Berlin Boom Orchestra / Hin und Weg
Hin und Weg Spielzeit: 71:47
Medium: CD
Label: Pork Pie, 2010
Stil: Reggae, Ska

Review vom 15.08.2011


Joachim 'Joe' Brookes
"Hin und Weg". Stimmt. Bin ich, wenn das Album des Berlin Boom Orchestra (BBO) läuft. Seit fünf Jahren gibt es die Combo und im Winter letzten Jahres stand man bei der Deutschen Rock & Popstiftung in der Kategorie 'Beste Reggaeband 2010' sowie 'Bestes Reggaealbum 2010' auf dem obersten Treppchen des Podestes. Da muss für die Band wohl angebaut werden, denn immerhin spielen neun Leute in der Gruppe.
BBO begeistert auf Festivals wie auch in den Clubs und neben Headliner-Auftritten hat man als Support bereits für The Busters, Groundation, Mutabor oder Skatalites gespielt. Vor dem Album "Hin und Weg" gab es "Kaboom" (2008) und "Live in Kreuzberg" (2009). Die neue Platte erscheint auf dem trendigen Label Pork Pie. Da komme ich auf den Geschmack, denn Pork Pie mag ich ganz besonders und mit dem stylisch-symbolischen Hut der Plattenfirma habe ich nichts am Hut. Die englische Küche ist gut.
Berlin Boom Orchestra gefällt und begeistert durch Musik sowie Texte. Bei den Lyrics wird so ziemlich alles kritisch angegangen, was einem Menschen im täglichen Leben so über den Weg läuft. Da wird in "Reisefieber" fast ausschließlich und gnadenlos die Seite der Menschen in den Urlaubsländern beleuchtet und der Finger in die Wunde des Scheuklappen-Tourismus gelegt. "Meister aller Klassen" handelt von einer Person, die das Pech gepachtet hat und "Endstation Rudow" »hätte auch über jede andere Endstation lamentieren können. [...] Und wer schon einmal zu später Stunde betrunken in der U- oder S-Bahn eingeratzt ist, der weiß dass wir Recht haben. Das Wort "Morgengrauen" heißt was ganz anderes, als Ihr immer gedacht habt...« (aus den Linernotes zum Lied)
Die im Booklet abgedruckten Lyrics, alle vom Sänger und Geiger Filou Rouge geschrieben, sind alleine schon lesenswert. In der Gemeinsamkeit mit der Musik bleibt bestimmt kein Tanzbein still. Die Fußwippe ist eh ständig aktiv und wenn viele tolle MusikerInnen mitmischen, ist der Sound ultimativ. Bemerkenswert ist, auf welch hohem Niveau die Band den Reggae über die Distanz von fünfzehn Songs auslotet. Drei weitere Tracks sind bearbeitete Remixe beziehungsweise der Radio Edit zu "Meister aller Klassen".
Da fällt es einem verdammt schwer, auf der Platte überhaupt Favoriten auszumachen. Besonders spitzt der Hörer die Lauscher, wenn Rouge die Saiten seiner Geige zum Schwingen bringt und die räumliche Distanz zwischen Berlin und Balkan auf Null minimiert. Trompeter Frederick Sixtus spielt, wie in "Hunde", auch die Melodika. Im verhaltenen Teil des Stücks hat er sein verträumtes Solo. Beeindruckende Soli gibt es von allen (und das sind ja nicht gerade wenige) Instrumenten fast schon im Überfluss, was nun in keiner Weise negativ gemeint ist. Dabei darf es auch Mal ein Ausflug in jazzige Gefilde sein. Dafür sorgt die Posaune von Anne Dau in "Nicht egal". Feinste Soundspielereien versüßen einem das Hören auch noch.
Man findet in der Tracklist auch zwei Instrumentals. Anne Dau komponierte das mit einem Blick auf den Balkan gerichtete "Die dreisten Vier" und hier sind die Bläser-Alleingänge ebenfalls vom Jazz beträufelt worden. "Stagnation" ist der andere Track ohne Gesang und wurde von der Keyboarderin Antonie Klenner geschrieben. Fein ist die Gitarrenarbeit von Florian Elger, der nicht gerade typische Riffs und ein klasse Solo spielt. Ganz cool ist das Tastensolo mit Lounge-Atmosphäre von Klenner. Jaja, so unberechenbar ist die Berliner Combo nun mal!
Mit jeder Menge Finessen wurden von Kraans de Lutin und Ganjaman zwei Nummern in ein neues Gewand gesteckt und sowohl "Spüre den Dub" sowie "Wenn es aufhört" gefallen auf ihre Art und Weise gehörig gut. So liefert das Berlin Boom Orchestra mit "Hin und Weg" ein brillantes Album mit ungemein vielen Eindrücken ab.
Line-up:
Filou Rouge (Gesang, Geige)
Florian Elger (Gitarre)
Antonie Klenner (keyboards, backings)
Moritz Wendt (saxophone)
Anne Dau (Posaune)
Frederick Sixtus (Trompete, Melodika)
Nils Jähnig (Bass)
Jonas Desaga (Schlagzeug)
Bruno Langbehn (percussion, Sound FX, backings)
Tracklist
01:Wenn es losgeht [BBO/Filou Rouge] (4:15)
02:Meister aller Klassen [Anne Dau/Filou Rouge] (4:02)
03:Security Advice (0:19)
04:Reisefieber [Frederick Sixtus/Filou Rouge] (3:49)
05:Zwischen Gestern und Morgen [Anne Dau/Filou Rouge] (5:16)
06:Spüre den Verlust [BBO/Filou Rouge] (3:31)
07:Alles was zählt [Frederick Sixtus/Filou Rouge] (5:01)
08:Ein Tag im November [Louis McGuire/Filou Rouge] (2:27)
09:Weg & Ziel [Jonas Desaga/Filou Rouge] (4:28)
10:Stagnation [Antonie Klenner] (3:47)
11:Nein, Mann! [BBO/Filou Rouge] (4:52)
12:Hunde [Frederick Sixtus/Filou Rouge] (6:56)
13:Nicht egal [Frederick Sixtus/Filou Rouge] (3:25)
14:Die dreisten Vier [Anne Dau] (3:22)
15:Endbahnhof Rudow [Anne Dau/Filou Rouge] (3:33)
16:Spüre den Dub [Tiger Techno Hifi Echo Remix] (4:49)
17:Wenn es aufhört [Ganjaman Eternal Delay Remix] (4:22)
18:Meister aller Klassen [Radio Edit] (3:22)
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