Napalm Death / Scum
Scum Spielzeit: 31:14
Medium: LP
Label: Earache, 1987
Stil: Grind Core


Review vom 12.12.2010


Jens Groh
Mann, sind das wirklich schon dreiundzwanzig Jahre, die mich diese Platte begleitet? Es mag zwar komisch klingen, aber ich liebe diese Scheibe immer noch wie am ersten Tag. Ich kann mich noch gut daran erinnern als eines Tages ein guter Kumpel bei mir vorbei geschneit kam, dieses unglaubliche Stück Tonkunst unter'm Arm und meinte, das wäre der größte Schrott, den er jemals gehört hätte. Okay, in jenen Zeiten, in denen ich immer ohne Bedenken die Metal Hammer-null-Punkte-Platten kaufen konnte, war für so manche meiner Kumpels doch die eine oder andere Scheiblette dabei die völlig ungenießbar war. So auch jene. Ich muss immer wieder grinsen, wenn ich vor den Jungs erkläre, dass ich die Platte auch heute noch genial finde.
Was einem hier in der guten halben Stunde vors Fressbrett geballert wird, ist vielleicht nicht das erste Phänomen, das unter dem Genre-Namen Grind Core erschien (Napalm Death waren ja besonders von Repulsion beeinflusst, deren erste Scheibe kam allerdings erst später auf den Markt), aber das einflussreichste! Auch wenn Napalm Death anfangs nur belächelt wurden, sie haben bis heute gezeigt, dass es sich mitnichten nur um puren Krach völliger Idioten handelt. Die Band ist heuer stärker denn je! Auch wenn kein EINZIGES Originalmitglied mehr dabei ist.
Aber nun zur Platte an sich. Mit leisem Hihat-Surren beginnt dieser gewaltige Arschtritt, der in den Rich Bitch-Studios eingetrümmert wurde, langsam, irgendwie beklemmend, dann setzt der Bass ein, so dermaßen verzerrt, dass es fast nur noch ein Grollen ist. Auch die Gitarre ist bis ans Menschenmögliche der Verzerrung überlassen, dass beide Instrumente fast gar nicht zu unterscheiden sind. Frontgrunzer Nik gurgelt sich langsam warm und wiederholt den Satz »Multinational corporations / Genocide of the starving nations« wie ein Mantra, um im zweiten Song die Hölle über einem zu entfachen.
Schon dieser zeigt alle Trademarks, die bis ins Jetzt beibehalten wurden: fiese Grindattacken gepaart mit finsteren Slomo-Schleifern. Kurz, heftig ohne jede Gnade, dafür aber immer mit einer Aussage. Ein Punkt, der mir immer an Napalm Death gefallen hat. Es wurde von Anfang an die Politik, die Industrie, die Gesellschaft und deren korrupte Machenschaften an den Pranger gestellt.
Das kann man mit riesigen Texten an den Tag bringen, oder so kurz es nur geht abhandeln »You Suffer, but why?« Macht euch mal Gedanken!
Das ist im Übrigen auch die kürzeste Single aller Zeiten: eine Sekunde! Deren Rückseite ist nicht viel länger (der Song der Elektro Hippies "Mega Armageddon Death Pt. 3" dauert ganze zwei Sekunden)
Allerdings gibt es auch Tracks von monumentaler epischer Länge - gemeint ist "Siege Of Power", das mit seinen fast vier Minuten schon beängstigend lang ist. Schön finde ich, dass jene beiden Lieder auch von der heutigen Besetzung live gezockt werden.
Apropos Besetzung, auf "Scum" hört man zwei völlig unterschiedliche Line-ups.
Wurde die A-Seite noch von den Gründungsmitgliedern Nik Bullen und Justin Broadrick mit eingeprügelt, so ist auf der B-Seite eine ganz andere Mannschaft zu hören, einzig Drummer Mick Harris ballert auf beiden Seiten.
Die zweite Seite ist auch wesentlich ruppiger, grindiger. Alleine schon die Vocals von Lee Dorrian unterscheiden sich sehr von denen von Niks. Alles klingt noch derber, noch rotziger. So krank klangen die Burschen nie wieder. Dorrian brüllte auch Napalm Deaths zweite Scheibe ein, danach fand der Mann zum Doom. Kann man aber irgendwie nachvollziehen, denn Grind wie ihn die Birminghamer spielen, enthält viele doomige Parts.
Dennoch klingen beiden Seiten nach ein und derselben Band. Nicht wie zwei verschiedene Projekte. Obwohl die Band sich später immer mehr dem Death Metal zuwandte und etliche Besetzungswechsel über sich ergehen lassen musste, bekommt der Fan auch nach fast einem viertel Jahrhundert noch eine der besten Grindbands dieses Planeten zu hören.
Auch das Cover hat immer noch seine Berechtigung und Brisanz wie damals. Entworfen und gemalt von Jeff Walker (zusammen mit Bill Steer bei Carcass) zeigt einen Todesengel, umringt von fetten weißen Anzugsträgern, die sich über eine schwarze Frau beugen, die mit ihren abgemagerten Kindern inmitten von Totenköpfen steht. Durchsetzt wird das Ganze von diversen Logos der Firmen, die für so manche Ungerechtigkeit auf dieser Weltkugel zuständig sind und waren.
Napalm Deaths Erstling ist mittlerweile in etlichen Variationen erhältlich. Sollte man allerdings auf irgendeiner Plattenbörse das Teil als Vinyl sichten sollte unbedingt zugeschlagen werden, denn die Pausen sind manchmal länger als die Songs, und diese - wie soll ich sagen - Unzulänglichkeit macht die Scheibe mit ihren Soundschwankungen (sogar auf der CD-Variante) noch sympathischer für mich.
Line-up A-Seite:
Nik Bullen (vocals, bass)
Justin Broadrick (guitar)
Mick Harris (drums)

Line-up B-Seite:
Lee Dorrian (vocals)
Bill Steer (guitars)
Mick Harris (drums)
Jim Whitely (bass)
Tracklist
Seite A:
01:Multinational Corporations (1:06)
02:Instinct Of Survival (2:26)
03:The Kill (0:23)
04:Scum (2:38)
05:Caught In A Dream (1:47)
06:Polluted Minds (0:58)
07:Sacrificed (1:06)
08:Siege Of Power (3:59)
09:Control (1:23)
10:Born On Your Knees (1:48)
11:Human Garbage (1:32)
12:You Suffer (0:01)

Seite B:
13:Life? (0:43)
14:Prison Without Walls (0:38)
15:Point Of No Return (0:35)
16:Negative Approach (0:32)
17:Success? (1:09)
18:Deciver (0:29)
19:C.S. (1:14)
20:Parasites (0:23)
21:Pseudo Youth (0:42)
22:Divine Death (1:21)
23:As The Machine Rolls On (0:42)
24:Common Enemy (0:16)
25:Moral Crusade (1:32)
26:Stigmatised (1:03)
27:M.A.D. (1:34)
28:Dragnet (1:01)
Externe Links: