David Bowie / The Next Day
The Next Day Spielzeit: 60:26
Medium: CD
Label: ISO Records, 2013
Stil: Rock

Review vom 11.04.2013


Sabine Feickert
Er kann's noch!
David Robert Jones schaffte es am 8. Januar 2013, seinem 66. Geburtstag, wieder mal, die Musikwelt zu überraschen. Nicht durch irgendwelche schockierenden Outings,
schrille Kunstfiguren, Drogen oder sonstige Abenteuer, sondern durch die Veröffentlichung einer Single.
Was ja zunächst nichts Überraschendes ist.... wenn - ja wenn nicht besagter David Robert Jones, bekannt als David Bowie, zehn Jahre lang weitgehend von der Bildfläche verschwunden gewesen wäre.
2004 erlitt er während seiner A Reality Tour Backstage einen Herzinfarkt und schlidderte damit knapp an dem etwas makabren Szenario vorbei, mit dem er beispielsweise in Ulm auf seiner "Sound+Vision Tour" schon 1990 gespielt hatte. Damals ließ er sich auf offener Bühne zu Boden fallen und lag dort eine gefühlte Ewigkeit regungslos, um dann aufzuspringen und genau da weiterzusingen, wo er aufgehört hatte.
Der 8. Januar 2013 war genauso ein Moment, einer, an dem er aufsprang und dort weitermachte, wo er – tja, wann eigentlich? – aufgehört hatte. Schon die Single "Where Are We Now?" weist auf seine Zeit in Berlin hin, mit ihren Schauplätzen 'Potsdamer Platz', 'KaDeWe' oder 'Nürnberger Straße'. Das Album-Cover verstärkt diesen Eindruck. Dafür wurde das "Heroes"-Titelbild mit einem etwas rätselhaften weißen Quadrat überlagert. Klappt man das dreiteilige Digipak einmal auf, wird rechts innen sein aktuelles Portraitfoto ebenfalls von jenem weißen Quadrat überdeckt. Auf der ganz in schwarz gehaltenen linken Innenseite, schimmert im schrägen Licht ein gleichgroßes Quadrat in einem etwas anders gehaltenen Material. Diese Seite beherbergt ein zusammengefaltetes Textblatt im Siebziger Jahre Stil (leider durch die pink auf braunem Hintergrund gedruckte Schrift ziemlich schlecht lesbar). Ganz aufgeklappt, liegt rechts der Silberling, in der Mitte blickt einem der 'aktuelle' David Bowie etwas grimmig entgegen. Okay, auch sich rätselhaft geben kann er immer noch.
Und Musik machen? Für meine bescheidenen 5 cents auf jeden Fall! Gefiel mir schon "Where Are We Now?" beim zweiten Hören sehr gut, so bestätigt "The Next Day" diesen positiven Eindruck auch im Dauerbetrieb. Wo genau er damit anknüpft, kann ich auch nach zig Hördurchgängen nicht so wirklich lokalisieren. Er greift auf seine alten Stärken und definitiv auch auf die Berliner Zeiten zurück, bringt aber neben seiner weiteren musikalischen Entwicklung auch eine gewisse Abgeklärtheit mit rein. Die Songs sind so typisch Bowie wie es nur geht... und doch irgendwie alle neu.
Was nicht völlig überrascht, denn mit Tony Visconti hatte er den Mann mit im Boot, der ihn schon seit "Space Oddity" (und auch bei "The Man Who Sold The World", "Low", "Heroes", "Scary Monsters", u. v. a.) vor über 40 Jahren immer wieder erfolgreich produzierte.
Allerdings hat sich (zumindest bei mir) keine Nummer sofort im Ohr festgesetzt; der erste Hördurchgang ergab mehr so ein heimisch-wohliges 'hachja-Bowie'-Feeling, bevor dann die Repeat-Taste reingehauen wurde, um so richtig tief ins "The Next Day"-Universum einzutauchen. Aus dem ein paar Anspieltipps auszusuchen, ist echt schwer, ganz subjektiv und völlig unvollständig.
Trotzdem versuche ich's mal und empfehle Euch in die wehmütig-schleppenden "Dirty Boys" mit viel Saxophon und Tony Levin-Bass (ja, tatsächlich!) reinzulauschen. Oder vielleicht lieber mit funkelnd-glimmernden "The Stars (Are Out Tonight)" alten Zeiten nachzuschwelgen? Möglicherweise begeistert Euch auch das zunächst melodiöse (und erstaunlicherweise nicht zum 14. Februar als weitere Single ausgekoppelte) "Valentine's Day" mit Backgroundchor und experimentellen Anflügen im weiteren Songverlauf.
Spätestens "So She" mit verspielt-witzigem Keyboardintro und sehr sensiblem Gesang ist für mich das Argument auf jeden Fall zur Deluxe-Edition zu greifen. Und die so melancholische wie rätselhafte erste Single "Where Are We Now?" lässt (auch durch den Berlin-Bezug) die Hoffnung keimen, dass diese Standortbestimmung nur der Anfang einer neuen schöpferischen Bowie-Hochphase ist.
»Fingers are crossed, Just in case« singt der Mann, der sich so absolut zurückgezogen hatte… wer weiß, was da noch folgt???
Doch selbst wenn "The Next Day" nicht der Auftakt eines neuen Zyklus wird, ist es auf jeden Fall ein Album mit Bestand, eins von der Sorte, das bei jedem neuen Hören dazugewinnt. Ich schrieb es ja oben schon und wiederhole mich hier gern: Er kann's noch!
Line-up:
David Bowie (vocals - #1–15,17, guitar - #1,16, acoustic guitar - #3,13–15,17, keyboards - #4,5,7,10,11,15–17, percussion - #16)
Zachary Alford (drums - #1–5,7–11,13–17, percussion - #7)
Sterling Campbell (drums - #6,12, tambourine - #12)
Gail Ann Dorsey (bass - #1,3,4,10,11,13,14,17, backing vocals - #3,7,9,11–13,17)
Steve Elson (baritone saxophone - #2,3,9, contrabass clarinet - #3)
Henry Hey (piano - #5,13)
Gerry Leonard (guitar - #1–5,7–15,17, keyboards - #15)
Tony Levin (bass - #2,5,7–9)
Maxim Moston (strings - #1,3,13–15)
Janice Pendarvis (backing vocals - #3,9,12,13,17)
Antoine Silverman (strings - #1,3,13–15)
Earl Slick (guitar - #2,6,12)
Hiroko Taguchi (strings - #1,3,13–15)
David Torn (guitar - #1,3,7,10,11,13–15,17)
Tony Visconti (engineer, mixing, producer, guitar - #2,13,15,17, recorder - #3,9, strings - #5, bass - #6,12,15)
Anja Wood (strings - #1,3,13–15)
Tracklist
01:The Next Day (3:27)
02:Dirty Boys (2:58)
03:The Stars (Are Out Tonight) (3:56)
04:Love Is Lost (3:57)
05:Where Are We Now? (4:08)
06:Valentine's Day (3:01)
07:If You Can See Me (3:15)
08:I'd Rather Be High (3:53)
09:Boss Of Me [Bowie, Gerry Leonard] (4:09)
10:Dancing Out In Space (3:24)
11:How Does The Grass Grow? [Bowie, Jerry Lordan] (4:33)
12:(You Will) Set The World On Fire (3:30)
13:You Feel So Lonely You Could Die (4:41)
14:Heat (4:25)

Bonus Tracks:
15:So She (2:31)
16:Plan (2:02)
17:I'll Take You There [Bowie, Leonard] (2:41)
Externe Links: