Nina Hagen / Original Album Classics
Original Album Classics Spielzeit: 42:38 (CD 1), 41:20 (CD 2), 42:15 (CD 3)
Medium: 3CD
Label: Sony Music, 2011 (1978, 1982, 1984)
Stil: Rock, Synthie-Pop, Disco


Review vom 20.03.2012


Steve Braun
Es gab wohl kein anderes Album einer deutschen Band, das in den Siebzigern derart krachend in die Musikszene einschlug wie "Nina Hagen Band". Das war Rotz, Dreck, Ironie, Sex, eine unglaublich gute Band und eine einzigartige... Stimme triffts eigentlich nicht ganz! Dass die Nina Hagen Band den völlig falschen Namen trug, dass sie eigentlich Spliff feat. Nina Hagen hätte heißen müssen, wurde erst ein paar Monate später deutlich, als sich die 'Band' selbständig machte. Und dass sich der Geisteszustand der Hagen bereits bei Minute 1:40 auf ihrem ersten Rockalbum offenbaren sollte (»...meine Schaltstellen sind hinüber...«), wurde erst im Nachhinein deutlich. Sind wir schonungslos ehrlich: Seit "Nina Hagen Band" hat die Punkerin/Atheistin/Ufologin/Buddhistin/Jesus-Freaköse (hab ich was vergessen?) nix halbwegs Vergleichbares auf die Rille gebracht!!!
In ihrer "Original Album Classics"-Serie bringt Sony Music seit Jahren Original-Veröffentlichungen mit unbearbeitetem Sound, im der LP nachempfundenen Cover und 3er- oder 5er-Pack zu einem äußerst günstigen Preis heraus. Neben der o. g. Platte hat man sich bei der Hagen für "NunSexMonkRock" und "Fearless" entschieden. Ihre Fans werden ganz sicher "Unbehagen" vermissen, aber die Entscheidung, diese zweite und letzte Veröffentlichung der Nina Hagen Band hier nicht ins Paket zu nehmen, ist absolut nachvollziehbar! Man kann nämlich durchaus auf dem Standpunkt stehen, dass "Unbehagen" die erste Spliff-Platte war. Die Band, allesamt Vollblutmusiker und -profis, war nämlich völlig genervt von der ebenso exzentrischen wie unzuverlässigen Frontfrau. Im Studio hat man sich jedenfalls nicht mehr gesehen - die Band machte die Musik und die Sängerin irgendwann ihre Gesangsspuren fertig. Das fertige Produkt war und ist auch heute noch irgendwie gespenstisch, gespalten, fast schon schizophren...
Sonys Entscheidung, Ninas erstes Soloalbum "NunSexMonkRock" und die englische Version ihres 'Zweitlings' "Angstlos" dem Package beizufügen, darf man somit als durchaus weitsichtig und gelungen bezeichnen.
Nina Hagen Band"Nina Hagen Band" ist selbstredend das Sahneschnittchen dieses Triples, keine Frage! Auch wenn man dieses Album in der Nachbetrachtung eher als einen Vorläufer der genialen Spliff Radio Show ansehen kann. Mit diesem unheimlich dichten Sound klang "Nina Hagen Band" seinerzeit überhaupt nicht 'deutsch' - das hatte höchstes internationales Format und an dieser Einschätzung hat sich auch nach über dreißig Jahren nichts geändert. Hier zeigt sich auch, dass die unbestreitbare Genialität der Hagen in ein enges Korsett gelegt werden muss. Als sie sich später 'selbstverwirklichen' konnte, verstrickte sie sich zunehmend in den Wirren ihrer Hirnwindungen...
Die Songs auf "Nina Hagen Band" darf man als nationales Kulturgut begreifen und als bekannt voraussetzen. Zu solchen Perlen wie dem The Tubes-Cover "TV Glotzer", "Rangehn", "Unbeschreiblich weiblich" oder "Auf'm Bahnhof Zoo" muss man einfach keine Worte mehr verlieren. Es sind eher die weniger eingängigen Nummern, die heutzutage wahre Begeisterungsstürme hervorrufen. "Naturträne" kann in seinem ätzenden Spott als prophetische Weissagung des Niedergangs von Bündnis 90/Die Grünen begriffen werden, wenn man den Text dahingehend interpretieren möchte. Das hitzig-schwüle "Heiss" und vor allem "Auf'm Friedhof" zählen zum Besten, was der Deutschrock jemals hervorgebracht hat. Mehr noch: Für meinen Geschmack konnte bis dato keine Produktion etwas vergleichbares zeitigen! Göttlich auch "Der Spinner", den ich als Persiflage auf so manche verschwurbelte Ostrock-Schmonzette begreife. Wie schon gesagt: Die Hagen setzt ihr Stimmvolumen auf "Nina Hagen Band" sehr gezielt ein und offenbart eine Mannschaftsdienlichkeit, die sie auf den folgenden Produktionen nie wieder zeigen sollte.
NunSexMonkRockDas erste Soloalbum der exzentrischen Dame bestätigt diese These. "NunSexMonkRock" erschien 1982 und wurde in der avantgardistischen Kultur-Kapitole New York aufgenommen - Einflüsse, die man durchaus hören kann. Es ist eine Schande: Wenn sich Nina Hagen hier etwas zurückgehalten hätte, wäre ein weiterer Geniestreich möglich gewesen. Immerhin arbeitete sie mit Größen wie Chris Spedding (guitars), Paul Shaffer (keyboards) und Karl Rucker (bass, synthesizers) zusammen, aber Gezirpe, Gequietsche, Gekieckse, Geträller und Gegrunze zerstören nahezu jeden noch so guten Ansatz. Man muss also deprimiert konstatieren, »das Fleisch war willig, aber der Geist schwach!«
Trotzdem muss man "NunSexMonkRock" wohl als bestes Soloalbum der Hagen bezeichnen, was weniger der Sängerin als den beteiligten Weltklassemusikern geschuldet scheint. Anspieltipps? "Smack Jack", "Dread Love", "Future Is Now" und "UFO" - aber nur, wenn's die als Karaoke-Versionen gäbe!!!
Fearless"Fearless", die englischsprachige Version von "Angstlos", erschien 1984 und trägt eindeutig die Handschrift des damaligen Disco-Gurus Giorgio Moroder. Dieser vermochte es zwar offensichtlich, die Exzentrikerin an die Kette zu legen, aber dafür klingt dieses Album wie einem muffigen Disco-Sumpf entsprungen. "Flying Saucers", "The Change" und "Silent Love" hätten wohl Amanda Lear besser zu Gesicht gestanden. "Zarah" wird nach einem sehr schönen Einstand als Marlene Dietrich-Remake (»Ich weiß, es wird einmal ein Wunder gescheh'n...«) gnadenlos versemmelt. "New York, New York" oder "Springtime In Paris" hätte Moroder problemlos jedem anderen seelenlosen Plastik-Projekt unterjubeln können. "My Sensation" und "T.V. Snooze" zeigen wenigstens einige halbwegs passable, NDW-kompatible Ansätze. Einziges Glanzstück ist die gnadenlos gute Funk-Nummer "What It Is", die Nina Hagen mit den beiden Pepperonis Anthony Kiedis und 'Flea' Balzany komponiert hatte.
Nach einer größtenteils grausigen dreiviertel Stunde stellt sich die Frage: Na, immer noch "Angstlos"? Da kann einen das kalte Grausen packen...
Fazit: Allein wegen "Nina Hagen Band" lohnt sich die Anschaffung dieses 'Dreiers', wenn man mit der spartanischen Ausstattung kein Problem hat. Wer seine Ängste derart im Griff hat, dass die beiden anderen Scheiben keine Panikattacken verursachen, kann sich einen Überblick über die Frühphase der Solokarriere der Hagen verschaffen - ein Überblick reicht auch völlig aus...
Tracklist
CD 1 "Nina Hagen Band":
01:TV-Glotzer (White Punks On Dope)
02:Rangehn
03:Unbeschreiblich weiblich
04:Auf'm Bahnhof Zoo
05:Naturträne
06:Superboy
07:Heiss
08:Fisch im Wasser
09:Auf'm Friedhof
10:Der Spinner
11:Pank
CD 2 "NunSexMonkRock":
01:Antiworld
02:Smack Jack
03:Tiatschi - Tarot
04:Dread Love
05:Future Is Now
06:Born In Xixax
07:Iki Maska
08:Dr. Art
09:Cosmic Shiva
10:UFO
CD 3 "Fearless":
01:New York, New York
02:My Sensation
03:Flying Saucers
04:I Love Paul
05:The Chance
06:Silent Love
07:What It Is
08:T.V. Snooze
09:Springtime In Paris
10:Zarah
 
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