Zu Unrecht vergessene Bands der Rockgeschichte, Folge 28294? Eine politisch brisante Fragestellung, zweifellos. Jedenfalls hat das kleine, aber feine englische Reissue-Label Angel Air entschieden, dieses 1987 entstandene Album der kurzlebigen britischen Gruppe Broken English der Öffentlichkeit zum ersten Mal zugänglich zu machen und somit der Nachwelt zu erhalten. Unsere Kinder, Kindeskinder und auch deren Kinder werden für immer dankbar sein. Oder auch nicht. Wahrscheinlich wird diese CD eher die Altersgruppe der 30-bis 40-Jährigen erfreuen, die gerne back to the 80s-Partys besuchen.
Sie werden jedenfalls Nostalgie beim Lauschen dieser Töne verspüren. Der Gesamtsound von Broken English ist vom Mainstreamgedudel der Achtziger geprägt: Alles klingt schön weichgespült, mit dem typischen Keyboard- und Synthesizer-Kitsch, mit Retortenbass und künstlichen Drums. Aber es gibt nicht nur reinen Pop zu hören! Der Opener "Show A Little Mercy" ist von kräftigen Gitarrenriffs getragener Melodicrock, ein wirklich großartiger Song und der Kopf der Band, Steve Elson, singt mit einem richtig sexy englischem Akzent. Bezeichnend, dass ähnlich rockende Songs ("Rough Cut Diamonds" und "Running Out") nur als Bonus Tracks enthalten sind und nicht für das Album vorgesehen waren. "Comin' On Strong", das vor zwanzig Jahren sogar die britischen Top 20 erreichte und das als dritte Single erschienene "Do You Really Want Me Back?" weisen eine etwas poppigere Ausrichtung auf, aber Fans von Melodicrock/AOR werden sicherlich ihre Freude daran haben.
Man wird das Gefühl nicht los, dass die Band orientierungslos zwischen Pop und Rock pendelte. "Don't Change" hat noch etwas von letzterem, aber "Emotional Suicide" ist Elektro-Pop, den man eher im Bermuda-Dreieck zwischen
Eurythmics,
Pet Shop Boys und
Depeche Mode verschwunden sehen möchte. Ja, das ist suicide, der musikalischen Art. Die Gruppe war anscheinend auf der Suche nach ihrer Identität, als sie die LP einspielten, anders kann solch eine stilistische Sprunghaftigkeit nicht erklärt werden. "You Take Me Away" ist sogar Folk, von zwei Akustikgitarren dominiert, ohne Rhythmusabteilung und ausnahmsweise ohne den Kommerzsound, aber das passt überhaupt nicht zum restlichen Material. Noch etwas aus der Wundertüte? Ein wenig Blues! Kein Scherz, "Casanova" verbindet Dobro-Licks mit Pop -
Elson beweist wieder einmal seine Qualitäten als Sänger. Was folgt darauf? Dance-Pop mit "Ball 'n' Chain" (im Gegensatz zum über achtminütigen "Fire Me Up" noch zu ertragen), zwischendrin ein Solo von der Akustik- und der E-Gitarre. Man kommt aus dem Staunen nicht heraus, den Entscheidungsträgern bei der damaligen Plattenfirma von
Broken English muss es ähnlich ergangen sein. Letztendlich spielten die anderweitigen Verpflichtungen der beiden Gitarristen
Jamie Moses (
Clapton) und
Alan Coates (
Hollies) für das Aus der Band eine entscheidende Rolle, '89 war Schluss.
Elson mimt seitdem den
Jagger bei der
Stones-Tributband
The Counterfeit Stones, auf diesen Aufnahmen klingt er aber nicht wie der gute alte
Mick.
Uns bleibt nichts anderes übrig, als mit dem Abstand von zwei Jahrzehnten diese CD wie ein Stück aus dem Kuriositätenkabinett der Rockhistorie zu betrachten. Eine amüsante Rückblende in die Achtziger, nicht mehr und nicht weniger!