Birth Control / Live Abortion Plus
Live Abortion Plus Spielzeit: 79:55
Medium: CD
Label: Sireena Records, 2015
Stil: (Kraut) Rock

Review vom 01.03.2015


Jürgen Bauerochse
Nachdem Bernd 'Nossi' Noske vor gut einem Jahr († 18.02.2014) viel zu früh verstarb, steht hinter dem Fortbestehen der deutschen Rocklegende Birth Control ein ziemlich dickes Fragezeichen. Im Moment scheint lediglich festzustehen, dass ein letztes Studioalbum, noch mit der Drummer-Legende eingespielt, erscheinen wird. Ein Termin dazu steht allerdings noch in den Sternen.
Ein kleines Stückchen Rockhistory kommt aber jetzt dennoch in die Läden. "Live Abortion Plus" ist der Titel dieses Samplers, der von Sireena Records aufgelegt wurde. In Anlehnung an die auf tausend Stück limitierte Fan Club-Edition "Live Abortion" aus dem Jahr 2000 hat der Wallbreaker die Neuausgabe in mühevoller Kleinarbeit ergänzt und sinnvoll erweitert. Von dem ursprünglichen Silberling fehlt lediglich der Bonustrack "Meta Ventilator", der im Jahr 1977 in Korbach mitgeschnitten wurde.
Dafür wurde die Tracklist auf insgesamt elf Titel aufgestockt, sodass "Live Abortion Plus" auf eine Gesamtspielzeit von knapp achtzig Minuten kommt und somit keinerlei Wünsche offen lässt. Auch wurden die dazu gekommenen Stücke mit Vorbedacht ausgewählt. "Long Tall Sally" war schon auf dem Klassiker Live von 1974 eine feste Größe bei den Auftritten von Birth Control und gehörte jahrelang zum festen Repertoire - meistens im Zugabenteil gespielt. Dieser Mitschnitt stammt aus dem Jahr 1975 und wurde am 5. März in der Ingenieurakademie Westerberg, Osnabrück aufgezeichnet.
Auch der zweite zusätzliche Song "Hoodoo Man" gehört zu den bekanntesten Stücken der Band, wurde allerdings bei weitem nicht so häufig live präsentiert wie "Long Tall Sally". Die hier enthaltene Version stammt aus dem Jahr 2002, fällt also etwas aus dem Zeitfenster der übrigen Aufnahmen. Trotzdem gehört der Song unbedingt mit in diese Kollektion und ergänzt sich perfekt mit dem BC-Überflieger "Gamma Ray", der ja bekannterweise auch auf dem Kultalbum Hoodoo Man zu finden ist.
Die eigentliche 'Sensation' auf dieser CD ist aber der letzte Titel. "America" wurde bisher noch nie veröffentlicht. Aufgenommen am 5. Oktober 1982 im Proberaum von Birth Control, eingespielt nur von Bruno Frenzel und Bernd Noske, handelt es sich hier um den einzigen deutsch gesungenen Titel der Band. Zudem enthält das Stück einen äußerst aggressiven Text gegen das Amerika der Reagan-Ära, was aber nicht unbedingt verwundern sollte, war der Song doch eine Auftragsarbeit der in Deutschland lebenden Schwarzfuß-Indianer, die sicherlich mit vielem nicht einverstanden waren, was der Schauspieler/Präsident mit ihnen angestellt hatte. "America" ist also ein Titel mit einem ziemlich einmaligen Hintergrund und somit ein Zeitdokument, das unbedingt für die Nachwelt erhalten bleiben sollte, was hiermit geschehen ist.
Die restlichen acht (auf der Erstausgabe waren es noch sieben) Stücke wurden allesamt im Jahr 1983 mitgeschnitten, der Tour also, die zum Live-Vermächtnis von Bruno Frenzel werden sollte. Vier Tage nach dem Gig in Nettetal-Lobberich, von dem hier vier Songs enthalten sind, starb der Gitarrist an den Spätfolgen eines Stromschlages, den er sich beim Soundcheck auf der Bühne zugezogen hatte. Vier der acht ausgewählten Tracks stammen von dem damals aktuellen Album "Bäng", einem für mich sehr starken Longplayer, der aber durch den gleichzeitigen Aufstieg der Neuen Deutschen Welle ziemlich unbeachtet blieb. Unter diesen Aufnahmen befindet sich mit "King Of An Island" eine wahre Songperle. Dieses wunderbar ruhige Stück mit seinem eingängigen Refrain gehört zu den schönsten Titeln, die Birth Control je fabriziert hat. Leider habe ich es nie geschafft, ihn einmal live vor der Bühne zu erleben.
Und auch "Gamma Ray" gehörte auf dieser Tour natürlich zu den Highlights der Shows, obwohl die hier vorhandene Version 'nur' knapp fünfzehn Minuten lang ist und somit zu den 'harmlosen' Fassungen gehört. "Live Abortion Plus" gehört ins Regal von jedem, der an Rockmusik und ihrer Geschichte interessiert ist. Eine klasse Raritäten-Sammlung von einer großen deutschen Band.
Besonders erwähnen möchte ich auch noch das begleitende Textheft, in dem sich Uli Twelker sehr ausführlich zu jedem einzelnen Song äußert und jede Menge Informationen zu Tage bringt. Garniert ist das Ganze durch zahlreiche Fotos, sowie Abbildungen von Tickets und Konzertplakaten. Insgesamt eine sehr liebevolle Aufmachung, bei der deutlich das ganze Herzblut zu erkennen ist, mit dem der Wallbreaker hier ans Werk gegangen ist.
Line-up:
Title 1 to 8:
Bernd Noske (drums, lead vocals)
Bruno Frenzel (lead guitar, vocals)
Stefan Linke (guitar, vocals)
Jürgen Goldschmidt (bass, vocals)
Jörg Becker (keyboards, percussion)

Title 9:
Bernd Noske (drums, lead vocals)
Bruno Frenzel (lead guitar, vocals)
Peter Föller (bass)
Zeus B. Held (keyboards, vocals, mouth organ)

Title 10:
Bernd Noske (drums, lead vocals)
Peter Engelhardt (guitar)
Sascha Kühn (keyboards)
Rainer Wind (bass)

Title 11:
Bernd Noske (drums, lead vocals)
Bruno Frenzel (guitar, bass, keyboards)
Tracklist
01:Another Death (6:25)
02:Greedy Eyes (5:53)
03:Nuclear Reactor (6:51)
04:Don't Call Me Up (5:46)
05:Pick On Me (8:25)
06:The King Of An Island (7:11)
07:Gamma Ray (14:56)
08:Get Ready To Run (6:50)
09:Long Tall Sally (5:57)
10:Hoodoo Man (6:27)
11:America (5:09)
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