Kansas / Two For The Show - 30th Anniversary Edition
Two For The Show - 30th Anniversary Edition Spielzeit: 73:16 (CD1), 75:10 (CD2)
Medium: Do-CD
Label: Epic, 2008 (1978)
Stil: Symphonic Rock


Review vom 05.12.2008


Boris Theobald
Jahrgang 1981 bin ich, Prog-Liebhaber der 'Generation Dream Theater'. Mit dem Prog-Virus wurde ich in der zweiten Hälfte der 90er Jahre infiziert. Mit Dream Theater, Queensrÿche
und Fates Warning begann meine Liebe, die mit Symphony X und mit zig anderen 'jüngeren' Prog Metal-Bands ihre Fortsetzung erfuhr. Doch die in den 80ern entstandenen 'Klassiker' des Prog Metal blieben für mich stets das höchste der Gefühle in Sachen technischer Brillanz, vertracktem Songwriting und Gänsehaut erregender Perfomances. Bis ich feststellte, dass jene Bands das Rad gar nicht erfunden hatten, dass sie viele wahnsinnig kreative Wegbereiter speziell in den 70er Jahren hatten, dass es neben meinen Prog Metal-Klassikern noch viel, viel mehr Prog Rock-Klassiker gab und gibt.
Diese galt es fortan zu erforschen. Die 'üblichen Verdächtigen' waren schnell gefunden: Yes, Genesis & Co. und alles, was sonst noch so komplex musikalisch britelte. Doch auf der Suche speziell nach den Wurzeln des heutigen Prog Metals ist ein Blick über den großen Teich unabdingbar! In Kanada hat das Trio Rush musikalische Barrieren eingerissen - in den USA war es zeitgleich ein Sextett: Kansas! Auf die stieß ich zunächst durch Yngwie Malmsteens Coverversion von "Carry On Wayward Son"... ja, Kansas sind durch ein paar wenige Dauerbrenner im Classic Rock Radio wie diesem weltbekannt - "Point Of Know Return" und die Akustikballade "Dust In The Wind" gehören auch dazu. Doch die straighten Rocker sind nur eines von mehreren Gesichtern von Kansas - außergewöhnliche, epische Longtracks gehören ebenso zu den 'klassischen' Kansas der 70er Jahre. Und deren gesamte Quintessenz versammelt sich auf diesem legendären Livealbum aus dem Jahre 1978, "Two For The Show", das zum 30-jährigen Jubiläum mit einer üppig bestückten Bonus-CD neu aufgelegt wurde.
"Two For The Show" ist ein auch für heutige Verhältnisse grandios klingendes Live-Dokument, das sich anhört, als würde man gerade mitten im Publikum stehen. Die Aufnahmen haben Kansas 1977 und 1978 auf drei Tourneen in verschiedenen Arenen gemacht und mühselig die Perlen unendlich vieler Mitschnitte herausgesucht. Auch das erklärt die ausnahmslose Perfektion der virtuosen Künstler, die im Begleit-Booklet darauf bestehen, dass all ihr Material bar jeder Overdubs und sonstiger Studio-Nachbereitungen ist - sie hatten ja auch ordentlich Auswahl. Welch ein Feuerwerk, das die Jungs hier abbrennen, so unglaublich vielschichtig - die Kansas von damals bestanden gleich aus zwei Gitarristen, zwei Keyboardern (und damit meine ich keine einfachen Tastendrücker), zwei Lead-Sängern, zwei Haupt-Songschreibern (Sänger Steve Walsh und Gitarrist/Keyboarder Kerry Livgren) und natürlich: einem Geiger, Robby Steinhardt - welche Band kann schon mit einem solchen aufwarten?
Kansas kann! Und wie. Steinhardt liefert sich atemberaubende Soloduelle und Parallelläufe mit den Lead Gitarren. Er übernimmt vielfach die Rolle, welche später den Keyboards im Prog Metal zufällt. Mit dem Unterschied, dass Kansas ja auch über Synthesizer- und Klavierklang verfügten - jedoch zusätzlich. Das öffnete den kreativen Supermusikern Tür und Tor zum virtuosen Glücklichsein. Das mehr als acht Minuten lange "Journey From Mariabronn" ist ein hervorragendes Beispiel für einen von vielen epischen Songs mit instrumentalen Kabinettstückchen zum Zungeschnalzen und, nicht zu vergessen, märchenhaft schöner Melodien. Vom seinerzeit hastig aufgenommenen Debütalbum aus dem Jahr 1974 stammt dieses Stück und versprüht in dieser Live-Version noch ein Vielfaches mehr an Esprit.
Stücke wie dieses mit minutenlangen Instrumental-Passagen, in denen sich komplexe Melodien über Rock-übliche Grenzen hinaus ausbreiten dürfen, haben der Band das Prädikat Symphonic Rock eingebracht - der prägende Klang eines klassischen Orchesterinstrumentes tat sein Übriges dazu. Der "Song For America" zählt auch dazu, mit seiner lang gestreckten, instrumentalen Themenvariationen zu Beginn und im Mittelteil, mit seinen genialen Spannungsbögen und Tempo- und Rhythmuswechseln. Und natürlich "Magnum Opus". Bis heute ist davon meist 'nur' der einzige Part mit Gesang, "Howling At The Moon", zu hören. Doch hier präsentieren Kansas die Vollversion samt aller wilden und teils avantgardistisch anmutenden Instrumental-Exerzizien und bombastischem Finale. Und auch hier gewinnt die beseelte Live-Version gegenüber der ohnehin schon bestechenden Studiofassung - eingeleitet wird sie zusätzlich durch ein lange Zeit mysteriös verquertes, von Effekten begleitetes Gefiedel, das sich schließlich in das majestätische "Magnum Opus"-Thema auflöst - ganz großes Kino, episch - dramatisch - symphonisch!
Doch es gibt ja auch die anderen, straighten Songs von Kansas, die freilich auch in ihren Longtracks nie zu rocken vergessen haben. Dazu gehört das im Classic Rock-Gewand auftretende "Portrait (He Knew)", das nahtlos in den bereits erwähnten Charterfolg "Carry On Wayward Son" übergeht - und die Flieger-Hymne "Icarus - Borne On Wings Of Steel", ein Mix aus zauberhafter Melodie und hart rockendem Riffing genau so wie das berühmte "Point Of Know Return". Auch dieses ist mit einer markanten Geigen-Hookline ausgestattet - irgendetwas Besonderes hat jedes einzelne Kansas-Stück an sich, sei es noch so eingängig.
Nicht nur die Geige macht Kansas so unverkennbar - es ist auch die Stimme von Steve Walsh, einem der begnadetsten Rocksänger aller Zeiten. Was er schon im Studio einst auf Vinyl zauberte, das toppt er auf "Two For The Show" ein ums andere Mal. Auf niemanden trifft der im Englischen so gern bemühte Ausdruck einer 'soaring voice' so zu wie auf Steve Walsh. Besonders live bricht er nochmals aus dem Korsett der bestehenden Aufnahmen aus, voller Inbrunst und Ekstase, höher und weiter. Bei "Song For America" und "Paradox", zum Beispiel - und natürlich bei der Gänsehautnummer "The Wall" - für mich eine der betörendsten Melodien der Rockgeschichte! Andererseits muss sich Walsh natürlich schön an die vorgegebenen Noten halten bei all den zahlreichen Stellen, die er parallel mit Robby Steinhardt singt. Auch die klingen fantastisch - das Duett aus klarer, hoher und bäriger, sonorer Stimme ist auch ein unwiederbringlicher Teil von Kansas, nachdem Steinhardt 2006 der Band zum zweiten Mal und dieses Mal wohl endgültig lebe wohl gesagt hat.
Das besondere Geburtstagsgeschenk der Band an ihre "Wheatheads" ist die Bonus-CD, die das Live-Erlebnis mit etlichen Songs aus genau der gleichen Periode noch einmal um dieselbe Spielzeit verlängert - alles bislang unveröffentlicht, außer "Closet Chronicles", das einst auf der "Two For The Show"-Doppel-LP zu finden war, auf die CD aber nicht mehr gepasst hatte. Nun haben wir dieses so unglaublich facettenreiche Schmuckstück also wieder! Und dazu mit "Hopelessly Human" und "Cheyenne Anthem" noch weitere enorm vielseitige, wandlungsfreudige Glanzstücke der 'symphonischen' Seite von Kansas, die zum allgemein weniger bekannten Fundus der Band zählen, und bei all denen sich Steve Walsh und Robby Steinhardt die Lead Vocals untereinander aufteilen.
Die Bonus-Disc zeugt noch mehr als der ursprüngliche Teil von "Two For The Show" von den Live-Qualitäten dieser Band und zeigt Kansas überaus variationsfreudig. Den Bluesrocker "Lonely Street" jammen sie sich auf 8:20 Minuten hoch, den Superrocker "Child Of Innocence" auf 7:47 Minuten und das eigentlich superkurze, Rock'n'Roll-lastige Band-Frühwerk "Bringing It Back" auf quicklebendige, Tanzbein-schwingende 7:07 Minuten - hier geht dem erstaunten Fan das Herz auf! Und das erst Recht beim verträumten Longtrack "Miracles Out Of Nowhere", das mit einem Orgelsolo mittendrin überrascht.
Das alles macht die Neuauflage für Fans zum Pflichtkauf - "Two For The Show" an sich ist es seit 30 Jahren ohnehin schon. Unglaublich, wie viel Leben in diesen Live-Darbietungen steckt! Und die CD ist auch ein optimales "Best Of" der Band - bis heute! Kaum zu glauben, dass Kansas zum Zeitpunkt der Aufnahmen seit dem Debüt 1974 mit "Kansas", "Song For America", "Masque", "Leftoverture" und "Point Of Know Return" schon fünf Studioalben raus gebracht hatten, eines großartiger als das andere. "Two For The Show" entstand sozusagen auf dem Höhepunkt der Band, die das gleiche kreative Level nie mehr ganz erreicht hatte. 2006 habe ich Kansas live in Deutschland gesehen. Die Setlist unterschied sich so gut wie gar nicht von "Two For The Show" - das unterstreicht die Zeitlosigkeit dieses Meilensteins.
Line-up:
Phil Ehart (percussion)
Kerry Livgren (keyboard, guitar)
Robby Steinhardt (violin, vocals)
Dave Hope (bass)
Steve Walsh (vocals, keyboard)
Rich Williams (guitar)
Tracklist
CD 1:
01:Song For America
02:Point Of Know Return
03:Paradox
04:Icarus-Borne On Wings Of Steel
05:Portrait (He Knew)
06:Carry On Wayward Son
07:Journey From Mariabronn
08:Dust In The Wind - Acoustic Guitar Solo
09:Lonely Wind - Piano Solo
10:Mysteries And Mayhem
11:Excerpt From Lamplight Symphony
12:The Wall
13:Magnum Opus
CD 2:
01:Hopelessly Human
02:Child Of Innocence
03:Belexes
04:Cheyenne Anthem
05:Lonely Street
06:Miracles Out Of Nowhere
07:Drum Solo - The Spider
08:Closet Chronicles
09:Down The Road
10:Sparks Of The Tempest
11:Bringing It Back
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