Karthago / Rock'N Roll Testament
Rock'N Roll Testament Spielzeit: 40:44
Medium: CD
Label: MiG Music, 2011 (1974)
Stil: Krautrock


Review vom 26.04.2011


Steve Braun
Wenn ich Krautrock hören möchte, greife ich spontan zu Frumpy, Nektar, Kraan oder Atlantis - und zwar in dieser Reihenfolge. Wenn man mich allerdings nach meinem persönlichen Lieblingsalbum dieser Ära fragt, schießt mir sofort Karthagos "Rock'N Roll Testament" durch den Kopf. Mann, hat dieses Album einen irren Groove - so etwas gab es in Deutschland davor und danach nicht mehr. Als hätte man Santana mit den - und das meine ich ausdrücklich nicht despektierlich (!!) - Les Humphrey Singers gepaart. Puren Rhythmus mit schrill-bunter Lebensfreude vereint...
Kurz vor den Aufnahmen zu "Rock'N Roll Testament" im Jahr 1974 hatten zwei Gründungsmitglieder Karthago verlassen: Bassist Gerald Hartwig (der zwei Jahre später zurückkehrte) und Schlagzeuger Norbert 'Panzer' Lehmann. Die schwierige finanzielle Situation der Band war hier ebenso ursächlich wie gruppendynamische Prozesse - augenzwinkernd angemerkt: Jaja, die guten, alten Siebziger...
Ein Schlagzeuger war mit dem Mannheimer Konni Bommarius schnell gefunden, allerdings waren alle deutschen Bassisten 'in festen Händen'. Also begann man, sich auf der 'Insel' umzuschauen, aber welcher Brite wollte damals schon freiwillig auf ein winziges Eiland mitten im 'roten Meer'? Es war damals schon eine gewaltige Sensation, dass man den früheren Jethro Tull-Tieftöner Glenn Cornick verpflichten konnte. Dieser hatte gerade die von ihm gegründete Band Wild Turkey verlassen und war fortan mit seinem amerikanischen Straßenkreuzer die Attraktion auf dem Kudamm. Als Klasse-Bassist und supernetter Typ passte er hervorragend zu Karthago.
Wie Produzent Cornelius Hudalla nachdenklich in den Liner Notes reflektiert, ist wohl kein anderes Album Karthagos derart 'generalstabsmäßig' vorbereitet worden. Nach dem erfolgreichen Vorgänger "Second Step", der den Durchbruch markierte, wollte man die 'dritte Stufe' mit einem ganz großen Schritt erreichen. Inmitten ihrer Karriere schrieben sie also bereits ihr Testament, das "Rock'N Roll Testament" - irgendwie bezeichnend, denn nach dem nächsten Studioalbum, "Love Is A Cake" (1978), war Schluss. Im Gegensatz zu allen anderen Karthago-Alben, die größtenteils von der gesamten Band komponiert wurden, beruhte "Rock'N Roll Testament" auf der äußerst inspirierten Zusammenarbeit zwischen Sänger und Gitarrist Joey Albrecht (Musik) und Tom Cunningham (Texte).
Albrecht hörte zu dieser Zeit gerne 'funkigen' US-Kram, der sich mit 'Pedro' Goldschmidt als neuem zweiten Perkussionisten enorm gut umsetzen ließ. Zur damaligen Zeit gab es wohl keine zweite Formation in Deutschland, die ähnlich rhythmisch agieren konnte.
Gleich mit dem 'Opener' "Hard-Loving Woman" wird dies deutlich: Traumhaft perlende Double-Leads eröffnen und danach klingt es, als habe man Carlos Santana und Skynyrds Honkettes ins Studio geholt. Ein Song mit Hitpotenzial auf höchstem internationalen Niveau. "We Gonna Keep It Together" atmet lässig-treibendes Westcoast-Feeling und wird von Ingo Bischoffs überirdisch gutem Grand Piano-Solo gekrönt. Geradezu dramatisch-opulent ist "Now The Irony Keeps Me Company" arrangiert - ebenso tief wie die beiden Vorgänger in der US-amerikanischen Popularmusik verwurzelt.
Der Titelsong "Rock'N Roll Testament" erinnert in seiner ungeschliffen-rauen Art, erneut an Skynyrds-Frühphase. Joey Albrecht jault mit der damals gerade aufkommenden Talkbox in dem Blues "The Creeper" ganz so, wie man das von Peter Frampton kennt. "Back Again" geht warm und 'funky' direkt in Bauch und Beine - sensationell in seiner Simplizität ist der Mitgröhl-Refrain. Im verträumten "Sound In The Air" lauscht man ergriffen Ingo Bischoffs überaus charakteristischem Mini-Moog - so hörte man das später auch bei Kraan nach seinem Einstieg dort.
"Highway Five" fackelt ein wahres Funk Rock-Feuerwerk ab - hier stimmt einfach alles: Gesang, Chöre, Joeys exzellente Gitarrenarbeit, die treibenden Percussions ebenso wie die hüpfenden Bassfiguren Glenn Cornicks. Mit "For Kathy" wird wieder mal gekonnt Santana zitiert, inklusive der asthmatisch röchelnden Hammond eines Gregg Rolie. "See You Tomorrow In The Sky" ist keinem Geringeren als Jimi Hendrix gewidmet und darf wohl als das 'Perlchen' dieser zeitlos guten Scheibe bezeichnet werden. Warum wohl? Weil ich hier wieder meine Lieblings-Südstaatler Lynyrd Skynyrd zu hören glaube.
Wow, was für ein Brett! Besser hat Krautrock niemals geklungen. Karthagos "Rock'N Roll Testament" ist essenziell für jede Plattensammlung. Großer Dank geht an MiG Music für diese Neuauflage eines Klassikers - ach was: DES deutschen Rockklassikers!!
Line-up:
Joey Albrecht (lead vocals, guitars)
Ingo Bischoff (organ, grand piano, clavinet, electric piano, Mini-Moog, vocals)
Glenn Cornick (bass)
Konni Bommarius (drums)
'Pedro' Tommy Goldschmidt (congas, bongos, timbales, drums, vocals)
Tom Cunningham (harmony vocals)

Gäste:
Vicky Brown, Barry St. John, Joanne Williams (backing vocals on - #1, 3, 9)
Tracklist
01:Hard-Loving Woman (3:38)
02:We Gonna Keep It Together (5:14)
03:Now The Irony Keeps Me Company (3:21)
04:Rock'n'Roll Testament (4:24)
05:The Creeper (4:04)
06:Back Again (4:07)
07:Sound In The Air (5:09)
08:Highway Five (3:43)
09:For Kathy (3:02)
10:See You Tomorrow In The Sky (3:47)
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