Humble Pie / Up Your Sleeves
Up Your Sleeves
"I - DON'T - NEE-EED - NO - DOCTOR …"

Wer Anfang der 70er Jahre Rockfan war, der wird diesen elektrisierenden Schrei wohl noch immer im Ohr haben. Steve Marriott auf dem legendären Humble Pie-Album "Performance: Rockin´ the Fillmore East" von 1972. Eine der höchstgelobten Live-Scheiben jener Zeit, kraftstrotzender, schweißtreibender Rock von einer Band, die auf der Bühne wie ein Vulkanausbruch gewesen sein muss. Geschürt von Bandleader Steve Marriott, dem kleinen R&B-Berserker.
Neulich sah ich aus der Reihe "King Biscuit Flower Hour" einen weiteren Livemitschnitt von Humble Pie mit dem Titel "Up Your Sleeves" im Versand. Die Informationen dazu waren ebenso spärlich wie der Preis. Also mal auf gut Glück das Teil bestellt, zumal es als 'Qualitiy Live Concert Performance' angepriesen wurde. Die Erwartungen waren bei mir nicht allzu groß, als ich die CD einschmiss. Doch was strömte da aus meinen feinen Dynaudios? Eine Feuerwalze, Lava pur, auf der ein Dämon mit seinem unirdischen Gefolge durch mein Wohnzimmer tobte.
Humble Pie auf dem absoluten Höhepunkt, noch besser, heißer als 1972. Marriott natürlich unverkennbar, aber wer war sonst in der Band? Einzig die Songtitel sind auf dem mickrigen Booklet zu finden, immerhin ein Live-Foto, der zweite Gitarrist könnte 'Clem' Clempson sein, der Peter Frampton ersetzt hatte. Dazu gibt´s schwarze Sängerinnen, die später auch vom Boss groß vorgestellt werden. Ich will das jetzt genau wissen, also wo nachschlagen? Natürlich zuerst im RockTimes-Archiv und was haben wir da? Manni Hüthers Portrait Steve Marriot/The Roadrunner"
Ich darf den geschätzten Kollegen zitieren:
"Steve begann, das Programm umzustellen und entwickelte einen kompakten R&B Sound, er gliederte das schwarze Gesangstrio The Blackberries (Venetta Fields, Billy Barnum und Clydie King) in Humble Pie ein. Die faszinierenden Liveauftritte der Band nahmen immer mehr den Stil eines Musiktheaters an. Steve rappte zwischen den Songs, sein Gesang war mit die beste Soulstimme in der Musikwelt.
30 Days in the Hole von der 72er Platte Smokin' zeigte den Stil der neuen Humble Pie exemplarisch: Steve fingerschnippend in amüsiertem Gesangstraining mit seinen "Soul Sisters". Das Album wurde wie die darauffolgende USA-Tournee ein voller Erfolg… Nach zwei weiteren Alben Thunderbox und Street Rats und nach insgesamt 21 USA-Tourneen trennten sich Humble Pie 1975."
The Blackberries waren die früheren 'Ikettes' aus der Ike&Tina Turner-Revue, Jerry Shirley (dr) und Greg Ridley (bs) bildeten das druckvolle Rückgrat der Band.
Also, ein Auftritt von diesen sagenhaften 21 Tourneen quer durch die Stadien und großen Hallen war für den U.S.-Radio-Sender mitgeschnitten worden (wahrscheinlich 1973). Ich kann nur sagen - welch ein Glück. "Beautiful people of San Francisco - welcome the world´s finest Humble Pie!" die Ankündigung des Hallensprechers sagt eigentlich schon alles. Die Songauswahl lässt keine Wünsche offen, dass sie sich teilweise mit der von "Performance" überschneidet, sollte eher ein Anreiz sein, die Entwicklung der Band anhand der drei Titel nachzuvollziehen. Clempson´s Einstieg machte Humble Pie noch dynamischer!
"Hot n´Nasty" - was für ein treffender Titel zum Auftakt, mit einer schwelgenden Small Faces-Orgel (ein Gastmusiker?). Und das ist noch das schwächste Stück auf der Platte. Dann die erste der gesungenen Überleitungen (die allein schon das Geld wert sind) mit rauchenden Boogieriffs zu "Honky Tonk Woman", von der die Stones und alle ihre Klone als Liveact nur träumen können. Bei "Hallelujah, I Love Her So" kommt das neue Bandkonzept erstmals so richtig zur Geltung. Wechselseitige Lead- und Chorgesänge, die Twin Guitars und dann ein astreines Soulfinale mit "Fever"/"Walk Right In". Anschließender knallharter Bluesrock mit "4 Day Creek", wahrscheinlich mit Greg Ridley am Mikro. Bei "Blues I Believe To My Soul" zeigen Marriott und Clempson, welches Bluesfeeling in ihnen steckt. "Clem" (von Marriott als 'Bitch' tituliert) eröffnet den Song mit einen starken Intro auf seiner Gibson, der Chef steigt ein und dann geht´s mit den beiden Les Pauls ab, wie in Fleetwood Mac's besten Zeiten. Gary Moore sollte sich das mal ganz genau anhören, so bluest das!
Als die Chormädels mitmischen, kommen satte Gospeltöne dazu. Das Ganze erinnert sehr an Cocker's 'Woodstock'-Auftritt mit einem ekstatischen Marriott am Ende. In der Richtung geht´s dann mit "30 Days" weiter, diesmal allerdings klar rockmäßig ausgerichtet. Im Mittelteil ein weiteres spannendes Gitarrenduett. "C´mon Everybody" - Eddy Cochran hätte seine helle Freunde an der energiegeladenen Version gehabt, die den Rock´n Roll auf der Höhe der Zeit zeigt. AC/DC haben da wohl eine Lektion gelernt. "Roadrunner" und "Doctor" bilden, getrennt vom kompakten Hardrocker "Up Your Sleeves" ein grandioses Finale mit nochmal 25 Minuten der besten Jam-Rockmusik, die wohl damals auf der Bühne zu erleben war (womit ich natürlich nicht ausschließlich Humble Pie meine).
Marriott bedankt sich bei den begeisterten Fans: "We had a great time!"
Yeah Man!
Wenn man seinen Wunsch nach einer heißen R&B-Truppe kennt und ihn so toben hört , dann muss Marriott wohl am Ziel seiner Wünsche gewesen sein. Ein mitreißender Performer und Rock-Entertainer, gesegnet mit einer Röhre, die seither nicht wieder gleichwertig zu hören war - ein Naturereignis auf der Bühne. Er glühte wie eine Supernova und so war leider auch sein Ende ... Shine on Steve!
Die Soundqualität ist wirklich gut (allerdings sind die Tracks 1,2 und 10 recht diffus und teilweise unausgewogen, stammen sie vielleicht von einem zweiten Gig?), also auch in dieser Hinsicht ein Genuss!
Und wer nicht genießt ist ungenießbar ....


Spielzeit 75:32 Min. Medium CD, Disky Records 2002
1:Hot n´Nasty (7:18) 2:Honky Tonk Woman (5:33) 3:Hallelujah, I Love Her So (7:31) 4:4 Day Creep (3:32) 5:Blues I Believe To My Soul (7:24) 6:30 Days In The Hole (7:48) 7:C´mon Everybody (7:14) 8:Road Runner (12:19) 9:Up Your Sleeves (3:45) 10:I Don´t Need No Doctor (13:01)
Norbert Neugebauer, 04.01.2006