Ramones / Brain Drain
Brain Drain Spielzeit: 35:06
Medium: CD
Label: Chrysalis Records, 1989
Stil: Punk Rock


Review vom 13.12.2009


Moritz Alves
Die Achtziger waren eine höchst zwiespältige Dekade für die Ramones. Ihre Studioalben aus dieser Zeit reflektieren dies, zeigen sie doch eine stilistisch gesehen ziemlich große Bandbreite. Die 'Brüder' waren, gezeichnet von inneren Querelen und Besetzungswechseln, auf der Suche nach kommerziellem Erfolg und einer klaren musikalischen Richtung, die sie mit Alben wie "Pleasant Dreams" (1981), "Subterranean Jungle" (1983) oder "Halfway To Sanity" (1987) erfolglos zu finden versuchten. Man pendelte zwischen vielschichtigen, fast überproduzierten Klanggewänden, poppigen, stark am Sechziger-Radio orientierten Nummern und purem Hardcore-Punk - kaum eine Ramones-Veröffentlichung aus den Achtzigern ist rückblickend als durchgehend stringent anzusehen.
Erst "Brain Drain", das 1989er Album der New Yorker, konnte wieder als auf ganzer Linie ernstzunehmende Scheibe angesehen werden. Es gilt daher heute gemeinhin als eines der härtesten und besten Ramones-Alben überhaupt. Von Kritikern und Fans gleichermaßen geschätzt, kann es als Vorreiter der glorreichen Spätwerke "Mondo Bizarro" (1992) und "Adios Amigos" (1995) angesehen werden, mit denen die Band (nach den frühen Klassiker-Alben aus den Siebzigern) ihren zweiten Frühling erleben durfte. Gleichzeitig ist "Brain Drain" das letzte Album mit Dee Dee Ramone (geb. Douglas Glenn Colvin, 1951-2002) am Bass und das erste nach der Rückkehr von Schlagwerker Marky Ramone (geb. Marc Steven Bell), der in den Jahren zuvor sowohl durch Richie Ramone (geb. Richard Reinhardt) als auch (kurzzeitig) durch Blondie-Drummer Clem Burke (alias Elvis Ramone) ersetzt worden war.
"Brain Drain" vereint wie kaum ein zweites Ramones-Werk die Soundextreme der Band. Auf diesem Album geben sich wüst-minimalistische, polternde Hardcore-Nummern und poppig-balladeske Stücke die Hand und lassen somit die Songwriter-Persönlichkeiten von Dee Dee und Joey Ramone (geb. Jeffrey Ross Hyman, 1951-2001) sehr gut zur Geltung kommen. Beide steuerten, unterstützt von Gastschreibern wie Andy Shernoff (The Dictators) oder natürlich Bandintimus Daniel Rey, je sechs Songs bei. "Brain Drain" lebt von seinen Gegensätzen und seiner Vielfalt, wirkt dadurch aber trotzdem absolut schlüssig und wie aus einem Guss.
Harten, griffigen Wutbrocken wie "Zero Zero UFO", "Learn To Listen" oder "Ignorance Is Bliss" (einige der härtesten Ramones-Song überhaupt) stehen die bittersüßen Retro-Popballaden "Can't Get You Outta My Mind" und "Come Back, Baby", aber auch das kitschbeladene Weihnachtslied "Merry Christmas (I Don't Want To Fight Tonight)" gegenüber. Hinzu kommt eine Coverversion des alten Freddy Cannon-Hits "Palisades Park" (1962), die einmal mehr die Verbundenheit der Ramones zu klassischem Radiopop der Sechziger aufzeigt.
Darüber hinaus ist auf "Brain Drain" mit dem Titel "Pet Sematary" der rückblickend wohl größte Ramones-Hit (wenn man bei den 'Brüdern' denn überhaupt von so etwas wie 'Hits' sprechen kann) vertreten. Das Stück, durch viel Keyboard-Einsatz poppig angehaucht, das auf direkten Wunsch von Horror-Autor Stephen King für dessen gleichnamigen Film geschrieben wurde, verhalf den Ramones zu einem enormen Popularitätsschub. So ist es heute, ebenso wie das saustarke, dazugehörige Musikvideo, auch Nicht-Ramones-Fans ein Begriff.
Die Weihnachtsschmonzette "Merry Christmas (I Don't Want To Fight Tonight)" schließlich war eigentlich eine Solonummer von Sänger Joey, bekam von der Band aber einen punkigen Neuanstrich und ist somit als 'Zugabe' auf "Brain Drain" gut aufgehoben. Der kitschige Text passt natürlich bestens in die Weihnachtszeit:
»I love you and you love me
And that's the way it's got to be
I loved you from the start
'Cause Christmas ain't the time for breaking each other's hearts«

Da ist der Heilige Abend gerettet und es bleibt kein Auge trocken… Übrigens sollte man sich auch hier den coolen Videoclip nicht entgehen lassen.
Weitere Highlights sind das melancholisch rockende, von Dee Dee gesungene "Punishment Fits The Crime" (großartiger Refrain) und das hart ausgerichtete, aber sehr positve "I Believe In Miracles" (einer der besten Ramones-Songs überhaupt, ausgestattet mit einem unglaublichen Riff). Außerdem erwähnenswert ist die bitterböse Trennungshymne "Don't Bust My Chops" sowie die schleppend-zähe Bubblegum-Nummer "All Screwed Up".
Fazit: "Brain Drain" ist DAS Achtziger-Album der Ramones und bietet sich als Einstieg in die Musik der vier Lederjackenträger geradezu an. Abgesehen von den ersten vier Scheiben, die zweifellos Klassikerstatus inne haben, sollte man sich dieses Teil unbedingt ins Regal stellen, fasst es doch die musikalische Essenz der New Yorker Urgesteine bestens zusammen. Die Ramones (übrigens von 1974 bis 1996 aktiv) mögen auf ihren Erstwerken musikalisch zwar besser gewesen sein, doch "Brain Drain" kommt als Bindeglied zwischen den Achtzigern und der Spätphase eine sehr wichtige Rolle zu.
Dee Dee, Joey und Johnny Ramone (geb. John William Cummings, 1948-2004) - möget ihr in Frieden ruhen.
Line-up:
Joey Ramone (lead vocals)
Johnny Ramone (guitar)
Dee Dee Ramone (bass, backing vocals, lead vocals - #4)
Marky Ramone (drums)

Andy Shernoff (bass - #5, 10)
Artie Smith (additional guitars)
Robert Musso (additional guitars)
Tracklist
01:I Believe In Miracles (3:20)
02:Zero Zero UFO (2:25)
03:Don't Bust My Chops (2:28)
04:Punishment Fits The Crime (3:05)
05:All Screwed Up (4:00)
06:Palisades Park (2:20)
07:Pet Sematary (3:30)
08:Learn To Listen (1:51)
09:Can't Get You Outta My Mind (3:22)
10:Ignorance Is Bliss (2:38)
11:Come Back, Baby (4:01)
12:Merry Christmas (I Don't Want To Fight Tonight) (2:06)
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