Bruno Böhmer Camacho / Nostalgic Vision
Nostalgic Vision Spielzeit: 67:01
Medium: CD
Label: Sony Music, 2011
Stil: Jazz


Review vom 16.06.2011


Wolfgang Giese
Schon wieder ein Pianotrio, dachte ich, brauchen wir das, denn in jüngst vergangener Zeit erschienen häufig Platten dieses Formats? Hat sich da ein neuer Markt aufgetan? Wie auch immer, ich bin gespannt, was beim Bruno Böhmer Camacho Trio nun anders ist als bei anderen Trios.
Als erstes fällt bei "Nostalgic Vision" auf, dass anstelle des im Jazz eher üblichen Double Basses hier ein E-Bass eingesetzt wird - und dies hinterlässt auch seine Wirkung. Die Musik ist für mich weniger 'jazzig', es swingt weniger, aber Swing ist auch nicht das Hauptmerkmal Böhmer Camachos Musik. Weiterhin bestimmen einige Gastmusiker im Line-up die Ausgestaltung einzelner Songs.
Der nicht im Booklet aufgeführte Vokaleinsatz ist - ich nehme einmal an - Böhmer Camacho persönlich zuzuordnen. Gleich beim zweiten Titel, " Quiero Olvidar - I Wish I'd Forget", kommt man in den Genuss dieser sehnsüchtig wirkenden Stimmung, die gegen Ende des Songs zudem durch den Einsatz von Streichern stark unterstrichen wird. Fünf Vokaltitel sind es an der Zahl. Die spanischen Texte sind alle abgedruckt. Der Pianist singt mit leicht rauchiger Stimme und klingt dabei sehr gefühlvoll und mitunter recht ergreifend - ein echter 'Latin Lover'?
"Fragile" ist - entgegen der Bezeichnung - zumindest zu Beginn, eher etwas rockend, bevor es dann doch noch in eine nachdenklich-schwebende Stimmung abhebt, jedoch nicht, ohne zwischendurch immer wieder an Energie zu gewinnen. Dies hat ganz starke Bezüge zur Latino-Phase von Chick Corea zu Zeiten seines "My Spanish Heart"-Albums. Hier ist es Vitalily Zolotov, der mit akustischer Gitarre noch etwas mehr Farbe in das ohnehin schon recht bunte Spiel bringt. Der E-Bass zeigt auch hier insofern Wirkung, als dass er hintergründig grummelnd das eher Fusion-orientierte Geschehen unterstützt. Daneben fließen immer wieder lyrische Elemente in das Spiel Böhmer Camachos - oft scheint die Atmosphäre sehr gedankenverloren, leicht wehmütig, mit einem Spritzer Romantik. "Beyond Heaven" sei in diesem Zusammenhang genannt.
Die Musik ist weitestgehend luftig-leicht, hat viele verträumt-melancholische Untertöne und ist wie ein Soundtrack zu einer inneren Reise, durch Welten, die in jedem wohnen. Sie offenbart, durch die grundsätzlich unkompliziert vorgetragene Art und Weise, eine Spielwiese für Gedanken. Dabei stehen Melodik und angenehme Klänge im Vordergrund und lassen das Talent des Bandleaders als Gestalter schöner Melodien und Tonfolgen inmitten seiner eleganten Kompositionen erkennen.
Zwei Titel der Platte stammen jedoch nicht von ihm. So finden wir Coverversionen von dem bereits erwähnten "Fragile", das von Sting stammt, sowie "Poinciana", den Klassiker von Nat Simon und Buddy Bernier - hier interpretiert von zahlreichen Jazzmusikern. Da war ich natürlich gespannt, in welchem Umfang dieser Titel jazzig dargeboten wird. Von einem Schlagzeug, das sich wie ein fahrender Zug anhört, angetrieben, entwickelt sich dieses Stück als gelungene Interpretation mit stark emotionaler Prägung. Auf sehr einfühlsame Weise nimmt Böhmer Camacho sich dieses Klassikers an.
Der Musiker stammt aus Kolumbien. Die musikalisch orientierte Familie war einer der Grundsteine für die pianistische Ausbildung des Knaben. Die Folge war unter anderem der Gewinn eines Nachwuchswettbewerbes im Alter von sechzehn Jahren. 2006 war das Jahr, als seine erste Platte "Secrets" erschien. Das hier agierende Trio debüttierte zwei Jahre später mit "Herencias".
Heute ist Böhmer Camacho fünfundzwanzig und er hat sich als wichtiger Exponent lateinamerikanischer Musik in Deutschland etabliert - keine reine Latino-Musik, sondern eine gekonnte Einbringung einzelner Elemente daraus. Die Klänge des Akkordeons auf dem letzten Titel entführen den Hörer in weite Ferne. Gastbeiträge, wie vom Flügelhornisten Julian Wasserfuhr auf "Dame Una Razón - Give Me One Reason", und mit der Trompete auf "Como Hacer - Tell Me How", sorgen darüber hinaus für willkommene Abwechslung. Aber auch ohne diese Gastbeiträge ist die Musik abwechslungsreich.
Die anderen beiden Mitglieder des Trios, Juan Camilo Villa und Rodrigo Villalon, bringen sich wunderbar ein und bilden ein geschmeidiges Gespann - der Bassist mit warmen Grundtönen und der Schlagzeuger mit eleganten, gezielten Schlägen.
Mein Eindruck ist, dass es den Musikern gelungen ist, eine sehr moderne Trioplatte einzuspielen, die zwar dem Genre Jazz zuzuordnen ist, aber gleichwohl galant mit anderen Stilen, mitunter schon fast poppig wirkend, spielt. Dies passt ebenso in die gepflegte Loungebar wie ins Wohnzimmer auf die Couch, um wunderbar zu entspannen. Das ist Musik mit Anspruch und mit viel Gefühl vorgetragen.
Abschließend bleibt mir letztlich nur Lob und die Beantwortung meiner eingangs gestellten Frage: Ja, dieses Pianotrio brauchen wir! Es stellt eine Bereicherung der musikalischen Landschaft dar.
Line-up:
Bruno Böhmer Camacho (piano, vocals)
Juan Camilo Villa (e-bass -#1, 3, 4, 5, 6, 8, 10, 12)
Rodrigo Villalon (drums - #1, 3, 4, 5, 6, 8, 9, 10, 11, 12)
Gäste:
Massimo Buonanno (drums - #2, 7)
Noam Wiesenberg (acoustic bass - #2, 7)
Martin Gjakonovski (acoustic bass - #9, 11)
Julian Wasserfuhr (trumpet - #11, flugelhorn - #9)
VItalily Zolotov (guitar -#3)
Christian Mejia (accordion - #12)
Tracklist
01:Volcanic Ashes (5:55)
02:Quiero Olvidar - I Wish I'd Forget (4:31)
03:Fragile (4:54)
04:Beyond Heaven (5:42)
05:Poinciana (6:36)
06:Para Siempre - Everlasting (4:55)
07:Un Pajarito - One Little Bird (4:40)
08:Static Motion (5:55)
09:Dame Una Razón - Give Me One Reason (5:13)
10:Riga Without You (6:08)
11:Como Hacer - Tell Me How (5:11)
12:The Final Sorrow (7:16)
(all music composed by Bruno Böhmer Camacho, except # 3 by Sting and # 5 by Nat Simon & Buddy Bernier)
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