Puhdys / Puhdys 1
Puhdys 1 Spielzeit: 42:00
Medium: CD
Label: VEB Deutsche Schallplatten Berlin, 1974
Stil: Deutsch Rock


Review vom 18.10.2010


Michael Gindra
Sonntag, den 3. Oktober 2010 - zwanzig Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung. Da macht man sich so seine Gedanken über dieses bedeutende, weltpolitische Ereignis... und legt eine Platte einer DDR-Rockband auf. Denn, bei aller Freude über die Abschaffung des Arbeiter- und Bauernstaats: es war nicht alles schlecht, was so von drüben kam (auch wenn hier ein Wessi schreibt). Ob nun das Ampelmännchen, Vita-Cola, Spreewälder Gurken oder auch das Sandmännchen, vieles gibt es heute noch unter dem inflationären Begriff 'Kult' zu sehen und zu kaufen.
Auch die Puhdys gibt es noch, mittlerweile im 41. Jahr ihres Bestehens. Ihre erste LP "Puhdys 1" erschien jedoch erst 1974 und die in Westdeutschland erhältliche Ausgabe besteht teilweise aus früheren Singles sowie Auszügen der ersten Original-DDR-Ausgabe und hatte daher eine differenzierte Tracklist zur VEB-Ausgabe. Aber gerade die erste Veröffentlichung dieser Band ist für mich das Beste, was diese Band je auf den Markt brachte. Drifteten sie später gerne einmal in belanglose Schlagermucke ab, so ist diese Scheibe noch richtig erdiger Rock, ja einige Stücke erinnern gar im treibenden 70er-Jahre-Hard Rock an Uriah Heep und Deep Purple. Und zu allen Songs gibt es deutsche Texte, die zumeist von versteckten (oder auch offenen) Anspielungen auf die nicht vorhandene Freiheit nur so strotzen.
Nach dem ersten Stück "Geh zu ihr", das mit Tuba und Maultrommel noch von eindeutig zweideutigen Anspielungen handelt, geht's bereits im zweiten Song "Ikarus" mit einem Gitarrenriff los, das auch so von Ritchie Blackmore oder Mick Box stammen könnte, besonders der eingesetzte Chorus erinnert mit der hohen Stimmlage stark an die Chöre von Heep. Die vertonte Geschichte über den Sohn des Daidalos, der seinen Flugversuch (oder war es ein Fluchtversuch) mit dem Leben bezahlte, zeigt bereits die Ausdruckskraft der Texte und ist ein absolutes Highlight.
"Einsamkeit" ist eine Hommage an die Selbstfindung: »Einsamkeit brauche ich für kurze Zeit« - wie wahr. "Zeiten und Weiten" startet gleich mal mit einem treibenden Bass-Groove á la Led Zeppelins "Immigrant Song" und ist mit seinen Heep-Screams ein weiterer Hard Rock-Stampfer der Extraklasse. Die "Reise zum Mittelpunkt der Erde" ist ein frei nach Jules Vernes Romanvorlage komponierter, fast sechsminütiger Space Rock-Trip. "Wenn ein Mensch lebt" - wer diesen Song mit seinem typischen und einfachen Klavier-Groove nur einmal gehört hat, bekommt ihn sein Leben lang nicht mehr aus seinen Gehörgängen. Es ist die Filmmusik (ebenso wie "Geh zu ihr") aus dem DDR-Spielfilm "Die Legende von Paul und Paula". Das "Lied für Generationen" besticht mit altersweisen Zitaten, wie z.B. »Wenn man zwanzig ist, ist die Welt liebeleer, liebevoll, brennt uns Muster in die Haut, macht uns reich, macht uns toll. Ist man dreißig, bleibt die Welt noch ganz rund, noch Genuß, jedes Rätsel wird gelöst, ist noch Spiel und nicht Nuß«.
Wer kennt Vineta, die sagenhafte Stadt an der südlichen Ostseeküste, die durch Hochmut und Verschwendung der Bewohner im Meer versank? Die Puhdys vertonen diese Legende mit einem sagenhaften Hard Rock-Kracher, der es in sich hat. Wenn es Vineta wirklich gab, dann muss es auch mit diesem Getöse untergegangen sein. Zum Ende des Stücks jedenfalls scheinen Lord und Blackmore gemeinsam Kleinholz aus ihren Instrumenten zu machen. Ach nein, es sind ja Hertrampf und Mayer. "Vineta" ist für mich das absolute Highlight der Platte.
"Von der Liebe ein Lied" startet psychedelisch, krautig, es setzen Geigen, Blechbläser, Bongos ein und der Song entwickelt sich allmählich zu einem progressiven Meisterstück mit Kanon-Gesang. Der letzte Song "Vorn ist das Licht" erinnert mit seinem 70er-Jahre-Sound an eine Mischung aus Les Humphries Singers und Uriah Heep, wurde aber auch wegen seines kämpferischen Textes als Propagandahymne in der Ex-DDR verwendet. Nun, diese gibt es zum Glück nicht mehr, geblieben jedoch ist die Musik der Puhdys, die auch noch weitere herausragende Songs ("Türen öffnen sich zur Stadt", "Alt wie ein Baum", "Doch die Gitter schweigen", "Sturmvogel", "Lebenszeit" und viele andere) in ihrem Repertoire haben. Nur so heavy wie auf diesem Album kamen sie auf keinem anderen mehr rüber. Für Entdecker, Ostalgiker und Deutschrock-Fans ein absolutes Muss (ebenso wie "Live im Stahlwerk" der Ost-Banger Formel 1: - Anm. v. Marius)
Line-up:
Dieter `Maschine´ Birr (Gesang, Gitarre)
Dieter Hertrampf (Gitarre, Gesang)
Harry Jeske (Bass)
Peter Mayer (Keyboard)
Gunther Wosylus (Schlagzeug)
Tracklist
01:Geh zu ihr
02:Ikarus
03:Einsamkeit
04:Zeiten und Weiten
05:Reise zum Mittelpunkt der Erde
06:Wenn ein Mensch lebt
07:Lied für Generationen
08:Vineta
09:Von der Liebe ein Lied
10:Vorn ist das Licht

Hinweis:
Die Original-DDR-Ausgabe enthält eine abweichende Tracklist.
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