Amon Düül II / Düülirium
Düülirium Spielzeit: 52:16
Medium: CD
Label: Cleopatra Records, 2014 (2010)
Stil: Psychedelic Kraut

Review vom 23.06.2014


Steve Braun
Die Legende lebt... nach (viel zu) langer Pause kommt eine der einflussreichsten Bands der Krautrockszene mit einem neuen Album rüber: Amon Düül II. Obwohl - so 'neu' sind die Aufnahmen gar nicht. Sie wurden 2009 in den Münchner Dreamscape-Studios aufgenommen und etwa ein Jahr später als "Bee As Such" - meines Wissens nur als Download - veröffentlicht.
Nun hat Cleopatra Records den Silberling unter dem Titel "Düülirium" aufgelegt. Die Songs sind identisch, aber drei von ihnen bekamen neue Titel: Aus "Mambo la Libertad" wird nun "On The Highway (Mambo la Libertad)", aus "Still Standing" wird "Standing In The Shadow" und die "Psychedelic Suite" nennt sich nun "Back To The Rules/Walking To The Park".
Mit Chris Karrer, John Weinzierl und Renate Knaup (aka Henriette Krötenschwanz) sind allen Ernstes noch drei, stramm auf die magische 70 zuschreitende Originalmitglieder und mit Lothar Meid ein langjähriger Mitstreiter dabei. Popol Vuh-Drummer Daniel Fichelscher hat den 2006 verstorbenen Peter Leopold ersetzt und ist, da er beim 1972er Album "Carnival In Babylon" mitgewirkt hat, alles andere als ein Unbekannter in Amon Düül IIs Reihen.
Das letzte offizielle Studioalbum Amon Düül IIs, das 1981er "Vortex", konnte gewisse Einflüsse der damals grassierenden Neuen Deutschen Welle nicht verbergen. Unter diesem Eindruck erscheint "Düülirium" wie eine Rückkehr zu den Wurzeln, zu Phallus Dei und den anderen Ergüssen der freien Liebe. So weit, so (sehr) gut... erstmal...
Es wäre ein trefflicher Grund zur Bitterkeit, denn die Visionen - "Mambo la Libertad" - der Kommunarden von einst sind vom System längst aufgesaugt, verdaut und wieder ausgeschi**en worden, allerdings ohne die Exkremente als Dünger für Neues auszubringen. Da wirkt es schon leicht anachronistisch, wenn Amon Düül II mit den vorliegenden Aufnahmen den Geist der 'guten alten Zeit' beschwören will. Und wenn man diesen Spirit noch mit den »Klängen und Inhalten der Musik eines neuen Jahrtausends« (so das Originalzitat via Promozettel) anreichern will, erscheint das reichlich überambitioniert Wirkende zum Scheitern verurteilt...
Ich kann den Leser (teilweise) beruhigen: Von jüngeren Einflüssen ist allerhöchstens gelegentliches E-Drum-Geklatsche (was nun wirklich nicht den jüngsten Gipfel der Innovation darstellt) zu hören. Vielmehr muss man klanglich eher auf die Meisterwerke der Bandhistorie, wie das besagte "Phallus Dei", "Yeti" oder den "Tanz der Lemminge", verweisen - und dann wird die Luft für Amon Düül II schon zwangsläufig dünner.
Auch wenn "Düülirium" diesen Klassikern nicht das Wasser reichen kann - und wer hätte das auch ernsthaft erwartet - stellt dieses Album alles andere als einen Reinfall dar. Die vier Titel haben Überlänge, wie es sich für psychedelische Krautrockbands (gefälligst) gehört, und nutzen diese für ellenlange Jams - alles ist im Fluss, alles entwickelt sich und vergeht wieder...
Sicherlich werden große Teile der Aufnahmen aus puren Jams entstanden sein und so ist kaum verwunderlich, wenn "Düülirium" eher an Fata Morganen oder andere fiebrige Visionen erinnert. Mit ganz großen, weit ausholenden 'Pinselstrichen' werden hier vielschichtige Klangfarben zu -bildern geschichtet.
Am coolsten (und tanzbarsten) sicherlich in "On The Highway (Mambo la Libertad)", ein ebenso ekstatischer wie anarchistisch-libertärer Tanz auf dem Vulkan »im Land der Lügner und der Narren«. Auch live dürfte das Ding richtig satt zünden. Mit einer gehörigen Portion Selbstironie nehmen die doch recht betagten Musiker ihre persönliche (nähere?) Zukunft ins Visier. "Du kommst ins Heim" stellt sich als ziemlich irrer Vokal-Trip einer quasi 'desorientierten' Renate Knaup heraus, ein eindrucksvolles Statement für das Recht, im Alter ungestört und ungegängelt Verrücktwerden zu dürfen!!!
"Standing In The Shadow" ist ein achtminütiger Jam auf einem toll groovenden Thema - allerdings, so ganz ohne Drogen, vielleicht etwas zu langatmig...
Die ehemalige "Psychedelic Suite", nun "Back To The Rules/Walking To The Park" betitelt, macht ihrem ursprünglichen Namen alle Ehre - sehr frei, expressiv, improvisatorisch, gelegentlich sogar meditativ beeindruckt muss man hier zwangsläufig an die Münchner Kollegen von Embryo denken. Ganz klar das Stück von "Düülirium", das sich am deutlichsten auf die Frühphase der Band bezieht. Nach einer ziemlich 'freien' Einleitung schwenkt man nach etwa elf Minuten auf "Back To The Rules" ein, um sich nach weiteren acht mit "Walking To The Park" munter zu den 'Nackerten' in den Englischen Garten zu gesellen und alles - völlig befreit - 'baumeln' zu lassen...
Den kritischen Anmerkungen zum Trotz gefällt mir persönlich Amon Düül IIs Comeback ziemlich gut, wie ein Fossil im Senckenberg-Museum - das gefällt mir auch!
Doch Amon Düül II lebt. Ob es allerdings noch zum »Welt retten«, wie John Weinzierl hofft, reicht, wage ich ernsthaft zu bezweifeln. Ich ergötze mich lieber an ihrem Untergang... mit "Düülirium" wird dieser jedenfalls erträglich untermalt.
Line-up:
Chris Karrer (guitars, violin, vocals)
John Weinzierl (guitars, vocals)
Lothar Meid (bass)
Daniel Fichelscher (drums)
Jan Kahlert (drums, percussion, sounds)
Renate Knaup (vocals)
Tracklist
01:On The Highway [Mambo la Libertad] (8:36)
02:Du kommst ins Heim (9:23)
03:Standing In The Shadow (8:15)
04:Back To The Rules/Walking To The Park (26:02)
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