John Lewis / European Encounters
European Encounters Spielzeit: 75:18
Medium: CD
Label: Essential Jazz Classics (Atlantic Records), 2013 (1962)
Stil: Jazz


Review vom 06.11.2013


Wolfgang Giese
John Lewis - für Jazzfreunde geht dieser Name einher mit einer Institution des Jazz, nämlich dem Modern Jazz Quartet (MJQ), war er doch Pianist und Leader dieser Formation. Doch auch nebenbei war der am 3. Mai 1920 geborene und am 29. März 2011 verstorbene Musiker aus Illinois stets recht aktiv. Spiegelte sich seine gleichermaßen bestehende Leidenschaft für Jazz und klassische Musik in der Musik des MJQ wider, so galt das grundsätzlich für seine Kompositionen. Während seines Aufenthalts in Europa im Jahre 1962 ergab sich die Chance, mit einigen europäischen Jazzmusikern zu musizieren mit dem Ergebnis, dass diese beiden, ehemals auf Atlantic Records veröffentlichten Platten entstanden - nun als Reissue auf einer CD vereint. Die Titel eins bis sieben entstanden am 2. und 3. Juli 1962 in Stockholm, der Rest in Baden-Baden am 30. Juli 1962. Dabei ist der Titel vierzehn allein vom The Zagreb Jazz Quartet aufgenommen worden.
Die bekannten europäischen Begleiter waren Svend Asmussen, ein typischer Swing-Violinist im Stile von Joe Venuti, sowie Stephane Grappelli und Albert Mangelsdorff, den wir hier in der Zeit vor seinem Eintritt in die avantgardistische Jazzbewegung antreffen, also noch in feinster Hard Bop-Tradition. Böse Zungen mögen das, was sich mit dem ersten Titel, "If I Were Eve", eröffnet, als 'Kaffeehausmusik' bezeichnen. Dabei klingt es wahrscheinlich nur ungewöhnlich, weil hier kein Saxofon als Soloinstrument zu hören ist, sondern stattdessen eine Violine. Und genau diese Violine hört sich eben nicht so an wie in einem Symphonieorchester. Da passt schon eher die Nähe zum Gypsy Swing eines Grappelli. Und doch versteht es Asmussen, durch seine besondere und tief emotionale Spielweise, seinen eigenen Sound zu schaffen. So steht er perfekt zwischen den Stühlen, ist nicht unbedingt ein beherzter Swinger, der auch mal abhebt, dafür besticht er durch sein besonderes Pizzikato und seine manchmal raue Art des Spiels. Auf jeden Fall hebt er sich deutlich vom anderen Solisten - dem eigentlichen Namensgeber der Platte - von John Lewis ab und bringt großartige Nuancen zusätzlich zur konzertanten Spielweise des Pianisten. Auf den ersten sieben Stücken kann man ihn also hören. Sie beinhalten die ehemalige Originalplatte "European Encounter".
Gespannt war ich natürlich darauf, wie man den Titel des avantgardistischen Ornette Coleman, nämlich "Lonely Woman", interpretieren würde. Nun, es geht kontrollierter und nicht so offen wie im Original aus 1959 zu, aber genau diese Mischung ergibt eine ganz besondere Stimmung. Klar, dass der 'Hit' der Platte "Django" ist, der Song, den Lewis dem berühmten Gitarristen gewidmet hat. Auch ganz anders im Ausdruck als beim Original bietet diese Interpretation so eine andere, gleichermaßen sehr unterhaltsame Sichtweise und durch die Violine natürlich eine größere Nähe zum Geehrten.
Mangelsdorff habe ich später erst durch seine faszinierende Art des Posaunenspiels kennengelernt. Ich erinnere mich, wie gebannt und baff ich war, welche ungewöhnlichen Töne der Mann aus seinem Instrument hervorzauberte. Die Mehrstimmigkeit, die er perfekt beherrschte, war bei diesen Aufnahmen noch nicht geboren und so war er 'nur' ein einfacher Posaunist, der noch auf dem besten Weg war, seinen eigenen Klang zu erforschen und zu erarbeiten. Maß aller Dinge auf diesem Instrument war seinerzeit der Amerikaner J.J.Johnson, dem Mangelsdorff bereits 1962 nicht einfach nacheiferte und dieses auch durch seine Eigenkomposition "Set 'em Up" eindrucksvoll bewies. So ist es eine wahre Freude, seinen schon ungewöhnlich wirkenden Soli zu folgen, beeindruckend für mich zum Beispiel auf "Autumn Leaves", dem Titel, bei dem der Pianist nicht mitwirkt und die Aufmerksamkeit somit voll Mangelsdorff zuteil werden ließ.
Der ganzen Session in Baden-Baden, damals veröffentlicht unter dem Titel "Animal Dance", haftet so etwas wie die lockere Atmosphäre einer Jam-Session an, vielleicht gerade, weil die vier Beteiligten noch nie zuvor zusammen musiziert hatten. Und so bleibt es dann auch teilweise bei einer sicheren Bodenhaftung. Zumindest fällt mir dies bei der makellos agierenden Rhythm-Section auf, die ihre Aufgabe lehrbuchmäßig erfüllt und dabei fein swingt, aber darüber hinaus keine wesentlichen, über das normale Maß hinausgehenden Akzente setzt. Dafür sind die beiden Solisten jedoch in bester Spiellaune, haben sie doch somit den idealen Background für ihre spritzigen Solovorträge. Dabei stiehlt Mangelsdorff dem amerikanischen Kollegen oft die Show!
Nach einer schönen Ballade, "Why Are You Blue", darf dann das nach dem amerikanischen Vorbild - dem MJQ - gestrickten Zagreb Jazz Quartet ganz allein ans Werk und diese CD beschließen. Und das mit einer Eigenkomposition des Pianisten, die auch folkloristische Elemente aus der jugoslawischen Volksmusik aufgreift. Ein ungewöhnliches Stück, das eine recht cool wirkende und teils konzertante Stimmung verbreitet, inklusive eines fein eingestreuten Schlagzeugsolos.
Line-up:
John Lewis (piano - #1-8,10-13)
Svend Asmussen (violin - #1-7)
Jimmy Woode (bass - #1-7)
Sture Kallin (drums - #1-7)
Albert Mangelsdorff (trombone - #8-13)
Karl-Theodor Geier (bass - #8-13)
Silvije Glojnaric (drums - #8-14)
Davor Kajfes (piano - #14)
Bosko Petrovic (vibes - #14)
Miljenko Prohaska (bass - #14)
Tracklist
01:If I Were Eve [Lewis] (5:45)
02:Winter Tale [Lewis] (5:43)
03:Slater's Theme [Lewis] (3:33)
04:Valeria [Lewis] (5:22)
05:Lonely Woman [Coleman] (8:13)
06:Django [Lewis] (3:40)
07:New York 19 [Lewis] (7:29)
08:Animal Dance [Lewis] (2:44)
09:Autumn Leaves [Kosma-Prevert] (6:45)
10:Set 'em Up [Mangelsdorff] (3:22)
11:Monday In Milan [Lewis] (5:30)
12:The Sheriff [Lewis] (3:58)
13:Why Are You Blue [McFarland] (6:35)
14:Ornaments [Kajfes] (6:37)
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