Brings / Leise rieselt der Schnee
Leise rieselt der Schnee Spielzeit: 52:24
Medium: CD
Label: EMI Music Germany, 2012
Stil: Kölschrock

Review vom 18.10.2013


Jürgen Hauß
Darf man im Oktober einen Review über eine Weihnachts-CD schreiben? In Zeiten, in denen in den deutschen Supermärkten die ersten Weihnachtsstollen und -plätzchen schon seit einem Monat daran erinnern, dass das Fest der Liebe (und des Konsums) mit dem Jahresende naht, ist man sogar schon eher spät dran. Spät bin ich vor allem auch deswegen dran, weil die vorliegende CD schon im vergangenen Jahr erschienen ist und ich erst so spät auf sie aufmerksam geworden bin, dass seinerzeit ein Review nicht mehr rechtzeitig erschienen wäre, um auf ein nettes Weihnachtsgeschenk für Freunde des Kölschrock aufmerksam zu machen.
Und insbesondere nicht mehr rechtzeitig wäre ein Review im vergangenen Jahr erschienen, um auf eine Veranstaltungsreihe aufmerksam zu machen, die von der vorliegenden CD dokumentiert wird. Der im Inlet etwas versteckte Untertitel der Scheibe lautet "Das Beste aus 13 Jahren Weihnachtsshow - Live". In der Tat handelt es sich um eine Live-CD, und bereits das dürfte m. E. für ein Weihnachtsalbum schon etwas Besonderes sein. Die Kölsch-Rocker von Brings veranstalten seit vielen Jahren in der Vorweihnachtszeit regelmäßig mehrere Konzerte, die schon vom äußeren Erscheinungsbild recht wenig mit einer besinnlichen Weihnachtsfeier in der heimischen Kirchengemeinde zu tun zu haben scheinen, wie man - insbesondere beim Studium der Tracklist - auf den ersten Blick vermuten könnte. Schaut man nämlich ins Booklet, denkt man spontan mehr an eine Karnevalsfeier, denn Musiker und Publikum sind bunt kostümiert und ähneln eher an eine Mischung aus einer Party mit Köbes Underground und Guildo Horn mit seinen Orthopädischen Strümpfen.
Und dennoch: Bei genauem Hinhören entdeckt man so viel Besinnliches (ohne schnulzig daher zu kommen), dass man den Kirchgang an Heiligabend getrost ausfallen lassen kann und dennoch genug Denkanstöße hat.
Dass die Messe vorliegend mit "Hallelujah" beginnt - einem typischen Brings-Song, der üblicherweise am Ende ihrer Konzerte kommt - stimmt dennoch mehr als passend auf das Kommende ein und ist von daher gut gewählt. Die Ballade "Nit alles Gold" startet mit der typischen Kirchen-Posaune, bevor mehrfach das Akkordeon eher karnevalistische Zwischentöne einbringt; doch der Text weckt eher Nachdenklichkeit.
Mit einer jaulenden Rockgitarre beginnt einer der Klassiker jeden Weihnachtsgottesdienstes: "Leise rieselt der Schnee", und bevor man sich fragt, wie das wohl weiter geht, beginnt die Musik des J.J.Cale-Klassikers "Cocaine". Was folgt, ist die Wiedergabe des Originaltextes (!) des Weihnachtsliedes (wenn auch durch Wiederholungen einzelner Textpassagen der Melodiefolge des Cale-Songs angepasst), und bei dieser Kombination bekommt die Titelzeile irgendwie eine ganz andere Bedeutung. Grandios!
Viele der hier wiedergegebenen Songs sind Brings-typische Balladen aus ihrem Standard-Repertoire, die sich von ihrem Stil her bereits gut für eine Andacht zur Weihnachtszeit eignen. Aber selbst die Brings-Hymne "Su lang mer noch am Lääve sin", die live üblicherweise mit ca. 180 bpm daherkommt, wird vorliegend auf ca. 60 bpm heruntergedrosselt und damit 'passend' gemacht; die 'Kirchen-Posaune' und die Akustik-Gitarre tun ihr übriges, um den Song stilgerecht zu präsentieren.
Und dann bringt die Gruppe noch den Klassiker fast jeder Rock Christmas-CD: Das von
George Michael für sein damaliges Projekt Wham! komponierte "Last Christmas", das uns in der nun anstehenden Weihnachtszeit im 30. Jahr (!) nahezu täglich um die Ohren gehauen werden dürfte. Traditionell startend und sogar in Englisch gesungen, wären Brings jedoch nicht Brings, wenn sie sich nicht eines Besseres besinnen und aus der Schnulze einen klassischen Rock-Song machen würden, der - auf Deutsch gesungen - inhaltlich zwar dem Original entspricht, jedoch deutlich flotter daher kommt - Klasse! Und auch das Publikum war hörbar begeistert von dieser Version.
Mit "Plastikstään" (auf deutsch: Plastikstern) wird dem Hörer auch noch eine wundervolle, wirklich nachdenklich stimmende Weihnachtsgeschichte geboten: Zunächst vor einer besinnlichen Hintergrundmusik erzählt von der mittlerweile 75-jährigen Kölner Mundartsängerin Marie-Luise Nikuta, wird der Text über die Einsamkeit mancher Menschen gerade zur Weihnachtszeit anschließend von Peter Brings nochmals gesungen vorgetragen. Äußerst stimmungsvoll!
Die Messe wird danach mit "Stille Nacht" in zunächst traditioneller Version, zum Ende hin aber mit jaulender Rockgitarre und fast Gospel-artigem Wechselgesang zum Abschluss gebracht, bevor mit einem kurzen, instrumentalen "Ave Maria" zum Ausgang gespielt wird (die Instrumentierung mit einer Zither lässt eine Stimmung wie "Weihnachten in den Bergen" aufkommen), was das Ganze abrundet. Hätte es damit ein Bewenden gehabt, wäre die gesamte CD eine 'runde Sache'. Doch es folgt noch der auf dem Cover als »neuer Bonus-Track« angekündigte Song "Pitter un Marie", der davon handelt, dass manche Menschen nur einmal im Jahr - halt zur Weihnachtszeit - in die Kirche gehen, weil sie wissen, dass sie dort andere treffen, die sie ansonsten nicht sehen, jedoch mit ganz anderem Ansinnen als dem eigentlichen Anlass. Musikalisch zwar ein flotter Rocksong, aber irgendwie nicht zu der ganzen Scheibe passend. Schade, denn dieses Ende trübt ein wenig den ansonsten tollen Gesamteindruck der Weihnachts-CD.
Egal: Wer sich davon nicht negativ beeinflussen lässt und dem Kölschrock von Brings ansonsten aufgeschlossen gegenüber steht, dem sei diese besinnliche Scheibe wärmstens empfohlen. Mehr noch ein Besuch der anstehenden Weihnachtskonzerte, weil »Live is life«. Diese finden in diesem Jahr am 6. und 7. Dezember 2013 in der Kölner Lanxess-Arena statt, jedoch nach Angaben der Veranstalter in deren »intimer Variante« - was immer das heißen mag!

In diesem Sinne wünsche ich bereits jetzt eine besinnliche Weihnachtszeit.
Line-up:
Peter Brings (Gesang, Gitarre)
Stephan Brings (Bass, Gesang)
Harry Alfter (Gitarren)
Christian Blüm (Schlagzeug)
Kai Engel (Keyboard, Akkordeon, Gesang)
Michael 'Schnucki' Theissing-Tegeler (Posaune)
Christoph Titz (Trompete)
Tracklist
01:Halleluja
02:Nit alles Gold
03:Leise rieselt der Schnee (Cocain)
04:Ich schenk d'r mi Hätz
05:Dat is alles
06:Su lang mer noch am lääve sin
07:Still wie nie
08:Am hellige Ovend
09:Loß di Hoor eraf
10:Plastikstään
11:Stille Nacht
12:Ave Maria (Instrumental)
13:Pitter un Marie
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