Paradise Lost / Gothic
Gothic Spielzeit: 39:24
Medium: CD
Label: Peaceville, 1991
Stil: Gothic Metal


Review vom 13.12.2011

    
Andrea Groh
John Miltons Werk über die Verbannung von Satan, "Paradise Lost", gehört zumindest für viele englischsprachige Schüler zum Standard-Unterrichtsstoff wie in Deutschland Goethes "Faust". Mehreren jungen Männern aus Halifax, England, wird es wohl auch so ergangen sein, denn sie wählten eben diesen Titel als Bandnamen.
Passend zum düsteren Inhalt war die Musik doomiger Death Metal. Wenn man gerade aus dem Paradies in die Dunkelheit verbannt wird, ist man auch als Engel nicht gerade gut gelaunt, fröhliche Klänge wären da fehl am Platz gewesen.
Die 1988 gegründete Band brachte erst einmal vier Demos heraus, welche mit wenig hoffnungsvollen Titeln versehen waren: "Morbid Existence", "Paradise Lost", "Plains Of Desolation" und "Frozen Illusion".
Danach unterschrieben die Briten einen Vertrag beim Label Peaceville, wo 1990 das Debüt "Lost Paradise" erschien, eine finstere Scheibe mit tiefergestimmten Gitarren und Growls in schleppenden Songs. Der Sound war damals noch recht rau, wirkte brutal und ungehobelt, gleichzeitig aber entströmte dem Werk eine faszinierende, düstere Atmosphäre. Doch dies war erst der Anfang…
Der Nachfolger "Gothic" von 1991 sollte später als Vorreiter für eine ganze Stilrichtung gelten: den Gothic Metal. Nick Holmes setzte hier seine Stimme variabler ein, obwohl er sich immer noch in Grunzgefilden bewegte, war er recht gut zu verstehen. Kontrastakzente setzte der weibliche Engelsgesang von Sarah Marrion. Diese Idee, die wohl auf Celtic Frost zurückgeht, war zwar bereits auf dem Vorgänger verwendet worden, doch hier stand sie mehr im Vordergrund.
Später sollten andere Bands daraus den Wechselgesang entwickeln, der gerne 'die Schöne und das Biest' genannt wird, das typische Markenzeichen des Gothic Metals. Selbst die opernhaften Vocals von Symphonic Metal-Bands wie Nightwish dürften davon beeinflusst worden sein.
Auf jeden Fall lässt sich sagen: Das Duett zwischen Nick und Sarah ist einfach traumhaft und hat mich damals sehr beeindruckt, bis heute finde ich es immer noch schön.
Der Gesang schwebte über der Musik, die größtenteils ihre Rohheit verloren hatte und ebenfalls etwas Sphärisches und Abgehobenes hat, kombiniert mit der immer noch vorhandenen Düsterkeit nicht unirdisch (oder überirdisch?) wirkt. Die Gitarren zaubern einen harmonisch-melancholischen Klangteppich, Keyboard und orchestrale Passagen verstärken den Eindruck einer Symphonie der Dunkelheit.
Hier erstand aus einer Kombination von Death Metal mit Doom- und Gothic Rock-Elementen ein neuer düsterer Sound, der Fans aus verschiedenen Lagern ansprach.
Die frühen 90er waren also mitnichten die Zeit, in der die Rock- und Metal-Stile der 80er wenig neue Impulse setzen konnten und brachten nicht nur den Grunge und Nu Metal.
Auch in Europa gab es interessante Entwicklungen, allerdings eher abseits der großen Verkaufszahlen, darunter die sogenannten 'Big Three' des britischen Doom/Deaths:
My Dying Bride, Anathema und eben Paradise Lost.
Was mir persönlich bedeutend besser gefiel als die gerade angesagten 'kommerziellen' Richtungen. Entscheidend besser. Ich war damals sogar der Meinung, sollte der Band noch einmal eine solche Steigerung wie zwischen "Lost Paradise" und "Gothic" gelingen, wären sie nahe dran an der (für mich) perfekten Musik - das wäre wie das Finden des Paradieses. 1991 war ich einfach hin und weg von der Scheibe und ich höre sie bis heute noch gerne und regelmäßig.
Doch die Heimkehr in den Garten Eden stand nicht auf dem Plan. Auch wenn man dies bei dem Titel "Shades Of God" vermuten könnte, war dies eine wirklich gute CD, die jedoch nicht mit der "Gothic" mithalten konnte. Mit dem Wechsel des Labels, nämlich zu Music For Nations, blieb ein weiteres Stück der Death Metal-Vergangenheit zurück, was sich besonders beim nun kaum noch 'grunzigen' Gesang von Nick Holmes zeigte. Gleichzeitig wurden Paradise Lost (kommerziell) erfolgreicher, insbesondere mit "As I Die", für das es auch ein Video gab.
Und so war die weitere Entwicklung eingeleitet, nach "Icon" und "Draconian Times" hatte man sich so weit von den Wurzeln entfernt und sogar elektronische Sounds eingebaut, dass viele Fans (darunter auch ich), die 1997er Veröffentlichung "One Second" gar nicht mehr interessant fanden.
Erst zehn Jahre später mit "In Requiem" sollte sich dies wieder ändern, zumindest gab es nun einen Rückschritt in die Phase von "Icon" und "Draconian Times", was wenigstens diejenigen Fans glücklich machte, die Paradise Lost zu dieser Phase kennen und lieben gelernt hatten, für andere (wie mich) wurde und wird wohl nie wieder die Göttlichkeit von "Gothic" erreicht.
Zwanzig Jahre ist es nun her und immer noch läuft die Scheibe bei mir auf 'heavy rotation' - auch wenn der Überraschungsmoment weg ist; das Gefühl, als würde mir der Boden unter den Füßen weggezogen, weil Engelsflügel mich wegtragen wenn Sarahs Gesang das erste Mal einsetzt: »Slowly passing timeless horrors…«
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Line-up:
Nick Holmes (vocals)
Gregor Mackintosh (lead guitar)
Aaron Aedy (rhythm guitar)
Stephen Edmondson (bass)
Matthew Archer (drums)

Sarah Marrion (female guest vocals)
The Raptured Symphony Orchestra (orchestral sections)
Tracklist
01:Gothic (4:51)
02:Dead Emotion (4:38)
03:Shattered (4:01)
04:Rapture (5:09
05:Eternal (3:55)
06:Falling Forever (3:35)
07:Angel Tears (2:40)
08:Silent (4:42)
09:The Painless (4:02)
10:Desolate (1:51)
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