt.
Helloween Fans sollten sich diese Schmuckstücke auf jeden Fall in die Sammlung stellen, und jungen Melodic Metal-Fans, die schon immer mal wissen wollten, von welcher Band ihre Helden nach Herzenslust ihre Ideen klauen sollten hier auch zuschlagen.


Spielzeit:
Walls Of Jericho Disc 1: 72:05, Disc 2: 34:35,
Keeper Of The Seven Keys Part I: 57:06,
Keeper Of The Seven Key Part II Disc 1: 55:00, Disc 2: 31:52,
Pink Bubbles Go Ape: 60:39 Min.,
Medium: CD, Noise Records/Sanctuary, 2006
Walls Of Jericho Disc 1: 1:Starlight 2:Murderer 3:Warrior 4:Victim Of Fate 5:Cry For Freedom 6:Walls Of Jericho 7:Ride The Sky 8:Reptile 9:Guardians 10:Phantoms Of Death 11:Metal Invaders 12:Gorgar 13:Heavy Metal(Is The Law) 14:How Many Tears 15:Judas
Disc 2: 1:Murderer(Remix) 2:Ride The Sky(Remix) 3:Intro/Ride The Sky(Live) 4:Guardians(Live) 5:Oernst Of Live 6:Metal Invaders 7:Surprise Track

Keeper Of The Seven Keys-Part II: 1:Initiation 2:I'm Alive 3:A Little Time 4:Twilight Of The Gods 5:A Tale That Wasn't Right 6:Future World 7:Halloween 8:Follow The Sign 9:Victim Of Fate(Single B-Side) 10:Starlight(Remix) 11:A Little Time(Alternative Version) 12:Halloween(Video Edit)

Keeper Of The Seven Keys-Part II Disc 1: 1:Invitation 2:Eagle Fly Free 3:You Walk Alone 4:Rise And Fall 5:Dr. Stein 6:We Got The Right 7:March Of Time 8:I Want Out 9:Keeper Of The Seven Keys 10:Save Us
Disc 2: 1: Savage( B-Side) 2:Livin' Ain't No Crime(B-Side) 3:Don't Run For Cover(B-Side) 4:Dr. Stein(Remix) 5:Keeper Of The Seven Keys(Remix)

Pink Bubbles Go Ape: 1:Pink Bubbles Go Ape 2:Kids Of The Century 3:Back On The Streets 4:Number One 5:Heavy Metal Hamsters 6:Goin' Home 7:Someone's Crying 8:Mankind 9:The Chance 10:Your Turn 11:Blue Suede Shoes(B-Side) 12:Shit And Lobster(B-Side) 13:Les Hambourgeois Walkways (B-Side) 14:You Run With The Pack(B-Side)
Stefan Gebauer, 04.04.2006