The Brew / The Joker
The Joker Spielzeit: 38:10
Medium: CD
Label: Eigenproduktion, 2008
Stil: Classic Rock


Review vom 05.05.2009


Ingolf Schmock
Seit jeher existieren auf unseren Planeten die Wünsche, Wasser in Benzin zu verwandeln, aus Staub Gold zu gewinnen, oder gar Verstorbene wieder ins Leben zu erwecken, deren Umsetzung wohl partout im Aktenfach der hirnspinnstigen Utopien dem Modder preisgegeben werden können.
Nun ja, sicherlich befindet sich die Menschheit derzeit in der Lage, nahezu Erbgut-identische Klone künstlich zu erschaffen, den Geist und die Seele etwa zu reproduzieren bzw. zu reanimieren, das ward bisher aber nur mehr unter Mithilfe musikalischer Ausdrucksformen zu erreichen, und wird wohl auch so bleiben.
So ist es keinesfalls verwunderlich, dass sich immer häufiger Musikformationen aus dem populären Bereich den Partituren der alten Meister bzw. Lehrer bemächtigen, um diese haargenau zu kopieren, oder im Idealfall mit einer eigenen Note zu versehen.
Die Zeichen der Zeit stehen auf Retro und das nicht nur bei Verpackungen; konzertante Gladiatorenspiele dienstgereifter Rock'n'Roll-Helden werden nahezu gestürmt, und technisch aufgeblähte Wiederveröffentlichungen klassischer Rockalben liegen voll im Trend.
Ein an Lenzen junges Trio aus dem Vereinigten Königreich hat sich vor geraumer Zeit von eben solchem Virus anstecken lassen, und brennt seit knapp drei Jahren ihr musikalisches Feuerwerk aus Stakkato-getriebener Hard Rock-Attitüde, von Meister Page geweihtem Gitarren-Pathos und hanebüchenen Hippy-Trippy-Sound in den europäischen Konzertsälen ab, bei welchem sowohl Batikhemden und Jesuslatschen zur Zielgruppen-Kleiderordnung gezählt werden darf, als auch Fransenjacken und die Ledernen.
Abgesehen davon, dass diese Musiker, wie auch andere zuvor, schamlos alte Gräber plündern, bestechen diese in ihrer Präsenz mit zwei Jungsspunden, welche ihr Instrumentarium in erschreckender Weise beherrschen und den Kritikern am britischen Rocknachwuchs Lügen strafen.
Neben dem gerade mal 19 Jahre zählenden, talentierten Gitarristen Jason Barwick, der sichtlich mit seinem Arbeitsgerät verbunden zu sein scheint, und mit seiner rohen Vitalität einen Jimmy Page oder gar Jimi Hendrix in nichts nachstehen dürfte, beeindruckt der ein Jahr ältere Kurtis Smith mit seinem uneleganten wuchtigen Schlagzeugspiel, der die Felle gelegentlich nach Bonham'scher Art mit den flachen Händen bearbeitet.
Sozusagen im Zaum gehalten werden die Beiden meistens von Mentor, Bassist und Sänger Tim Smith (Vater von Kurtis), der mit seinen motorischen Basslinien die nötige Bodenhaftung, und im punkto Songwriting dem Ganzen inhaltliche Motivation zuführt.
Auf ihrer zweiten und aktuellen Studioproduktion "The Joker" greifen die Briten ganz unverfroren auf eine Sammlung von musikalischen Versatzstücken zurück, mit denen man problemlos jedes Rhythm & Blues-Herz zum Toben bewegen vermag. Dabei kramen die Drei narzisstisch im Rockfundus der späten Sechziger bzw. der frühen Siebziger, verstehen es aber dennoch, diesen oberflächlich zu entstauben und als gewienerten Gegenwartsrock zu präsentieren, ohne sich in dickliche Plattitüden mit kreativen Hohlräumen zu verheddern.
Kritiker werden mit Sicherheit Fragen der Urheberschaft plagen, die Protagonisten als lautes Bluesrock-Imitat abstempeln und zwischen wirklich gelungenen Kompositionen immer noch Songs entdecken, die unspektakulär vor sich hinplätschern bzw. einfach nicht im Ohr hängen bleiben, aber auch Loyalität gegenüber deren ehrlichen, schnörkellosen und ambitionierten Umsetzung üben müssen.
Eine überwiegend stampfende, riffdominierte Schemata und ein galoppierendes Rhythmus-Duo nebst einem selbstverliebten Saitenakrobaten suhlen sich in einer unüberschaubaren Zeppelin-esker Gärmasse mit Hendrix'schen Kräuterzusätzen, um als Ergebnis ein bisweilen auffrisiertes, aber symphatisches Gebräu aufzutischen. Das aus acht Kompositionen bestehende musikalische Buffet klingt überwiegend engagiert, ist aber dennoch recht konventionell und nachvollziehbar und besticht mit einer druckvollen Produktion bzw. einem tadellosen Sound.
Einzig die Vokalisten wirken zumeist gezügelt bzw. blass und vermögen es kaum, mit der nötigen Kraft dem leidenschaftlichen Musizieren eine zusätzliche Dimension zu eröffnen.
Mit "Dil Chatha Hai" und "Hearts Desires" vermag es die Band aus Grimsby sogar, ein hervorschimmerndes Hendrix-Arrangement individuell von der Patina zu befreien, und mit einer sehr selbstbezogenen Dramaturgie zu rekompensieren.
Ansonsten tummeln sich auf "The Joker" riffbestimmte, nach vorn preschende Ungetüme, welche zwar von der Gier instrumentaler Selbstdarstellung gelenkt, keinesfalls aber mit unnötigen Kinkerlitzchen aufgeblasen werden.
Die hörbare Vorliebe für musikalische Reminizensen haben schon den Anschein von Obsession, das Bonham'sche Beispiel in "Burt's Boogie" mit der Intensität des zu früh verschiedenen Pauken-Cerberus protegiert einfach nur die Klasse dieser Combo, im speziellem Fall die von Kurtis Smith.
The Brew leben von ihrem puristischen Sound, welcher auf einer Bühne erst die wahre Entfaltung erfährt, und der auf Rillen oder gespritzten Silberscheiben kaserniert wirkt.
Fakt ist jedenfalls, das man sich - angesichts dieser jugendlichen Musikbesessenen und solcher kaltschnäuziger Arroganz - insbesondere um die Fähigkeiten der Flitzefinger-Neuentdeckung Jason Barwick, für den britischen Rock'n'Roll zukünftig keine Sorgenfalten auf die Stirn bekommen muss.
Handwerklich haben die Jungs seit den Garagentagen doch recht ordentlich zugelegt und beweisen uns auf dem neuesten Output, dass Retro Rock nicht unbedingt wie altbackenes Graubrot munden muss, sondern noch ofenwarm und knusprig verzücken vermag.
Das 'Gebräu' aus der Grafschaft Humberside ist eine klare Empfehlung wert und nachdem diese schon sämtliche Euro-Rock-Festivals abgeräumt haben und für den WDR-Rockpalast im Gespräch stehen, ist das Trio die Konzertbühnen-Offenbarung des Jahres.
Empfehlenswert ist deswegen auch ihre gerade erschienene bild- und tontechnisch hervorragende DVD "Live In Belgium", welche März 2008 bei einem Auftritt im Spirit Of 66 in Verviers professionell abgefilmt wurde.
Line-up:
Jason Barwick (guitar)
Tim Smith (bass, vocals)
Kurtis Smith (drums)
Tracklist
01:Postcode Hero
02:Lies
03:The Joker
04:Dil Chahta Hai
05:Hearts Desires
06:Burt's Boogie
07:Break Free
08:24 Hours (From Yesterday)
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