The Who
Under Review - An Independent Critical Analysis
Under Review
Zunächst ist es mir wichtig darauf hinzuweisen, dass ich dieses Review stellvertretend für einen lieben Kollegen schreibe, der diese Aufgabe aus persönlichen Gründen in andere Hände übergeben musste.
Und ich möchte mich an dieser Stelle ebenfalls stellvertretend bei 'Chrome Dreams', hier ist insbesondere Melanie zu nennen, bedanken, die uns diese DVD direkt aus England hat zukommen lassen.
Es geht um die DVD - Reihe "Under Review - An Independent Critical Analysis", aus der wir bereits die Ausgabe über die Small Faces vorgestellt haben.
Es handelt sich dabei um Betrachtungen und Einschätzungen über (die Musik von) The Who der Jahre 1964 - 1968, die ausdrücklich nicht von der Band, ihrem Management oder ihren diversen Plattenfirmen autorisiert sind, sondern explizit von unabhängigen, mehr oder weniger außenstehenden Leuten vorgetragen werden, die aber auf Grund ihrer individuellen Kompetenzen sehr wohl Substanzielles beizutragen haben. Das Konzept ist offenbar ähnlich wie bei der Small Faces-DVD, auch hier kommt u.a. der allgegenwärtige Musikjournalist Chris Welch ausführlich zu Wort, genauso wie beispielsweise der erste Who-Produzent Shel Talmy, der (Musik)Journalist und Autor Paolo Hewitt oder der Biograf von Keith Moon, Alan Clayson.
Ich möchte für den Einstieg der eigentlichen DVD-Besprechung den geschätzten Kollegen zitieren, der in seiner vorzüglichen und absolut lesenswerten Small Faces-Review schrieb:
Die Platte ("Odgen's Nut Gone Flake", der Verf.) ist ein Gemisch aus R&B, Pop, Folk und Rock, das auch heute noch nichts von seinem Charme verloren hat und nie verlieren wird - die nachfolgenden Generationen werden es auch irgendwann entdecken so wie es Leute entdeckt haben, die 1968 erst geboren wurden. Obwohl denen der Zusammenhang zwischen dieser Musik und dem zugehörigem Zeitgeist nicht ersichtlich sein kann, wird die Platte immer das bleiben, was sie ist: ein Gesamtkunstwerk.
Nun, ich als 68er Jahrgang fühle mich da natürlich angesprochen und tatsächlich, die Musik kann ich für mich nur nachträglich erschließen, was genauso für den dazugehörigen Zeitgeist gilt, den ich freilich nicht selbst miterlebt habe, und den ich somit nur über diverse Zeitdokumente versuchen kann zu rekonstruieren und kognitiv zu erfassen. Das wirkliche, tatsächliche Gefühl für diese Zeit kann ich natürlich nicht herbeizaubern, ich kann höchstens versuchen, eine gewisse Empathie zu entwickeln.
Und genau das ist mir wirklich ein Anliegen, denn nicht nur mir erscheint die Phase zwischen 1963 und 1970 als eine der spannendsten, ereignisreichsten und von großen gesellschaftlichen, politischen wie musikalischen Entwicklungen und Veränderungen geprägten Zeiten überhaupt.
The Who waren Teil davon und somit mittendrin. Sie prägten neben anderen maßgeblich die Entwicklung dessen, was wir heute allgemein unter Rockmusik verstehen. Und genau davon handelt dieses Kleinod von DVD.
Wir bekommen keine kompletten Live-, TV-, Promoclip- oder sonst wie Auftritte zu sehen, nein, diese dienen nur schnipselartig der Visualisierung und akustischen Untermalung dessen, was uns die diversen Musikjournalisten, Autoren, Plattenproduzenten, Biografen oder Mod-Experten zu erzählen haben. Und in ihren Erzählungen wird tatsächlich der damalige Zeitgeist wieder quicklebendig.
Über die Mod-Bewegung hat mein Kollege in seiner Small Faces-Review bereits sehr informativ berichtet, auch The Who zählten zu diesem/r damals völlig neuen Genre/Jugendsubkultur, nachdem ihr erster Manager, Pete Meadon, die Prä-Who-Formation The High Numbers mindestens klamottentechnisch darauf trimmte.
Nachdem dann die ursprünglich als Filmproduzenten tätigen Kit Lambert und Chris Stamp die Geschicke der Band übernahmen, wurde zunächst der Name in The Who geändert und anschließend bei einem Sublabel von 'Decca' namens 'Brunswick' im UK die erste Single "I Can't Explain" veröffentlicht - Produzent war Shel Talmy, der zu der Zeit u.a. auch die Kinks unter seinen Fittichen hatte.
Wir erfahren, dass am 24. Februar 1965 The Who mit dieser Single erstmals in den Top Thirty des 'New Musical Express' auftauchten, und zwar auf Position 28.
Das brachte ihnen immerhin einen Auftritt bei der seit 1963 ins Leben gerufenen einflussreichen Pop-Show 'Ready Steady Go!' ein, was auch prompt dafür sorgte, dass die Single Platz 8 in den Charts erklomm. The Who als erfolgreiche Musikgruppe war geboren!
Darauf folgte eine zweite Hitsingle ("Anyway, Anyhow, Anywhere"), welche als erste chartrelevante Produktion überhaupt mit Feedbacksounds der E-Gitarre aufwarten konnte, so behauptet es jedenfalls der damalige Produzent Shel Talmy.
Danach kam es zu ersten großen Spannungen in der Band, speziell zwischen Roger Daltrey und Pete Townhend, weil ersterer ursprünglich der Motor war, als sie noch unter dem Namen The Detours firmierten und nunmehr den Führungsanspruch mehr und mehr an den Songschreiber und exaltierten Gitarristen Pete Townshend verlor, der auch in den Medien das größere Interesse auf sich zog. Das führte schließlich dazu, dass Roger schon fast gefeuert war, dann aber einlenkte und sich nach einer gemeinsamen Aussprache dem Teamgeist unterwarf, so dass die Gruppe wieder zusammen war.
Das erste Lebenszeichen nach dieser Krise, die fast das sagenhafte Kapitel The Who beendet hätte bevor es überhaupt richtig angefangen hatte, war die epochale Single "My Generation", die am 27.11.1965 veröffentlicht wurde. Nicht zuletzt durch die legendäre Textzeile Hope I Die Before I Get Old avancierte dieses Masterpiece zum Soundtrack der post-Kriegs- und -Depressionsära, in der vor allem die Jugend nach etwas Neuem suchte. Die Lyrics reflektierten beispielhaft die rebellische Zeit, der Song als Ganzes fing eindrucksvoll das Feeling dieses Aufbruchs zu neuen Ufern ein. Wie sagt doch Shel Talmy so schön: Alles was wir taten riss Mauern ein.
Und so geht es weiter auf dieser hochinteressanten und -informativen DVD. Die Trennung von Shel Talmy nach Erscheinen des ersten Longplayers "My Generation", der als Produzent von Manager Kit Lambert abgelöst wurde, was wiederum mehr Freiheiten speziell für Pete Townshend im Studio bedeutete, der damit einhergehende Wechsel zum 'Reaction-Label', die damit verbundenen musikalischen Veränderungen, die Besonderheiten an der "Ready Steady Who" - EP, die zweite LP "A Quick One" und ihr wegweisender letzter Song "A Quick One, While He's Away", der erste Hit in den USA mit "Happy Jack" (März 1967 - Platz 24), der abermalige Wechsel der Plattenfirma, diesmal zum vom Management selbstgegründeten 'Track' - Label, die dritte, als Konzeptplatte über einen Piratenradiosender entwickelte LP, die Entwicklung ab ca. 1967, dass immer mehr Bands sich dem Singleformat und -diktat entzogen, um Langspielplatten als Gesamtkunstwerk zu entwerfen, was schließlich bei The Who in der phänomenal erfolgreichen Rock-Oper Tommy mündete und gleichzeitig auch für die Band das Ende einer Epoche bedeutete, um zugleich eine neue zu beginnen - das alles wird anschaulich vermittelt, aufgelockert durch diverse Archiveinspielungen, meistens aus dem britischen TV und aus den Hamburg Studios, wo seinerzeit die legendäre bundesdeutsche Musiksendung 'Beat Club' produziert wurde, aber auch seltenes Material aus den Archiven von Manager Kit Lambert ist zu sehen.
Ich persönlich fühle mich beim Genuss dieser DVD hochgradig angeregt und motiviert, die entsprechenden Scheiben (okay, ich gestehe, bei mir sind's leider 'nur' CDs) aus der Sammlung zu kramen und noch einmal mit ganz anderen Ohren, Blickwinkeln und Perspektiven zu hören. Das führt zu einem teilweise gänzlich neuen Hörgefühl und -erlebnis. Insofern nimmt das Teil einen ganz besonderen Platz im reichhaltigen DVD-Angebot von The Who ein und kann ausdrücklich als willkommene und wichtige Ergänzung eingestuft werden.
Zur Zeit ist die DVD lediglich als UK-Import erhältlich, daher sind auch optional keine Untertitel abrufbar.
Als besonderen Bonus gibt es noch ein Interview mit dem Schlagwerker 'Legs' Larry Smith (Bonzo Dog Do Da Band), der sich besonders an Keith Moon, und daran wie sie sich kennen gelernt hatten, erinnert. Darüber hinaus gibt es für die ganz Aufgeweckten ein Quiz mit 25 ziemlich kniffligen Fragen und die obligatorischen Discografien. So macht Geschichte Spaß!!!
Technik:
Stereo Sound Mix - Bild: 4:3, Kein Regionalcode (überall abspielbar)


Spielzeit: 75 Min., Medium: DVD, Chrome Dreams, 2005
1:Introduction 2:The Detours 3:Becoming Mods 4:I'm The Face 5:I Can't Explain 6:Anyway, Anyhow, Anywhere 7:My Generation 8:The Kids Are Alright 9:Substitute 10:I'm A Boy 11:Ready Steady Who 12:Happy Jack 13:A Quick One 14:Pictures Of Lily 15:The Who Sell Out 16:Magic Bus 17:End Of An Era
Extras:
The Who Quiz, "Legs" Larry Smith And Keith Moon, Discographie
Olaf "Olli" Oetken, 09.12.2005