Lou Reed / Original Album Classics
Original Album Classics Spielzeit:
41:12 (The Blue Mask)
38:27 (Legendary Hearts)
75:08 (Live In Italy)
42:37 (New Sensations)
38:59 (Mistrial)
Medium: CD-Box
Label: Sony BMG, 2009 (1982, 1983, 1984 & 1986)
Stil: Rock


Review vom 10.11.2009


Markus Kerren
Meines Wissens war Lou Reed der erste Musiker, bzw. Songwriter, der so ungeliebte, bzw. unpopuläre Wahrheiten des täglichen Daseins wie Drogen-Konsum, zwischengeschlechtliche Gewalt, Homosexualitaet und andere, damals eher totgeschwiegene Spielarten der Liebe (wie z.B. S & M). Ab Mitte der Sechziger bis zum Spätsommer 1970 mit seiner ersten Truppe
The Velvet Underground unterwegs, veröffentlicht er seit 1971 Soloalben und ist seither unter seinem eigenen Namen am Start. Reed sieht sich selbst gerne als die Inkarnation des 'New York City Man', was man ihm auch schlecht abschlagen kann, so sehr wie er sich seine Heimatstadt geradezu in die eigene DNA eingebrannt hat.
Es gab bereits eine erste 5 CD-Box in der "Original Album Classics"-Reihe, die Teile von Reeds Veröffentlichungen aus den Siebzigern abdeckte. Hier wird nun mit Nummer zwei, beginnend ab dem Jahr 1982 weitergemacht. Wie viele andere große, erwähnenswerte und wichtige Musiker hatte aber auch Lou in den Achtzigern so seine Probleme, bzw. war weit davon entfernt, an vergangene Höchstleistungen anzuknüpfen. Wobei er zugegebenermaßen noch sehr stark in dieses Jahrzehnt rein kam und sich sogar grandios daraus verabschiedete. Diese, hier vorliegende CD-Box behandelt fast ausschließlich die Jahre dazwischen, was uns aber nicht davon abhalten sollte, mal einen genaueren Blick darauf zu werfen.
Ganz zum Ende der Siebziger und in den ganz frühen Achtzigern befreite sich Reed zunächst von seiner Drogensucht und danach vom Alkohol, was schließlich dazu führte, dass "The Blue Mask" (1982) das erste nüchtern eingespielte Album seiner kompletten Karriere wurde. Und das ist, nach den davor eher bescheiden aufgenommenen "The Bells" (1979) und "Growing Up In Public" (1980), tatsächlich sehr stark ausgefallen. Man hat das Gefühl, dass Reed hier (bis auf ein paar Ausnahmen) noch mal einen extra Zacken draufgelegt hat, was das Songwriting betrifft und außerdem hatte er mit Fernando Saunders (WAS für ein Bass!!), Fred Maher (drums) (ab "Legendary Hearts") und dem kongenialen Robert Quine an der Gitarre eine Höllen-Truppe zusammen, mit der eigentlich sowieso nichts anbrennen konnte.
Aber während an eben diesem "The Blue Mask" musikalisch eigentlich überhaupt nichts auszusetzen ist, sind die Lyrics teilweise etwas irritierend. Die Texte von Nummern wie "My House" (wir bekommen erzählt, wie schön dort doch alles ist) oder "The Day John Kennedy Died" (im Stil von 'weißt du noch wo du warst, als...) klingen alarmierend trivial, normal und ...ahem... stinklangweilig!! Bei "Average Guy" entschuldigt er sich gar halbherzig für seine Vergangenheit. Lou Reed? Was war denn mit dem passiert?? Aber die Musiker reissen hier sehr viel raus und dazu gibt es auch richtig starke Tracks wie etwa "The Gun" (mit einem wirklich gruseligen Text!), den Titel-Song, "Heavenly Arms" (wenn auch mit einem für seine Verhältnisse sonderbar weichspülerischen Text), "Underneath The Bottle" und meinem absoluten Highlight "Waves Of Fear".
Der auf diesem Album angedeutete, beunruhigend triviale Kurs wurde dann auf dem Nachfolger "Legendary Hearts" (1983) sogar noch ausgebaut. Lou präsentiert sich als der Nachbar von nebenan, verfällt in weitere Entschuldigungen bezüglich seiner Vergangenheit und scheint sogar darum zu bitten, dass man ihn doch als geläuterten Mann anerkennen möchte. Boah, Hilfe, irgendwie komme ich mir wie im falschen Film vor... was zur Hölle ist mit dem 'Rock'n'Roll Animal' geschehen, das uns alle weniger als fünf Jahre vor der Aufnahme dieses Albums wahrscheinlich noch ungekaut runtergeschluckt hätte, bevor wir die zweite uncoole Bemerkung innerhalb kürzester Zeit hätten machen können...
Selbst "The Last Shot" ('Der letzte Schnaps') kommt einem vor, wie die resignierenden und verbitterten Gedanken eines trockenen Alkoholikers, der ein totunglückliches Leben führt, da er weiß, dass er keine andere Wahl hat, als nüchtern zu bleiben, obwohl er doch nichts lieber tun würde, als genau das Gegenteil zu tun. "Legendary Hearts" ist kein wirklich schlechtes Album, aber es ist auch nicht mehr, als ein 'Okay-Album', speziell wenn man an Reeds Back-Katalog aus den Siebzigern denkt. Es gibt ein paar ganz gute Songs, aber es passiert ehrlich gesagt nicht viel und leider reißen einen auch die meisten Texte (die gerne auch mal ältere Themen wieder aufgreifen) nicht gerade vom Hocker.
Unser Protagonist war sich irgendwann zu diesem Zeitpunkt wohl selbst darüber bewusst, dass er sich in einer Sackgasse befand und irgendwas passieren musste. Lou brauchte Zeit. Was lag da näher, als der Meute ein weiteres Live-Album in den Rachen zu schmeißen? Reed hatte in den Vorjahren viel Kredit in den USA verspielt, während er in Europa immer noch auf Händen getragen wurde. Folgerichtig fanden die Aufnahmen dann auch in der Alten Welt statt und erschienen 1984 mit dem Titel "Live In Italy". Auch wieder kein totaler Aussetzer, obwohl dennoch klar wird, dass diese damalige Doppel-LP nichts von der Klasse, der Attitüde, dem offenen Statement und dem puren Anarchismus vorangegangener Live-Scheiben wie "Rock'n'Roll Animal" (1974) oder "Take No Prisoners" (1978) hat. Ebenso auffallend ist, dass sich unter den 14 Songs gerade mal zwei von "The Blue Mask" und genau so viele von "Legendary Hearts" befinden. Ansonsten wird mit vollen Händen auf Songs der Velvet Underground-Tage sowie seinem Solo-Schaffen in den Siebzigern zurückgegriffen.
Aber unser Protagonist ging sogar noch einen (oder 17??) Schritt/e weiter. Er feuerte seinen Gitarristen Robert Quine (der nun wirklich am wenigsten Schuld an der Misere hatte) und machte sich auf, um sein nächstes Studio-Album "New Sensations" (1984) aufzunehmen. Nun ist es ja schon lange kein offenes Geheimnis mehr, sondern steht schon seit vielen Jahren dick und fett an jeder Wand geschrieben, dass dieses Album, genauso wie "Mistrial" (1986) die bei weitem uninteressantesten in Reeds kompletter Karriere sind, aber was der Meister sich bei "New Sensations" leistete, spottete schließlich allem, wofür er Zeit seines Lebens stand. Mit diesem Album verfiel er komplett dem MTV-Wahnsinn der Achtziger und scheute selbst davor nicht zurück, sich von programmierten Maschinen unterstützen zu lassen. Beschert wurden ihm dadurch mit "I Love You, Suzanne" und "My Red Joystick" zwei kleinere Hits und massenhafte Abkehrungen jahrelanger Fans, bei denen er sich schlichtweg unglaubwürdig gemacht hatte. Und um ganz ehrlich zu sein, "New Sensations" führt auch meine Rangliste meilenweit an, wenn es darum geht, jemandem zu empfehlen, welches Lou Reed-Album er sich am besten erst gar nicht anhört.
Wie dem auch sei, "Mistrial" (1986) war zwar ein bisschen, aber nicht sehr viel besser. Wenn einem "Legendary Hearts" bereits wie kalter Kaffee bzw. so atemberaubend wie ein Schnecken-Rennen vorkam, dann bekam man die Gewissheit hier noch einmal wie mit einem Hammer auf den Schädel eingetrichtert. Nein, dieses Album tut wohl niemandem wirklich weh, aber... eigentlich tut es doch weh, weil man die eigentliche Genialität dieses Mannes sich hier mehr oder weniger in Luft auflösen sieht, bzw. hört. Lou schimpft zwar auch hier dann und wann noch wie ein Rohrspatz, aber er schimpft... hmm... anders... und langweilig.
Glücklicherweise nahm sich Lou Reed danach wieder eine längere Denkpause und kehrte schließlich 1989 mit dem grandiosen Album "New York" zurück! Wirklich helfen tut das dieser vorliegenden CD-Box natürlich nicht, aber immerhin sind hier mit "The Blue Mask" ein wirklich gutes, dazu zwei mittelprächtige, ein 'unaussprechliches' und ein unbedeutendes Album vertreten. In RockTimes-Uhren ausgedrückt liest sich das dann folgendermaßen:

"The Blue Mask" 8
"Legendary Hearts" 6,5
"Live In Italy" 7
"New Sensations" 4
"Mistrial" 4,5
Für Sammler und Komplettisten, sowie für alle, die einfach mal in Lou Reed reinschnuppern möchten und seine musikalische Vergangenheit nicht kennen, für den ist diese 5 CD-Box allerdings ein starke Sache, besonders wenn man das Preis/Leistungs-Verhältnis betrachtet.
Tracklists
The Blue Mask:
01:My House
02:Women
03:Underneath The Bottle
04:The Gun
05:The Blue Mask
06:Average Guy
07:The Heroine
08:Waves Of Fear
09:The Day John Kennedy Died
10:Heavenly Arms
Legendary Hearts:
01:Legendary Hearts
02:Don't Talk To Me About Work
03:Make Up Mind
04:Martial Law
05:The Last Shot
06:Turn Out The Light
07:Pow Wow
08:Betrayed
09:Bottoming Out
10:Home Of The Braves
11:Rooftop Garden
Live in Italy:
01:Sweet Jane
02:I'm Waiting For The Man
03:Martial Law
04:Satellite Of Love
05:Kill Your Sons
06:Betrayed
07:Sally Can't Dance
08:Waves Of Fear
09:Average Guy
10:White Light/White Heat
11:Some Kinda Love/Sister Ray
12:Walk On The Wild Side
13:Heroin
14:Rock'n'Roll
New Sensations:
01:And Settlin' Down
02:Ride The Country
03:I Can See Everything
04:Go And Say Goodbye
05:Keeper Of The Fire
06:Early Times
07:A Good Feelin' To Know
08:Restrain
09:Sweet Lovin'
Mistrial:
01:Mistrial
02:No Money Down
03:Outside
04:Don't Hurt A Woman
05:Video Violence
06:Spit It Out
07:The Original Wrapper
08:Mama's Got A Lover
09:I Remember You
10:Tell It To Your Heart
Externe Links: