Ersi Arvizu / Friend For Life
Friend For Life Spielzeit: 49:14
Medium: CD
Label: ANTI, 2008
Stil: Weltmusik

Review vom 02.07.2008


Tom Machoy
Also, das sind schon mehrere Geschichten, die zum Entstehen der CD geführt haben: Ein starker Wille, etwas Zufall, ein wenig Glück sowie der Gitarrist und Produzent Ry Cooder. Und dann solltet ihr schon wissen, welche Musik sich im CD-Spieler bewegt. Ich sag nur: Buena Vista Social Club! Er komponierte viele Soundtracks verschiedenster Stilrichtungen, in denen er andere Länder, andere Kulturen und Leute zu Wort, besser, zu Musik kommen lässt. Auch seine Vita ist beeindruckend. Zum Beispiel war er Sessionmusiker für Taj Mahal und Captain Beefhearts Magic Band, Studiomusiker der Rolling Stones, Eric Clapton, Van Morrison oder John Lee Hooker.
Eigentlich mit seinen Projekten immer seiner Zeit voraus, blieb ihm großer Erfolg lange Zeit verwehrt. Blues-orientiert, weltmusikmäßig immer an vorderster Spitze, politisch engagiert und in allen Musikkulturen bewandert. Soviel (bzw. so wenig) zu Ry Cooders Ehren. Aber immer der Reihe nach.
Auf der Suche nach einer Stimme, die aus der Vergangenheit kommt, die es versteht, genau diese Vergangenheit heute auszudrücken, kramte Ry Cooder für die Aufnahmen seines Albums "Chávez Ravine" (Songzyklus vom alten L.A.) in Musikarchiven. Lange Zeit wurde er nicht fündig, doch er suchte weiter und er fand die Stimme auf einer alten CD, »eine raue Stimme, … Ich hoffe, sie ist es, ich hoffe, es ist genau das, was ich wollte.« Und so fand Ry Cooder Ersi Arvizu!
Eine Frau mit einer Lebensgeschichte, eine Stimme, die einen in die Vergangenheit führt, an Orte, von denen man meint, sie seien lange nicht mehr da, die diese Orte wieder lebendig werden lässt, sichtbar, nah.
Sie sagt selbst über sich, dass sie aus einer musikalischen Familie stamme, ihre Mutter summte die Radiolieder mit, alle auf Spanisch und sie lernte auf des Vaters Gitarre erst »schrummen«, dann greifen. Sie wuchs auf der anderen Seite der Brücke, im östlichen L.A., in einer nicht eben 'biederen' Gegend auf. Schon sehr früh sang sie mit ihren Schwestern auf Partys, war aber immer froh, schnell damit fertig zu sein, um draußen spielen zu können (meist Fußball mit den Jungen). Dennoch sangen sie irgendwann doch vor Wettkämpfen im Olympiastadion und zum Ausklang der Shows.
Während der Highschoolzeit traten Ersi und zwei ihrer Schwestern als The Sisters bei Veranstaltungen im El Monte Legion Stadium oder Paramount Ballroom auf, bekamen einen Vertrag mit Bob Keanes Del-Fi Records (Richie Valens' Label), standen plötzlich auf einer Stufe mit
Tina Turner, den Righteous Brothers oder Caesar & Cleo (Sonny & Cher) und ersangen sich mit "Gee Baby Gee" den dritten Platz der Top 10. Insofern ist Ersi Arvizu wohl doch so unbekannt nicht, oder?
Ihr Vater trainierte die Jungen der Nachbarschaft im Boxen in seiner Sporthalle und nie durfte sie am Männersport teilnehmen. Heimlich beobachtete sie die Trainierenden durch Löcher in der Wand und lernte dabei: »Du könntest der stärkste Mann sein oder ein schmächtiger alter Mann, aber wenn du Verstand hast, schlägst Du jeden.«
Mitte der 70er war sie Sängerin der Band El Chicano (vormals The V.I.P.'s ), die sozusagen die Botschafter des Ost-Los Angeles-Klangs waren, die in ihrer Musik neue Stile (Rock, Jazz, R'n'B) mit lateinamerikanischen Rhythmen und Anklängen des Bolero verwoben. Es entstanden regelrechte Ost-L.A.-Hymnen.
Jedoch war Ersi Arvizu nicht sehr glücklich mit dieser Band, »…zu viel Alkohol, zu viele Drogen, zu viel, zu viel… «. Sie hielt es einfach nicht mehr aus, gründete eigene kleine Bands mit denen sie durch den Staat tingelte. Trotzdem wurde sie diese Unruhe nicht los. Sie versuchte sich im Boxen, bis ihre Eltern davon erfuhren und zog letztlich in einen anderen Bundesstaat, nach Arizona, wo sie Transporte für FedEx fuhr und damit zufrieden war, junge Boxer zu trainieren. In dieser Zeit hatte sie Abstand von der Musik genommen, bis Ry Cooder sie fand.
Und um all diese Dinge geht es in ihren Liedern, sehr autobiografisch, sehr authentisch - es ist ihre eigene Geschichte. Mit allem Leid, mit aller Freude, Erfolg und Misserfolg, vom Leben und vom (wirklichen) Überleben.
Sie singt von ihren Auftritten ("El Arbol"), vom Beobachten der Trainierenden ("Windows Of Dreams"). Sie besingt ihre Freunde, alte und neue, in "Friend For Life", die sie teilweise auch auf diesem Album begleiten, wie Joey Nevarro, Mickey Lespron von den El Chicano (Gitarre), Johnny Sandoval (Percussion), oder Rene Camacho (Bass) und Francisco Torres (Posaune).
Mit diesen Liedern hat Ersi Arvizu wieder zur Musik zurückgefunden, hat sie wieder für sich entdeckt und zeigt mit der musikalischen Darbietung ihrer Geschichte, den mühsamen Weg, den sie gegangen ist.
"Friend For Live" ist ein sehr einfühlsames, schönes Album, mit spanischen und englischen Texten, durch das gelebte Vergangenheit gegenwärtiger wird denn je, verkörpert durch die Stimme von Ersi Arvizu.
Danke an Herrn Ry Cooder!

Hörtipps: "Windows Of Dreams", "Friend For Life", "Angel De Mil Voces"
Tracklist
01:Windows Of Dreams
02:El Arbol
03:En El Tambo
04:Mi India
05:Sin Tu Querer
06:Friend For Life
07:In The Closet
08:Soledad (Ya No Piede Ser)
09:Angel De Mil Voces
10:Mil Besos
11:Cruisin´To The Hop
12:Dichoso
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