Joe Bonamassa
23. 06. 2005 Bremen Meisenfrei
Ramses
Potz Blitz, es gibt aber auch Tage, da passt alles zusammen:
Heißes Wetter, heißer Club, heiße Band, heiße Musik und heiße Fra..., nein, nennen wir es ein heißblütiges Publikum, übrigens überwiegend Männer.
Heiße Männer, who know it?
I don't!
Joe Bonamassa Was ist passiert?
Ganz einfach, ein weiterer (Nachwuchs)Star der berühmten sechs Saiten ist über den großen Teich gekommen, um uns alten Europäern zu zeigen, wo der Bluesrockhammer nun wirklich hängt.
Genau dies war auch vor nicht allzu langer Zeit die vermeintliche Absicht eines jungen Mannes aus dem Vereinigten Königreich, nun ist sein vermeintliches Pendant aus dem Lande der ehemals unbegrenzten Möglichkeiten dran.
Warum vermeintliche Absicht? Warum vermeintliches Pendant?
Nun, beide Youngster vertreten grob betrachtet die Richtung des modernen weißen Bluesrocks, beide stehen bei Kritikern im Verdacht, zwischen den Blues- und den Rockstühlen zu sitzen, beide schreiben (oder lassen schreiben) gerne mal poporientiertere Stücke, ohne eine gewisse Gitarrenhärte vermissen zu lassen. Beide spielen live im Trioformat, haben im Studio meist noch einen Tastenmann dabei und haben bisher jeweils 5 Alben veröffentlicht.
Beide sind durchaus bereits im Fokus des Interesses, immerhin gab es schon einen Rockpalast bzw. Crossroads-Auftritt von Aynsley Lister im TV, und bei Joe Bonamassa ist dieses Jahr gleiches geplant.
Also jede Menge Parallelen, und doch beweist Joe Bonamassa an diesem drückend heißen Abend im Bremer "Meisenfrei", dass der Vergleich dieser beiden Junggitarreros schlicht und ergreifend unzulässig ist.
Joe Bonamassa Herr Bonamassa betritt die Bühne zunächst alleine, bestückt mit einer elektrisch verstärkten Akustikklampfe und spielt ein ellenlanges Intro zu "Woke Up Dreaming", wobei bereits zu diesem frühen Zeitpunkt klar wird, wo der Hase hinläuft. Was der Mann auf den Saiten veranstaltet ist einfach eine Wucht in Tüten, allerdings bestimmt nichts für (Blues)Puristen.
Dies ist ganz klar und eindeutig eine Rockveranstaltung, mit dem Blues der grauen Vorzeit als Urahne im Nebel der vergangenen Zeiten.
Wenig später betreten Drummer Kenny Kramme und Bassist Eric Czar die Szenerie. Speziell Eric Czar sieht einfach göttlich aus. Wie ne Kreuzung aus Pirat und Südstaatencowboy kommt er rüber, machomäßig geöffnetes Hemd inklusive.
Da passt die grell rote Teufeline auf seinem 5er Dicksaiter ganz hervorragend.
Joe Bonamassa Einer meiner beiden Mitstreiter an diesem Abend verrät mir derweil, dass uns nach seiner bisherigen Live-Erfahrung mit Joe Bonamassa keinerlei Show erwarten wird, wenn er ein 'thank you very much' absondern würde, wäre das schon ein Vulkanausbruch der Gesprächigkeit.
Das wundert mich ein wenig, präsentierte sich doch Joe bei dem Interview, das ich vor dem Konzert mit ihm führen konnte, als ausgesprochen aufgeräumter und gesprächiger Zeitgenosse.
Es soll denn auch gar nicht lange dauern, da wendet er sich tatsächlich ans Publikum und begrüßt geradezu aufgekratzt das erfreulich zahlreich anwesende Auditorium (meines Wissens ausverkauft!), kündigt die nächste Nummer an ("Takin' The Hit") und wumm, das Trio rockt einen geölten Groove, dass mir ganz schwindelig wird.
Joe Bonamassa Dabei kristallisiert sich schnell heraus, dass alle Vergleiche, beispielsweise mit besagtem Aynsley Lister, schlicht unzulässig sind, denn der Schwerpunkt bei Bonamassa liegt nicht bei Rock And Roll mit verschärftem Blues und Boogie, gewürzt mit gelegentlichen Modern Rock Zutaten, sondern vielmehr auf bleischwerem Heavy-Bluesrock, dass es nur so kracht, geprägt von seinem außerordentlich virtuosen und variablen Spiel und einer vokalistischen Glanzleistung, die mich persönlich am meisten überrascht.
Ich habe irgendwo aufgeschnappt, dass er sich zu Beginn seiner diesjährigen Europaaufenthalte einer Behandlung seiner Stimmbänder unterziehen musste, wodurch auch einige seiner geplanten Auftritte ausfielen oder verschoben werden mussten. Vielleicht liegt es ja daran, jedenfalls ist der Tennisball aus seiner Kehle verschwunden und er shoutet mit wunderbar angekratztem, ausdrucksstarken Timbre ins Mikro, dass es eine wahre Freude ist. Ja mehr noch, manchmal habe ich den Eindruck, dass er fast gar kein Mikro mehr nötig hat, eine ganz starke Leistung und gegenüber seinen Performances auf Platte eine klare Steigerung!
Und präsentierte sich der eher zurückhaltend wirkende Aynsley Lister im Vergleich zu früheren Auftritten moderat selbstbewusster auf der Bühne, so vereinnahmt Joe Bonamassa selbige komplett, überrascht mit launigen Ansagen und Kommunikation mit dem Publikum, besticht durch eine unerwartete Bühnenpräsenz und liefert sich mit seinem Bassisten teilweise atemberaubende Duelle.
Irgendwie sieht das manchmal durchaus nach Show aus, spektakulär und effektvoll.
Kein Vergleich zu den smarten Briten, die irgendwie mehr understatement-mäßig rüberkamen.
Dazu passt auch, dass dort, wo Lister vielleicht 5 Noten in der Sekunde spielt (wenn überhaupt), ein Joe Bonamassa gerne auch 10 - 15 Noten spielt.
Joe Bonamassa Erstaunlicherweise halten sich aber die bisherigen Analogien zu Hendrix oder Stevie Ray Vaughan in erfreulichen Grenzen, denn Bonamassa scheint langsam aber sicher eine individuelle, erkennbar eigene Stilistik in seinem Spiel zu entwickeln. Darüber hinaus scheint er eine diebische Freude daran zu haben, seinen Vorbildern in kleinen Exkursen mitten im Song zu huldigen.
So klingt bei "You Upset Me Baby" ein unverkennbarer B.B. King an, an anderer Stelle gelingt es ihm, mehr nach 'Slowhand' Clapton zu klingen, als dieser heutzutage selbst und immer wieder schimmert sein offensichtliches Hauptmotiv durch, nämlich Jeff Beck.
Da verwundert es nicht, dass ich mir manchmal gut vorstellen kann, dass auch Steve Vai's Plattenlabel "Favoured Nation" eine gute Heimat für Bonamassa gewesen wäre. Die beiden auf einer Bühne, Hölle, da dürften die Außentemperaturen aber nicht so heiß sein wie an diesem Donnerstag!
Joe Bonamassa Darüber hinaus fällt auf, dass die Songs erheblich mehr Raum bekommen, als dies bei den Plattenversionen der Fall ist. Daher gewinnen der außerordentlich kraftvoll auf seine Felle und Becken eindreschende Kenny Kramme und der wunderbar dynamisch vorwärtsgroovende Eric Czar deutlich an Profil, und Joe Bonamassa kann in epischer Breite alle Facetten seines außerordentlichen Könnens zeigen, auf zig verschiedenen Gitarren, wo ich bald den Überblick verliere, sei es die elektrisch verstärkte Akustische, die glitzergold-weiße Strat oder aber ein rotweiß lackiertes Teil, an dessen Gitarrenkopf "Chandler" oder so ähnlich zu lesen steht und auf dem er sich als Slidederrwisch absolute Bestnoten verdient.
Da tropft der Schweiß von Musikern und Publikum in Strömen und geradezu sinnbildlich von den Wänden des Musikclubs.
Herrlich, so stelle ich mir ein gelungenes Rockkonzert vor und überlege krampfhaft, wie das wohl auf einer Festivität Marke 'Rock am Ring' oder 'Hurricane' ankommen würde. Das dortige Zielpublikum kennt Bonamassa überwiegend nicht, aber ich bin der festen Meinung, dass sie ihn gerne kennen lernen würden. Dann hätte er in diesem Lande signifikant mehr Leute seines Alters im Publikum, im "Meisenfrei" ist nämlich die große Mehrheit etwas bis deutlich älter, und Bluesrock wäre vermutlich plötzlich keine "Altherren-wir-wollen-nicht-erwachsen-werden" - Mucke mehr.
Joe Bonamassa Nun denn, alles Hirngespinnste.
Es bleibt noch festzuhalten, dass Bonamassa zum Interview interessanterweise in einem ziemlich neuen Uriah Heep T-Shirt aufkreuzte, während des Konzerts jedoch ein Shirt mit dem Aufdruck seiner ersten Combo trägt, mit der er in der Musikwelt erste größere Duftmarken gesetzt hatte, nämlich Bloodline, mit Berry Oakley Jr. (Sohnemann des Original Allman Brothers Bassisten), Waylon Krieger (Sohnemann vom Doors-Gitarristen Robby Krieger) und Erin Davis (Sohnemann von Miles Davis).
Diese Formation arbeitete auch mit niemand geringerem als Warren Haynes (Gov't Mule, Allman Brothers Band) zusammen und präsentierte eine brodelnde Fusion aus Blues, Boogie, Funk und Southern Roadhouse Rock.
Leider zeitigte dieses Ereignis nur eine einzige CD, die zu allem Überfluss praktisch gar nicht zu bekommen ist. An dieser Stelle appelliere ich eindringlich an die neue europäische Plattenfirma von Joe Bonamassa ("Mascot"/"Provogue"/"Rough Trade"), nicht nur, wie löblicherweise bereits geschehen, seine ersten drei Studioalben plus das Live-Album wiederzuveröffentlichen, sondern sich auch dem Bloodline-Album anzunehmen!
Joe Bonamassa Außerdem ist noch ergänzend zu erwähnen, dass sich sein Live-Repertoire, analog zu den Studioscheiben, durch eine wohlfeile Mischung ausgesuchter Coverversionen und Originalen auszeichnet.
So wird beispielsweise das 1953 als Single veröffentlichte und bereits zuvor erwähnte "You Upset Me Baby" (übrigens, in Abweichung zu den Angaben beim "Blues Deluxe" Album, von B.B. King nicht mit Jules Bihari co-geschrieben, der war nämlich damals der zuständige Artist & Repertoire Manager, sondern mit Joe Josea, der sich auch für die weitaus bekannteren B.B. King Songs "Rock Me Baby" und "Sweet Sixteen" mir verantwortlich zeichnete) in einer Art und Weise gebracht, die selbst den guten alten King of Blues vom Stuhl reißen würde, denn Joe beweist hier sehr eindrucksvoll, dass er mehr drauf hat, als alle Noten dieser Welt in irrsinniger Geschwindigkeit auf einmal zu spielen.
Dann gibt er das Titelstück seines dritten Studioalbums ("Blues Deluxe") zum Besten, im Original auf der 1968er "Truth"-Scheibe von Jeff Beck erschienen, den er, wie bereits angedeutet, definitiv zu seinen ganz großen Haupteinflüssen zählt, geschrieben und damals gesungen von Rod 'the mod' Stewart, und transportiert es äußerst spektakulär ins 21te Jahrhundert.
So richtig heiß wird es dann beim John Lee Hooker Tune "Burning Hell", wo dem Titel sinnbildlich alle Ehre gemacht wird. Ein höllischer Ausbund von Boogierock wird uns da von den drei Teufelsmusikern um die Ohren geknallt, so dass Canned Heat vergleichsweise wie ein Kaffeekränzchen rüberkommen.
Joe Bonamassa

Und gleich im Anschluss gibt es das Titelstück vom Albumdebüt der Jimi Hendrix Experience ("Are You Experienced"), welches er gnadenlos in seine Einzelteile zerlegt, komplett runderneuert und anschließend wieder zusammenfügt, ausgesprochen beeindruckend.
Am Ende gibt es leider nur eine Zugabe, aber wir alle, Musiker wie ZuschauerInnen, stehen nach knapp 100 Minuten tropfnass und glücklich im dampfenden Club, applaudieren uns gegenseitig und können zufrieden feststellen, dass es wirklich Tage gibt, wo alles zusammenpasst!
Setlist: (vermutlich leider nicht ganz vollständig, der Roadie konnte in der Hitze und abgelenkt durch eine "heiße Dame" - oha, also doch! - nicht alle Spickzettel finden):

  1.  Woke Up Dreaming (Joe Bonamassa/Will Jennings) - von "Blues Deluxe", 2003
  2.  Takin' The Hit (Joe Bonamassa/M. Himelstein) - von "So, It's Like That", 2002
  3.  A New Day Yesterday (I. Anderson) - von "A New Day Yesterday", 2000
  4.  Blues Deluxe (R. Stewart) - von "Blues Deluxe", 2003
  5.  Mountain Time (Joe Bonamassa/Will Jennings) - von "So, It's Like That", 2002
  6.  You Upset Me Baby (J. Bihari/B.B. King) - von "Blues Deluxe", 2003
  7.  The River (Joe Bonamassa/B. Held) - von "Had To Cry Today", 2004
  8.  Burning Hell (B. Besman/John Lee Hooker) - von "Blues Deluxe", 2003
  9.  Are You Experienced (Jimi Hendrix)
10.  I Don't Live Anywhere (Joe Bonamassa/M. Himelstein) - von "Blues Deluxe", 2003


Joe Bonamassa - Bremen - Meisenfrei, 23.06.2005
Olaf "Olli" Oetken, 29.06.2005