Ougenweide / Ohrenschmaus
Ohrenschmaus Spielzeit: 35:52
Medium: LP
Label: Polydor, 1976
Stil: Mittelalter-Folk Rock


Review vom 01.12.2008


Jürgen Berking
Im Frühjahr 1970 in Hamburg gegründet, wurde Ougenweide (Augenweide = ein Anblick, an dem man sich weidet) schnell zum Aushängeschild des 'Mittelalter-Rock' in Deutschland. Von Beginn an setzte sich die Gruppe das Ziel, übernommene und selbst geschriebene mittelalterliche Lieder und Gedichte mit eigener Musik zu versehen. Die Band benannte sich nach dem gleichnamigen Lied von Neidhart von Reuental (1. Hälfte 13. Jahrhundert), einer der bedeutendsten und fruchtbarsten deutschen lyrischen Dichter des Mittelalters.
Nach anfänglichen, kleinen Umbesetzungen bestand die Band bis zu ihrem Ende 1985 in der hier aufgeführten Besetzung.
Das Erscheinen des dritten Albums "Ohrenschmaus" markiert den nationalen Durchbruch und damit einen der Höhepunkte im Schaffen von Ougenweide. Die Spannbreite der Musik reicht von den mystischen Klängen des "Pferdesegens", welcher gegen Wurmbefall schützen soll, in dem ein altdeutscher Text aus dem 9. Jahrhundert in zwei Varianten vorgetragen wird, über die pastorale Idylle von "Eines Freitags im Wald", bis zu sanft rockenden Stücken wie "Im Badehaus", inspiriert durch Arno Holz' Lektüre "Des Schäfer Dafnis Freß-,Sauf- und Venuslieder" oder "Bald Anders" nach einer Textvorlage von Hans Sachs. Das Stück "Kommt ihr Jungfern helft mir klagen" handelt vom Verlust der Jungfernschaft und von der Erkenntnis, dass man viel Freude durch das Hinwegsetzen über Verbote haben kann.
A cappella wird "Al Fol", ein Sauflied, zu Gehör gebracht. Natürlich sind auch wieder Vertonungen von Texten mittelalterlicher Dichter dabei: "Owê, wie jaemerliche", nach einem Gedicht von Walther von der Vogelweide, beklagt den Verfall der guten Sitten (schon vor über 800 Jahren war 'früher alles besser'), und ist entsprechend leise und melancholisch gehalten. "Rumet uz die schäemel und die stüele" nach Neidhart von Reuenthal ist eher ein derbes Tanzlied. Dabei wird ein ganzes Arsenal ungewohnter Instrumente aufgefahren. Insbesondere Schlaginstrumente kommen in großer Zahl zum Einsatz. Jedes der Gruppenmitglieder ist auf seinen Instrumenten, die ja bekanntlich nicht wenige sind, ein wahrer Könner.
Die Plattenhülle dient mit Anmerkungen der Gruppe zu jedem Stück, und weiterhin sind ursprüngliche Texte und Übersetzungen abgedruckt - sehr lobenswert. Ich weiß nicht, ob das bei den CD-Veröffentlichungen beibehalten wurde.
Empfehlenswert ist ein Blick auf die Webseite von Ougenweide. Hier wird mit viel Liebe zum Detail u.a. eine Übersicht der Musikinstrumente, die bei den verschiedenen Produktionen zum Einsatz kamen, geliefert. Hochinteressant!!!
Nachdem noch 1979 eine Art 'Best of...'-Doppelalbum in der "Liederbuch"-Reihe der Polydor erschienen war, vollzog die Band mit dem 1980 veröffentlichten Album "Ja-Markt" einen radikalen Schnitt. Von 'Minne-Rock' ist nicht mehr viel zu spüren, stattdessen wartet die Platte mit rockigeren Klängen zu fast ausschließlich selbstgeschriebenen, sozialkritischen Texten auf.
Diese Anfang der 1980er freilich nicht mehr ganz zeitgemäße Mischung wurde auf dem 1981 erschienenen Album "Noch aber ist April" beibehalten. Die Entfernung vom ursprünglichen Bandkonzept mag mit dafür verantwortlich sein, dass die LP sich so schlecht verkaufte, dass Ougenweide ihren Plattenvertrag verloren. Ihre Plattenfirma hinderte dies aber nicht, 1983 die Kompilation "Lieder aus 9 Jahrhunderten" zu veröffentlichen. Auf den vier LPs finden sich die wichtigsten Lieder der Gruppe chronologisch nach ihrer textlichen Entstehung geordnet.
Trotz allem tourte die Band weiter, bis sie sich 1985 nach einer sehr erfolgreichen Abschiedstournee auflöste. 1996 fand man sich in anderer Besetzung noch mal für ein Album "Sol" und einige Auftritte zusammen, aber das war´s dann auch erstmal.
Die 2004 erschienene Kompilation "Wol mich der Stunde" mit bislang unveröffentlichten Liveaufnahmen aus den Jahren 1970-1985 hatte einen unerwartet guten Erfolg. Zur Vorstellung des Live-Samplers fand sich die Band für einen einmaligen Auftritt in einem Hamburger Club in Originalbesetzung zusammen. Ein Jahr später erschien "Ouwe war", ebenfalls mit unveröffentlichten Liveaufnahmen. Wegen der großen Resonanz der beiden Live-CDs entschied sich das Label Bear Family Records, die Original-Alben auf CD in den Jahren 2006 und 2007 wieder zu veröffentlichen.
Konzerte in einer Neubesetzung fanden am 7. Dezember 2006 in der Music Hall Worpswede und am 10. Dezember 2006 in Oberhausen, sowie auf dem Burg Herzberg Festival am 22. Juli 2007 statt. Für 2007 war ein neues Album angekündigt, man hat davon aber nichts mehr gehört. Schade eigentlich, weil die Gruppe in ihrer Stilrichtung wirklich wegweisend für andere Bands war.
Line-up:
Minne Graw (Gesang, Harmonium, Klavier)
Wolfgang von Henko (Gitarre, Mandoline, Gesang)
Stefan Wulff (Bass, Klavier, Zither, Akkordeon)
Jürgen Isenbart (Marimbaphon, Vibraphon, Röhrenglocken, Glockenspiel, Schlagzeug, Gesang)
Frank Wulff (Flöte, Bombarde, Bouzouki, Mandoline, Gitarre, indisches Harmonium, Gesang)
Olaf Casalich (Gesang, Schlagzeug, Perkussion, Röhrenglocken)
Tracklist
01:Bombarde-Ment (1:10)
02:Kommt ihr Jungfern helft mir klagen (5:03)
03:Eines Freitags im Wald (3:11)
04:Pferdesegen (Contra Uermes) (2:00)
05:Bald Anders (6:32)
06:Im Badehaus (3:08)
07:Owê, wie jaemerliche... (4:21)
08:Engelboltes Tochter Aven (3:01)
09:Rumet uz die Schäemel und die Stüele (1:54)
10:Al Fol (1:00)
11:Der Schlemihl (3:55)
12:Merseburger Spieluhr (0:37)
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