Morbid Angel / Blessed Are The Sick
Blessed Are The Sick Spielzeit: 39:31
Medium: LP
Label: Earache Records, 1991 (mehrere CD-Neuauflagen, z.B. 2002)
Stil: Death Metal


Review vom 18.12.2010


Andrea Groh
Eine Zeit lang hatten Black- und Death Metal-Bands den Ruf (und das teilweise nicht unbedingt unberechtigterweise), dass ihnen das Ausreizen von musikalischen Extremen und das Sprengen von Grenzen wichtiger wäre als die spieltechnischen Fähigkeiten.
Doch dann sollte Mitte/Ende der 80er eine Band auftauchen, die dieses Vorurteil widerlegte: die 1984 in Tampa/Florida gegründeten Morbid Angel.
Schon auf ihrem offiziellen Debüt "Altars Of Madness" bewiesen sie, dass es anders geht. Die "Abominations Of Desolation" lasse ich hier mal außen vor, ursprünglich die erste Scheibe von 1986 wurde sie erst 1991 veröffentlicht, das Material für die regulären Platten neu aufgenommen.
Deswegen wurde sie wohl aus der Buchstaben-Zählweise ausgenommen, bzw. ein zweites Mal das "A" benutzt. Morbid Angel-Scheiben sind alphabetisch sortiert, also die erste ist die "A", die zweite die "B" usw. So zieht es sich durch "Altars Of Madness" (1989), "Blessed Are The Sick" (1991), "Covenant" (1993), "Domination" (1995), "Entangled in Chaos" (1996), "Formulas Fatal To The Flesh (1998), "Gateways To Annihilation" (2000) und "Heretic" (2003).
Morbid Angel gelang etwas Beeindruckendes und eher Außergewöhnliches: Während sich andere erst mit der Zeit Routine und Versiertheit erspielen, gab es keine rumpelige Anfangsphase bei ihnen, sondern sie waren bereits vom Beginn an auf einem verblüffend hohen Level. Das blies damals einige Hörer regelrecht weg, während andere (ich denke da vor allem an ein bestimmtes Magazin aus dem Ruhrgebiet) dieses Talent anfangs ignorierten. Was das Selbstbewusstsein der Truppe allerdings äußert wenig berührte, denn sie wussten ja, wie gut sie sind. Kehrseite der Medaille: Dies ließ keine musikalische Steigerung zu, da man schon zu Anfang nahe an der Perfektion war.
Die weitere Entwicklung verlief eher in diesem Sinne: Mal straighter, mal verspielter, mal schneller, mal langsamer, aber immer auf hohem Niveau.
Daher ist es auch recht schwierig zu sagen, welches die beste Veröffentlichung ist. Mein Favorit ist die zweite, "Blessed Are The Sick", denn dort gefällt mir die Mischung aus den unterschiedlichen Elementen am besten, vor allem auf der ersten Seite. Ein weiteres Argument: Damals war noch Frontmann David Vincent dabei, der 1996 ausgestiegen war. Seit 2004 ist er wieder dabei, allerdings gibt es bisher keine neue CD.
Er ist/war sicherlich nicht unumstritten, trotzdem finden viele und auch ich ihn faszinierend. Nicht nur wegen seinen 'Das Leben ist wie eine Salatbar'-Aussagen, sondern wegen (was eigentlich wichtiger ist) seiner Stimme.
Die "Blessed Are The Sick" beginnt mit einem unheilvoll dröhnenden Intro, danach zeigt gleich der erste richtige Track "Fall From Grace" die ganze Stärke der Band und gilt heute als Klassiker: flüssig gespielt, inklusive Tempowechsel und sogar einen langsamen gesprochen-dramatischen Part.
Die folgenden Songs sind kaum schwächer und mit "Doomsday Celebration" gibt es als Auflockerung ein stimmungsvolles Keyboard-Zwischenspiel.
Doch das wirkliche Highlight kommt erst am Schluss der ersten Seite: der Titeltrack. Erst schleppend, finster und heavy kriecht er unheilvoll aus den Boxen, nur um sich zum Schluss (im "Leading The Rats"-Teil) mit geheimnisvollen Flötenklängen mystisch davonzuschleichen. Dazu gab es damals auch einen Videoclip voller okkulter/ritueller Andeutungen, der netterweise auf der CD-Wiederveröffentlichung von 2002 mit drauf ist.
Die zweite Seite (ich schreibe dies nicht nur, weil ich zuerst die LP kannte, sondern auch, weil die beiden sich unterscheiden) bewegt sich insgesamt mit höherer Geschwindigkeit, wird jedoch immer wieder durch keyboardlastige Instrumentalstücke aufgelockert. Hier wurden einige Songs von den Demos bzw. der "Thy Kingdom Come"-EP von 1987 oder auch von der "Abominations Of Desolation" verwendet.
Ich persönlich finde diese Seite etwas schwächer als die andere.
Dennoch: Niemals davor und danach erreichten Morbid Angel diese Intensität und Atmosphäre - zumindest meiner Meinung nach, wobei die anderen Scheiben nicht wesentlich schlechter sind. Mit diesem Qualitätsanspruch hievten sie den Extrem-Metal auf ein höheres Level und schufen quasi eine neue Untersparte: technisch anspruchsvollen (Black) Death Metal. Damit fanden sie viele Nachahmer, von denen allerdings nur wenige an das Original herankamen/kommen.
Da war doch noch irgendetwas mehr als nur 'gut spielen können'. Jedoch auch in diesem Punkt lassen sich die 'Florida-Engel' nicht die Butter vom Brot nehmen: Wer live hingeht und auf Spielfehler hofft, wird enttäuscht. Wobei mir persönlich etwas weniger perfekt und dafür publikumsnaher lieber gewesen wäre, als ich sie sah, aber man kann nicht alles haben.
Was bleibt sind hervorragende Musiker, die die Extrem-Metal-Sparte auf ein neues Level gehoben haben und zumindest anfangs der Zeit voraus waren, mittlerweile haben andere zwar aufgeholt, aber nicht überholt.
Doch gerade die Klassiker sind und bleiben Meilensteine. Wenn im Titel "Blessed Are The Sick" das 'sick' eine Anspielung auf das 'Morbid' im Bandnamen ist, kann ich nur bestätigen: Sie sind wirklich gesegnet mit musikalischem Können.
Eine Anmerkung noch zum Cover: Es handelt sich hierbei um das Gemälde "Les Tresors De Satan" von J. Delville, was von den belgischen Musees Royaux Des Beaux-Arts De Belgique zur Verfügung gestellt wurde.
Die schwedische Band Hexenhaus hatte genau dasselbe Motiv auf "A Tribute To Insanity" bereits 1988 verwendet. Ob Morbid Angel dies bekannt war, weiß ich nicht. Zumindest hatte das Museum wohl kein Problem damit, dies zweimal zu erlauben.
Line-up:
David Vincent (vocals, bass)
Trey Azagthoth (guitars, keyboards)
Richard Brunelle (guitars)
Pete Sandoval (drums)
Tracklist
Seite 1:
01:Intro (1:27)
02:Fall From Grace (5:14)
03:Brainstorm (2:35)
04:Rebel Lands (2:41)
05:Doomsday Celebration (1:50)
06:Day Of Suffering (1:54)
07:Blessed Are The Sick / Leading The Rats (4:47)
Seite 2:
01:Thy Kingdom Come (3:25)
02:Unholy Blasphemies (2:10)
03:Abominations (4:27)
04:Desolate Ways (1:41)
05:The Ancient Ones (5:54)
06:In Remembrance (1:26)
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