BoysVoice / Serenity
Serenity
Da steige ich doch neulich nichts Böses ahnend ins Auto, starte den Motor und aus den High-Tech-Böxchen meines 'Hausfrauen'-Stadtflitzers rockt es mir riffig, melodisch, poppig, mit Gitarren, die nicht von vorgestern klingen und mit Refrains zum Mitsummen oder -grölen entgegen, ausgesprochen radiotauglich, aber ich kenne das Stück gar nicht?!
Also schaue ich neugierig aufs Display der High-Tech-Radio-CD-Anlage dieser japanischen Reisschüssel um herauszufinden, welcher Sender denn endlich mal ansatzweise vernünftige Musik in dieser Welt der Plastikeinheitsproduktionen und der todgenudelten Hits von gestern, heute und der Zukunft spielt. Und ich erlebe eine große Überraschung!
Es wäre ja auch zu schön gewesen, aber ich Pappnase habe schlicht vergessen, dass im CD-Schacht die Promo-CD einer Münchner Combo namens BoysVoice steckt, von der die Promotionsfirma behauptet: "Munich's finest Hard Rock band is back!"
Nun ja, ich muss gestehen, dass ich mich in der Münchner Rockszene nicht wirklich auskenne, daher kann ich diese Aussage weder verifizieren noch falsifizieren, aber ich kann immerhin sagen, dass hier "a little piece of nice sweet music" (d.Verf.) vorliegt und Hard Rock nur bedingt herauszuhören ist.
Allerdings leider nur in Form einer CD-R, so dass ich gezwungen bin, neben dem inzwischen schon semilegendären Henkelmann die Autoanlage auszuprobieren, da der highendige "sieht nach Baumarkt aus" (Originalzitat meines besten Freundes) CD-Player der Wohnzimmeranlage partout keine CD-R's zu sich nehmen will. Verdammt wählerisch das Ding, je teurer, desto verzogener! Mit einem tatsächlichen Baumarktplayer wäre mir das nicht passiert!
Insofern kann ich der neuesten BoysVoice Scheibe nur bedingt guten Klang attestieren, da im Auto kein satter Sound erzeugt wird, mithin das Ganze etwas "flach" und gepresst rüberkommt. Aber das kann ja bei der am 20.06.2005 erscheinenden Original-CD eventuell ganz anders sein. Es wäre auch wünschenswert!
Neueste BoysVoice-Scheibe?
Jawohl, die Boys sind keine Newcomer-Band, was die Promotion-Bilder deutlich offenbaren, denn hier sind vier Herren abgebildet, die sich offenbar nicht im Geringsten um jeglichen modischen Firlefanz scheren, sondern verwaschener Jeans, Leder und teilweise langer Matte die Treue halten (wie schön, macht sie mir gleich sympathisch) und im Schnitt so um die 40+ sein dürften.
Sie brachten vor genau 15 Jahren ihr erstes Album raus ("BoysVoice"), aus welchem diverse Singles und sogar Videoclips ausgekoppelt wurden.
Sie spielten in der Folge eine Headliner-Tour in Deutschland und verschiedene Support-Shows mit u.a. SWEET und Ian Gillan. Darüber hinaus waren sie noch auf einigen Festivals in ganz Europa unterwegs.
Trotzdem sprang beim damaligen Major-Label EMI kein zweites Album heraus, was wohl mit der grassierenden Grunge-Welle zu tun gehabt haben dürfte.
Daraufhin verließen Schlagzeuger Alex Hötzinger und bald danach Bassist Jochen Mayer die Band, die dann mit zwei neuen Leuten doch noch ein zweites Album einspielte, welches 1993 unter dem Titel "Dirty Talks" bei einem kleineren Label herauskam.
Aber die Zeiten waren für eingängigen, powervollen Melodic-Rock mit "intensiven Melodien und Chorussen" (Presseinfo) nicht besser geworden, so dass dieses Werk völlig unterging und die Band alsbald Geschichte war.
Alle vier Musiker der Originalformation, zusätzlich zu den bereits genannten noch Sänger und Gitarrist Mani Gruber sowie Gitarrist Peter Diezel, blieben in den Folgejahren individuell im Musikgeschäft tätig, bis sie sich letztes Jahr wiedertrafen.
Und wie offenbar viele andere Rockbands der späten 80er (siehe beispielsweise Cannon ) wollten sie dabei nicht nur in Erinnerungen schwelgen, sondern das gemeinsame Musizieren wieder aufleben lassen, was schließlich zu der mir vorliegenden Scheibe "Serenity" führte.
Das Presseinfo spricht davon, dass die Band dabei entschieden habe, "da weiterzumachen, wo sie aufgehört hatten".
Tatsächlich hören wir insgesamt gesehen nicht wirklich neue Klänge, vieles erscheint vertraut, könnte durchaus in der Prä-Grunge-Ära entstanden sein.
Aber es kommt erstaunlich frisch rüber und entzieht sich somit etwas dem Geruch des Altbackenen.
Alle Trademarks früherer Tage sind wieder mit an Bord, die Gitarren riffen melodisch vor sich hin, es gibt sehr schöne, eingängige Melodien und Refrains, ab und zu auch Gitarren-Lead-Parts der intensiveren Art, sogar mal als Slide, teilweise fette Hooklines und somit auch Tanzbares, alles mit Energie und Verve gespielt, ohne jemals wirklich hart zu werden.
Ich denke mal an Bon Jovi, mal an Thunder, dann wieder an Gotthard, punktuell an Def Leppard, vereinzelt an die Scorpions und einmal gar an Reamon, und es gibt garantiert noch viele andere Bezugspunkte.
Feine Sache das, tut niemandem weh und hat seine Momente.
Diese sind allerdings, das muss einschränkend gesagt werden, nicht soooo üppig vertreten.
"Best Friend's Lover" weiß mit einer funkigen Grundausrichtung zu gefallen, "What You Get" hätte ich persönlich als Single ausgekoppelt, mit seiner luftig leichten Punk'n Pop - Attitüde passt es durchaus auch in heutige Zeiten, "On Your Own" beginnt mit Bon Jovi Endachtziger "Na-Na-Nanna-Na" Gedächtnischören, um dann zu einer groovigen Ohrwurmnummer mit feiner Axtarbeit zu mutieren, das direkt nachfolgende "Crazy" legt den Verdacht nahe, dass BoysVoice bei den britischen Kollegen von Thunder häufiger mal zugehört haben, denn hier regiert endlich König Rock'n Roll mit einem feinen Groove, meine Luftgitarre jedenfalls wirbelt wie entfesselt durch die Gegend, und um die Stimmung zu halten, folgt sogleich das letzte wirkliche Highlight dieses Silberlings, denn "All About You" macht in der Schnittmenge von Thunder und Bon Jovi einfach nur Spaß.
Mani Gruber erreicht dabei freilich nicht die vokalistische Klasse und Unverwechselbarkeit eines Daniel Bowes oder Jon Bon, er macht aber seine Sache nichtsdestotrotz sehr gut, auch wenn er ein ziemlich teutonisch klingendes Englisch an den Tag legt (Klaus Meine lässt grüßen!) und insgesamt wenig charakteristisch klingt, so dass er sich hier immerhin direkten Vergleichen entziehen kann.
Insgesamt eine runde Sache für den Freund nicht zu harter rockiger Klänge, mit hohem Melodiefaktor, einiger Abwechslung und einer Handvoll memorabler Songs. Damit dürfen BoysVoice ruhig noch länger im Autoplayer verweilen, besser und interessanter als das durchschnittliche Radioprogramm sind sie allemal. Nur, wer ist das heutzutage nicht?


Spielzeit: 57:14, Medium: CD, Escape Music Ltd., 2005
1:Open Your Eyes 2:Lights Out 3:Best Friend's Lover 4:What You Get 5:Always On My Mind 6:On Your Own 7:Crazy 8:All About You 9:Only See You There 10:Too Late 11:Rocket 12:Lights Out (Radio Version) 13:Always On My Mind (Radio Version)
Olaf "Olli" Oetken, 13.06.2005