Opeth / My Arms, Your Hearse
My Arms, Your Hearse Spielzeit: 52:36
Medium: CD
Label: Candlelight Records, 1998
(2003 Plastic Hd/Soulfood Music)
Stil: Progressive-Death Metal


Review vom 22.12.2008


Dion Kass
Opeth ist ja so eine Band der allgemein nachgesagt wird, dass sie bis jetzt noch kein schlechtes Album veröffentlicht hat. Ich würde sogar soweit gehen und behaupten, dass man alle Tonträger aus den Neunzigern als Klassiker betrachten könnte; und alle folgenden werden in ein paar Jahren sicher auch irgendwann mal als solche gelten. Also warum habe ich gerade "My Arms, Your Hearse" für diese Rezension ausgewählt? Die Antwort ist so vielfältig, wie schwierig.
Ganz grob gesagt: Weil einfach alles auf dem Silberling vorhanden ist, was Opeth so großartig macht. Allerdings stecken noch einige stilistische Mittel in den Kinderschuhen, weshalb die Scheibe manchmal etwas ungeschliffen klingt. Das macht aber überhaupt nichts, denn trotzdem ist "My Arms, Your Hearse" ein fantastisches Stück Musik. Die Platte ist von vorne bis hinten perfekt durcharrangiert. Dennoch ist sie nicht zu kompliziert oder zu technisch aus reinem Selbstzweck. Das Konzept, welches hinter dem Album steckt ist einfach nur grandios musikalisch umgesetzt und nimmt einen mit auf eine ca. fünfzigminütige Reise. Dazu ist es die mit Abstand härteste Veröffentlichung der Band und vor allem der erste Versuch eines Konzept-Albums, was dessen Sonderstatus noch einmal hervorhebt.
Die Geschichte handelt kurz gesagt von einem namenlosen Mann, der gerade gestorben ist und nun als Geist, der von Niemandem wahrgenommen wird, seiner ehemaligen Frau folgt. Er muss im Laufe der Zeit (bzw. im Laufe der Jahreszeiten) erkennen, dass seine Frau über den Verlust ihres Mannes hinweg gekommen ist und er ist wütend darüber, dass sie ihm nicht in den Tod folgt. Ganz am Ende zieht er sich alleine in ein Waldstück zurück und schließt mit seiner derzeitigen Existenz als Geist ab.
Los geht die Scheibe mit einem Intro, schlicht als "Prologue" betitelt. Die sachten Klänge eines Regenschauers mischen sich unter eine kurze akustische Klavier-Einleitung. Der Text (denn auch die instrumentalen Stücke haben Texte) beschreibt kurz die Beerdigung und die ersten Empfindungen des Mannes als Geist, der eine Frühlingslandschaft erblickt. Ein kurzer, leiser Choreinsatz leitet direkt über in das erste donnernde Riff von "April Ethereal". Mikael Akerfeldt, der hier noch wesentlich rauer als heutzutage klingt, durchbricht mit seinem finsteren Gegrowle die Gitarren, bevor sich kurz sehr dezente Hammond Orgel-Töne heraushören lassen. Schade eigentlich, dass diese Idee erst bei dem 2005er Werk "Ghost Reveries" vollständig integriert wurde. Es geht mit fantastischen Gitarrenläufen weiter, bevor ab Minute 3:40 eine cleane Passage einsetzt, welche in einem Gitarrensolo und einem sehr kurzen Akustik-Teil weitergeführt wird, bevor das Lied nochmal langsam pulsierend ausklingt.
Das sehr gern als Livestück eingesetzte "When" beginnt mit einer schnellen Akustik-Einleitung, welche hartem Double-Bass-Getrommel und vielen abwärts führenden Melodien weichen muss. Plötzlich wird das Stück unglaublich eingängig und groovig, bevor viele weitere Gitarren-Melodien durch brechen. Gegen Ende bekommt die Nummer nicht nur durch den Text einen klagenden Charakter. Der Mann fragt sich selber, wann er endlich wieder mit seiner Frau vereint ist und sich mit ihr von dieser Form als Geist lösen kann. Erstmals wird eine längere Passage clean gesungen, was perfekt den zweifelnden Unterton des Gesagten wiedergibt. Mit der letzten Frage endet der Song abrupt und leitet in das sehr rastlose, intrumentale Zwischenstück "Madrigal" über. Dieses ist geprägt von einer packenden Akustik-Melodie mit einzelnen harmonischen Einschüben. Erzählt wird von den Gedanken des Protagonisten, der noch mal davon träumt, mit seiner Frau endlich in den Himmel zu fahren und sich selbst bemitleidet, dass er nicht zu ihr sprechen kann. Allerdings ziehen sich nun auch konkret erste Zweifel durch das Gesagte.
Das Stück wird von dem folgenden, sehr flotten "The Amen Corner" abgelöst. Mittlerweile ist der Sommer fast zu Ende und weitere melancholische Herbst-Töne mischen sich, trotz aller Eingängigkeit, unter das Lied. Der Mann kritisiert den Glauben seiner Frau, mit welchem sie sich zu trösten weiß, und langsam wandelt sich seine Trauer über seinen eigenen Tod und über die Unerreichbarkeit seiner Frau, zu einer aggressiveren Stimmung. Doch noch lässt er die Hoffnung nicht fahren. Diese Komposition fällt wie gesagt, vor allem durch ihre Eingängigkeit auf; kein Song auf der Platte strebt so sehr nach vorne wie "The Amen Corner". Selbst die melodischen Zwischeneinschübe werden weitestgehend verkürzt. Doch so richtig furios wird es erst mit dem folgendem "Demon Of The Fall".
Blanke Wut durchzieht das komplette Stück. Alles, von den Riffs über das aggressive Drumming, bis zur außergewöhnlich unmenschlich zu vernehmenden Stimme Akerfeldts klingt wütend. Selbst das kurze Akustik-Intermezzo trieft davon. Unser Erzähler hat erkannt, dass sich seine ehemalige Frau in einen neuen Mann verliebt hat und erträgt diese Feststellung nicht. Gleichzeitig erkennt die Frau, was sie eh schon längst vermutet hat, nämlich dass ihr Mann ihr als Geist folgt und verliert in Folge dieser Erkenntnis ihren Glauben. Nach der Wut folgt die Trauer, der Mann lässt alle Hoffnungen auf ein Zusammenleben nach dem Tod fahren und zieht sich zurück. Die einleitenden Worte des nächsten Teils, "Credence", beschreiben perfekt die Stimmung. "Deserted Again" klagt der Geist und wird sich seiner Einsamkeit nun vollends bewusst. Der Song ist ruhig, nahezu zerbrechlich im Kontext der Scheibe, und geprägt von klarem Gesang.
Das abschließende "Karma" fasst musikalisch, wie textlich noch mal alles zusammen. Vereinzelte Elemente der Scheibe werden sogar noch einmal kurz aufgenommen und neu interpretiert. Der Winter hat den Protagonisten erreicht und lässt ihn einsam und alleine in dem Waldstück, in das er sich verzogen hat. Seine letzte Erkenntnis auf diesem Planeten ist, dass ihn nichts mehr an sein vormaliges Leben bindet. Als Folgeschluss darauf wandert er ins Jenseits. Vielleicht ist das Stück nicht der große Knall, mit dem solch ein Konzept-Album hätte enden können, aber es spiegelt auch hier wieder perfekt die Gefühle des Erzählers wider. Der Kreis schließt sich allerdings erst mit dem Outro "Epilogue", welches im Grunde nur aus einem entspannten, vierminütigen Gitarren-Solo besteht und von der Ankunft des neuen Frühlings berichtet.
Wer das Album noch überhaupt nicht kennt und sich durch das Gesagte nun etwas gespoilert fühlt, kann beruhigt aufatmen. Viele Passagen und Elemente kann man auch durchaus anders interpretieren. Selbst der Text lässt eine hundertprozentige Version der Geschichte nicht zu, da er im Grunde aus einer langen Aneinanderreihung von bildhaften Beschreibungen besteht. Man findet selbst nach dem hundertsten Hören noch neue Details, die man in das bereits Interpretierte mit einbeziehen kann. Das steigert den Wiederhörwert des Albums natürlich enorm.
Vielleicht ist "My Arms, Your Hearse", objektiv gesehen nicht die beste Platte Opeths. Vielleicht ist es auch nicht gerade das einsteigerfreundlichste Album von ihnen. Allerdings ist es mit das Packendste und eines der Tiefgründigeren. Wo später in Zwischenphasen mehr platter Prog-Metal zu finden ist, glänzt "MAYH" mit Gefühl und Spielfreude. Ironischerweise ist das Output zu einer Zeit entstanden, während der sich die Band in einer tiefen personellen Krise befand. Diese war aber gleichzeitig eine enorme Quelle der Inspiration, wie es scheint.
Um noch einmal auf die Frage vom Anfang zurück zu kommen, warum ich persönlich gerade dieses Album ausgewählt habe. Es ist bei weitem mein Lieblingwerk von Opeth. Wäre diese Platte ein Baum, ich würde wohl 'Ich liebe dich' hinein ritzen. Jeder Fan der Band hat allerdings eine andere Scheibe, welche er präferiert, weswegen vielleicht nicht jeder meine Begeisterung schlussendlich nachvollziehen kann. Schlecht macht das die Platte aber auf keinen Fall.
Info am Rande: Bei der re-releasten-Version der selben folgen am Ende noch zwei Cover-Bonus-Tracks ("Circle Of The Tyrant" von Celtic Frost und "Remember Tomorrow" von
Iron Maiden), die zwar ganz nett anzuhören sind, aber echt nicht darauf hätten landen sollen, da sie stimmungsmäßig überhaupt nicht zum Konzept passen.
Line-up 2008:
Mikael Åkerfeldt (vocals,guitar)
Martin Mendez (bass)
Per Wiberg (keys)
Martin Axenrot (drums)
Fredrik Åkesson (guitar)
Tracklist
01:Prologue
02:April Ethereal
03:When
04:Madrigal
05:The Amen Corner
06:Demon Of The Fall
07:Credence
08:Karma
09:Epilogue
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