Tribute / New Views
New Views Spielzeit: 46:42
Medium: LP
Label: Sireena Records, 2015 (1984)
Stil: Progressive Rock


Review vom 09.11.2015


Boris Theobald
Auf den Inhalt kommt es an, na klar. Und dennoch hätte die Geschenkpapierindustrie schon längst schlapp gemacht, wenn nicht auch die Verpackung wichtig wäre. Es hilft also nichts, wir müssen uns auch über das 'Wie' Gedanken machen. Das tut auch das Label Sireena Records. Schon anno 2012 hatte Sireena dankenswerterweise die wunderbare schwedische Symphonic Prog-Band Tribute aus der Versenkung der Musikgeschichte geholt und das Debütalbum "New Views" auf CD wiederveröffentlicht. Über den Sinn (des Re-Releases) und Sinnlichkeit (der Musik) habe ich mich bereits hier ausführlich ausgelassen. Und nun gilt es also, über die Verpackung zu reden, das Format. Denn "New Views" gibt es nun auch (wieder) als LP, digital verbessert, auf violettem, 180 Gramm schwerem Vinyl, limitiert auf 1000 Exemplare.
Über den wunderbar modernen Schein-Anachronismus von Vinylveröffentlichungen wurde nun schon viel reflektiert und geschrieben. Neben den Veröffentlichungen aktueller Alben in LP-Form werden längst auch zunehmend Klassiker und, wie hier, 'versunkene Schätze', ebenfalls in rotierendem Analog-Großformat wiederveröffentlicht. Das ist schön für Spätgeborene (oder Späterwachte), die in Sachen Tribute etwas nachzuholen haben und dabei auch urig-echt bleiben wollen. Zugleich bleibt denen, die die Band zwischen 1983 und 1986 bei ihren Tourneen - und Deutschland war eines ihrer Lieblingsländer - erlebt haben, immer noch die Gewissheit 'Ja, MEINE LP ist ein Original von früher!' Trotzdem ist die Neuauflage nichts weniger als eine Liebeserklärung an die größtenteils instrumental agierende Schwedengruppe.
Und welch einen Unterschied macht es dann doch tatsächlich, 992,25 Quadratzentimeter in der Hand zu halten statt der läppischen 175, die das digitale Pendant verhüllen! Es beschleicht einen nicht nur dieses wohlige Gefühl wie beim Fahren eines alten Golfs ohne Servolenkung, Tempomat und Rückwärtsfahrpiepsvorrichtung. Das Schallplattencover ist auch ein optisches Kunstwerk, das im besten Falle mit dem akustischen Inhalt optimal einhergeht. Tut es im Falle von "New Views". Dieses authentisch-kitschige, gemalte Cover ist doch einfach großartig. Der Blick von einer marsianisch anmutenden Planetenoberfläche auf einen viel zu nahen Jupiter-ähnlichen Planeten, den strahlende Sterne wie eine Art Aura umgeben ... 'New Views' eben.
Und auch die Musik Tributes - bis auf ein bisschen sphärisches Sternenstaub-Gesäusel Nina und Lena Anderssons vokallos - eignet sich wunderbar als Soundtrack für einen surrealen-verträumten Weltraumspaziergang. Sei es dynamisch und pulsierend wie bei "Icebreaker" und "Too Much At One Time", sei es träumerisch wie bei "A New Morning" oder aus heutiger Sicht hypnotisch retro-spacig im Stile der 80er wie im fesselnden Doppelpack "Climbing To The Top" und "Unknown Destination" - "New Views" würde sich im positivsten Sinne zur akustischen Begleitung einer TV-Show eignen, die uns in einer Mischung von Bublath und Star Trek den unendlichen, faszinierenden Kosmos erklärt und zugleich noch Geschichten darin spielen lässt.
Und schließlich ist es nur in Form einer originären LP endlich wieder verständlich, wie dieses Album aufgebaut ist. Denn die ersten fünf Tracks befinden sich auf Side A, und das Titel-Epos "News Views" auf Side B. Ein Meisterwerk, diese einundzwanzigeinhalb Minuten. Die ersten neuneinhalb bestehen aus einem famosen Akustikgitarren-Set, bevor dann bei jedem Hören aufs Neue Gänsehaut aufkommt, wenn diese geniale Synthesizer-Hookline einsetzt. Selten habe ich jemals so wenig einen (un)möglichen Gesang vermisst, wie in den folgenden Minuten, in denen einen Keyboards, Röhrenglocken und wortloser Gesang ins Weltall tragen - mal energisch, mal mystisch, mal nahezu feierlich.
Vergleiche mit Mike Oldfield wurden viele gezogen. Aber auch, wer Percussion-Arbeit à la Toto, Synthies wie bei Rush in den frühen 80er Jahren und die melodisch-harmonischen Verzückungen von Yes wertschätzt, für den besteht die große Chance, sich mit Tribute einen neuen, alten Liebling ins Musikregal zu holen. Und wer zu den schnellsten 1000 gehört, dem ist viel Spaß mit der 992,25-Quadratzentimeter Version sicher.
Line-up:
Josef Rhedin (grand piano, synthesizer, marimba, syntharmonic orchestra, drums, acousstic guitar, DMX drum machine, choir)
Gideon Andersson (drums, bass guitar, guitars, electric guitar, Marroccan clay drum, choir)
Per Ramsby (synthesizer, grand piano, choir)
Nina Andersson (vibraphone, xylophone, vocals, choir, flute, marimbas)
Lena Andersson (timpanis, tubular bells, percussion, vocals, choir)
Dag Westling (choir, concert guitar, electric guitars)
Wolfgang Bernhardt-Holtbernd (English horn - #3)
Tracklist
Side 1:
01:Icebreaker [Josef Rhedin] (5:25)
02:Too Much At One Time [Gideon Andersson] (5:49)
03:A New Morning [Gideon Andersson] (4:43)
04:Climbing To The Top [Gideon Andersson, Josef Rhedin, Dag Westling] (4:27)
05:Unknown Destination [Improvised] (4:22)

Side 2:
01:New Views [Gideon Andersson, Josef Rhedin] (21:48)
Externe Links: