Jimi Hendrix / The Cry Of Love
The Cry Of Love Spielzeit: 51:15
Medium: LP
Label: Reprise Records, 1971
Stil: Rock


Review vom 09.12.2007


Norbert Neugebauer
"The Cry Of Love" war die erste 'offizielle' posthume Veröffentlichung Jimi Hendrix', die 1971 erschien. Sie stammte aus den Aufnahmen für ein angebliches zweites Doppelalbum, dem Nachfolger von "Electric Ladyland", das Hendrix in seinem eigenen Electric Lady-Studio in New York aufgenommen und zusammen mit Eddie Kramer und Mitch Mitchell produziert hatte. Neben "Cry Of Love" wurden die dabei entstandenen Titel auch auf den weiteren Alben "War Heroes" und "Rainbow Bridge" in der Folge gestreut.
Nach dem Tod von Hendrix gab es jahrzehntelange Streitigkeiten um die Nachlass-Rechte, die 1995 auf 40 - 100 Millionen Dollar geschätzt wurden. Zunächst schlug die Plattenfirma bzw. der damalige Verwalter größtmöglichen Gewinn aus dem musikalischen Erbe, ohne Rücksicht auf das Vermächtnis des einflussreichsten Rock-Gitarristen. Neben den genannten Studio-Outtakes und teils obskuren Compilations erschienen in großer Zahl Live-Mitschnitte, sowohl offiziell, als auch als Bootlegs, oft von sehr minderer Qualität. All das führte nicht nur bei den Fans zu stetiger Frustration, sondern hinterließ in der Musikwelt einen mehr als zwiespältigen Eindruck. So fand "Cry Of Love" trotz des anfänglichen Charterfolgs in den USA nie die gebührende Aufmerksamkeit als Anfang eines neuen Hendrix-Kapitels, das leider auch das letzte sein sollte.
Umso bedauerlicher, denn der Über-Gitarrist, innovativ und bahnbrechend mit seiner Spieltechnik, seinem Bühnen-Equipment, seinen Studioproduktionen und nicht zuletzt seiner Show, blieb progressiv. Statt der weitschweifenden Soundcollagen mit ihren bis dato nie gehörten Studioeffekten (die live zu der Zeit noch nicht reproduzierbar waren und deshalb auch teilweise nie gespielt wurden), kehrte er mit seinem Space-Blues zum kompakteren Songformat zurück. Zwischen hochenergetischen Rockknallern mit viel Funk tauchten auch folkbluesige Stücke auf, die einen deutlich gereiften, stellenweise auch lyrischen Hendrix zeigen. Verblüffend, denn bekanntlich führte er neben seinen endlosen Auftritten das ausschweifende Leben des Kultstars par excellence bis zum bitteren Ende.
"Freedom" ist der erste Rockkracher mit einem verzerrten Funk-Gitarrenriff, das sich durch den ganzen Song zieht und teilweise in die markanten Soli übernommen wird. Billy Cox' Bass, der schon beim Intro mit einem schönen Stereo-Effekt pluggert, pumpt kräftig und Mitchell setzt mit differenziertem Spiel auf den Becken Glanzlichter. Die beiden sind das perfekte Rückgrat für das neue Material. Dazu singt Hendrix wesentlich kraftvoller, als man bis dahin vom ihm gewohnt war. Gepusht wird seine Stimme von einem auf der gesamten Produktion öfters eingesetzten Backgroundchor, in dieser Form eine weitere Neuerung gegenüber den früheren Songs. Mit "Drifting" folgt die erste langsame Kontrastnummer. Ein Slowblues, sphärisch dahingleitend mit übereinandergelagerten singenden Gitarrenlinien (teilweise mit Leslie-Effekten), einigen Vibraphon-Tupfern und surrealen Versen. Hendrix überrascht dabei auch mit weicher, melodiöser Stimme - kaum zu glauben, dass dieser begnadete Musiker ständig Drogen brauchte, um sich selbst zu trimmen.
Der dritte Track, "Ezy Ryder" (in Jimis ureigenster Comic-Schreibweise) schließt an den ersten an, Hendrix verdichtet den Sound immer mehr mit seinen sich aufschaukelnden Gitarrenparts, Breaks und erneuten Drivesteigerungen; Cox bildet diesmal das Rhythmusgespann mit Buddy Miles (wer die Bongos spielt, ist leider nicht erwähnt), für den Hintergrundgesang sorgen die Trafficer
Steve Winwood und Chris Wood. Witzig ist, dass eine Unaufmerksamkeit von Eddie Kramer bei der Aufnahme für den nochmal aufgezogenen Schluss sorgte. Wie weit Hendrix spiel- und produktionstechnisch seiner Zeit voraus war, zeigt sich bei "Night Bird Flying", ein Stück Musik vollgepackt mit unterschiedlichen Rhythmen, Sounds, Stilen; gleichermaßen Rock wie Fusion, dabei aber immer noch klar strukturiert. Hendrix verwendete hierfür Schnipsel aus 32 verschiedenen Takes des Songs - zu dieser Zeit war nur Miles Davis (mit dem er zusammenarbeiten wollte) im Studio auf ähnlichem Level.
Mit "My Friend" folgt die wohl ungewöhnlichste Nummer, die auch nicht für das neue Doppelalbum vorgesehen war und aus dem Jahr 1968 stammt. Jimi jammte damals mit seinen alten Kumpels aus dem Greenwich Village und ließ dabei das Band mitlaufen. Eine persiflierte Session mit Gläsergeklirr und Dazwischengequatsche, Applaus und einem Hustenanfall am Ende, very bluesy und von ansteckender Relaxtheit. Jimi spielte Bass, sang und improvisierte dabei eine durchgeknallte Story Dylan-like. Ken Pine von den Fugs sorgte mit seiner 12-saitigen Gitarre für das Grundgerüst, Paul Caruso blies eine smoothe Harp und Jimmy Mayes klopfte den Rhythmus. Nachträglich fügte dann Hendrix noch ein paar E-Gitarrenparts dazu, die den Song richtig rund machten. Eddie Kramer sei dank, dass diese verrückte Nummer mit veröffentlicht wurde.
"Straight Ahead" ist dagegen ein weiteres Ergebnis intensiver Studioarbeit des Trios, das aber trotz aller technischen Finessen etwas zäh aus den Boxen kommt. Einfacher gestrickt und rockiger ausgerichtet, sorgt "Astro Man" für mehr Schwung und lässt die Beine zu dem Pseudo-Comic-Soundtrack zappeln. Bei "Angel" begegnen wir noch einmal thematisch und in der Songanlage "Little Wing", allerdings mit einem fulminanten Ende. Satter Heavy Rock dann mit "Into From The Storm" - die härteste Nummer und Jimi einmal als Jimmy (Page) mit einem spacigen Background-Chor. Das Album endet mit dem nicht fertig gestellten Blues "Belly Button Window" (über Mitchells schwangere Frau), der gerade wegen seines Demo-Charakters besonderen Reiz hat und einen fast schon intimen Abschied von dem großen charismatischen Jimi darstellt, der vor wenigen Tagen 65 Jahre alt geworden wäre.
Eine Wertung von "Cry Of Love" als Album fällt, da von Hendrix nicht mehr selbst veröffentlicht und die Songauswahl von seinen Nachlassverwaltern vorgenommen wurde, schwer und selbst nach so langer Zeit muss sich der Hörer auf seine 'neue' Musik einstellen. Auch die Klangqualität lässt zu wünschen übrig. Aber lohnenswert allemal, dieses in der Rockwelt wohl am wenigsten bekannte, letzte Kapitel des Gitarrenmagiers aufzuschlagen und dabei zu sinnieren, wie es wohl weitergegangen wäre. Gerade diese Aufnahmen (und die weiteren der Electric Lady-Studio-Sessions) zeigen nachdrücklich, dass seither nie mehr solche Quantensprünge in der Spielweise der E-Gitarre vollzogen wurden und dass alles Heutige auf seinen Innovationen beruht. Die fast unumschränkte Achtung und Bewunderung die ihm so viele große Gitarristen entgegenbringen, ist der Beleg. Auch wenn das Gros in ihren Tributsongs seltenst auf die letzten Hendrix-Kompositionen zurückgreift und stattdessen die altbekannten Titel aufwärmt.
Alle Tracks der damaligen Sessions für das geplante Doppelalbum wurden unter der Regie von Eddie Kramer 1997 als "First Rays Of The New Rising Sun" als erste von der Hendrix-Familie lizenzierte Produktion veröffentlicht. Die 17 Titel, von den Originalbändern neu abgemischt, stellen somit den Schlusspunkt des einzigartigen Schaffens dar. Spekulation bleibt aber auch hier, ob Hendrix selbst eine Auswahl daraus getroffen und in welcher Reihenfolge er sie zusammengestellt hätte. Trotz aller Restaurationsversuche des früheren Chefingenieurs und deutlicher Klangverbesserungen sind aber noch immer Soundunterschiede festzustellen, die das Alter allzudeutlich zeigen.
Tracklist
01:Freedom
02:Drifting
03:Ezy Ryder
04:Night Bird Flying
05:My Friend
06:Straight Ahead
07:Astro Man
08:Angel
09:In From The Storm
10:Belly Button Window
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