Karthago / Live At The Roxy
Live At The Roxy Spielzeit: 60:20
Medium: CD
Label: Bacillus Records (Bellaphon), 1976
Stil: Krautrock


Review vom 19.09.2007


Jürgen Bauerochse
Karthago formierten sich im September 1971 in Berlin, als Joey Albrecht und Gerald Hartwig, die bisher als Blues Machine durch die deutschen Clubs getingelt waren, zusammen mit Ingo Bischof (keyboards), Thomas Goldschmidt (percussion) und Wolfgang Brock (drums) einen Probenraum mieteten. Bereits einen Monat später enterten sie ein Aufnahmestudio und spielten ihr erstes Album "Karthago" ein.
Obwohl dieses »Debüt-Werk wohl etwas übereilt entstand« (Pressetext), kam die LP mit ihrer »simplen und guten Rockmusik« (Sounds) doch sehr gut an und »setzte in der deutschen Rockmusik neue Maßstäbe« (Musik Express). Mit »gutem alten Schlicht-Rock mit enormen Drive« (RHEIN-Zeitung) stellte sich Karthago auf allen wichtigen deutschen Festivals vor und wurde durchweg positiv bewertet.
Das zweite Album "Second Step" aus dem Jahr 1973 wirkte dann schon ausgereifter, und mit "Rock'n'Roll Testament" (1975) gelang der Gruppe schließlich ihr Durchbruch in der Krautrock-Szene. Die Musikpresse überschlug sich förmlich. So sprach Sounds vom »bisher besten Rockalbum einer deutschen Band«.
Fast genauso sensationell wie diese Produktion, wurde auch ein Wechsel im Band Line-up von Karthago bewertet, denn im November 1974 stieg der ehemalige Jethro Tull-Bassmann Glen Cornick bei den Berlinern ein. Er war an den ersten drei Alben der Mannen von Ian Anderson beteiligt, gründete danach seine eigene Band Wild Turkey, die bis zu seinem Wechsel in die geteilte Stadt zusammen blieb.
Bei dem Mitschnitt "Live At The Roxy", der bei zwei Gigs am 20. und 22. Januar 1976 in Hamburg und Berlin aufgezeichnet wurde, war er aber schon wieder auf die Insel zurückgekehrt.
Jetzt war »Karthago zerstört« (POP), konnte aber trotzdem auf dieser Frühjahrstour noch einmal überzeugen. Schon gleich beim Opener wird klar, wie die Songs von Karthago oftmals gestrickt sind. Eingängige Riffs an Anfang und Ende und dazwischen reichlich Improvisationen an den Keyboards. "Sound In The Air" vom Album "Rock'n'Roll Testament" hat Ohrwurmcharakter. Dieser recht ruhige Song besteht aus einem gängigen Mitsing-Refrain, der etwas an Epitaph erinnert und wäre absolut radiotauglich, wenn es denn einen passenden Sender für solche Klänge geben würde.
Etwas heavier geht es dann beim Titeltrack zur Sache. Die Gitarre dominiert. Dabei gibt Joey Albrecht ein sehr intensives Solo von sich, das von schönem Harmoniegesang umrahmt wird. Wirklich ein schönes Stück Musik.
Es folgt ein erster Ausflug mit Überlänge. "The Second String Rambler" driftet in Funk-Bereiche ab. Die Percussions liefern einen unheimlich dichten Rhythmus-Teppich, auf dem sich die Gitarre so richtig ausbreiten kann. Nach ca. vier Minuten beginnt Thomas Goldschmidt in schönster Santana-Manier an den Bongos zu wirbeln und erhält für die nächsten 180 Sekunden die ungeteilte Aufmerksamkeit der Zuhörer. Der Song nimmt dann wieder Fahrt auf und wird gleich wieder durch eine Keyboard-Einlage gestoppt. Krautrock at his best. Ingo Bischof lässt es nur so zirpen, zischen und wabern, dass man aus dem Staunen nicht mehr rauskommt. Noch einmal eine Tempoverschärfung und die zwölf Minuten sind schon um.
Der nächste Song "Wild River" geht dann in Richtung Jazz. Keyboards und Drums & Percussion beherrschen das Feld. Nicht so ganz meine musikalische Kragenweite, aber durchaus nicht schlecht anzuhören.
Das zweite Mammut-Werk des Albums schließt sich an. Diesmal wird es wieder etwas rockiger. Gitarre und Stimme führen ein Zwiegespräch, nach einem Break wird das Tempo verschärft, und das Ganze geht dann in ein Synchron-Duett von Tasten und Vocals über. Auch das ist ganz typisch für den Krautrock der damaligen Zeit. Genau wie das doch sehr stark ausgedehnte progressive Gitarrensolo, das sich nahtlos anschließt. Der Song droht fast auszuufern, findet dann aber doch wieder zu seinem Ursprung zurück. Dieser Titel ist wirklich keine leichte Kost, und wer mit dieser Musik nicht aufgewachsen ist, wird sich mit dem Verständnis relativ schwer tun.
Als Zugabe ist das allseits beliebte und immer wieder gern gecoverte "Going Down" zu hören. Würde mich echt mal interessieren, wer diesen Song schon alles in der Mache hatte. Auch diese Version ist absolut hörenswert.
Zum Abschied gibt es dann noch einen straighten Rocker. "See You Tomorrow In The Sky" geht ohne Schnörkel in die Vollen. Der ideale Rausschmeißer.
Nach dieser Live-CD war die Geschichte von Karthago so gut wie besiegelt. Es gab noch das wenig beachtete Album "Love Is A Cake" im Jahr 1978, bei dem außer Albrecht und Drummer Ringo Funk niemand mehr dabei war, die "Live At The Roxy" eingespielt haben.
Im Jahr 2003 meldete sich die reformierte Band mit einem Gig im Berliner Soultrain zurück.
Line-up:
Joey Albrecht (guitar, vocals)
Ingo Bischof (keyboards, vocals)
Gerald Hartwig (bass)
Thomas Goldschmidt (percussion)
Ringo Funk (drums)
Reinhard Bopp (guitar, vocals)
Tracklist
01:The World Is Like A Burning Fire (5:17)
02:Sound In The Air (4:50)
03:Rock'n'Roll Testament (4:44)
04:The Second String Rambler (12:15)
05:Wild River (6:44)
06:Highway Seeker (Did Nobody Tell You) (15:49)
07:Going Down (5:02)
08:See You Tomorrow In The Sky (3:32)
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