Mat Bahr / Wahre Worte
Wahre Worte Spielzeit: 45:46
Medium: CD
Label: Moon Sound Records, 2010
Stil: Deutschrock

Review vom 28.07.2010


Wolfgang Giese
Sein wahrer Name im 'richtigen Leben' lautet Dr. Mathias Bahr, und der Doktor ist Zahnarzt in Hamburg.
Möglicherweise haben verschiedene abenteuerliche Praxiserlebnisse dazu geführt, Musik aufzunehmen - naheliegend, wenn man denn ein Stück namens "Zahnarzthelferin" auf der Platte erblickt.
"Alles wird gut", "Nervös" und "Mein Herz klopft" sind auch noch Titel, die mich an einen Besuch beim Zahnarzt erinnern könnten. Aber so eng gezogen ist der Themenbereich nun doch nicht geworden. So lese ich in der Pressemitteilung, dass 2007 ein Schlüsseljahr für Bahr gewesen sein soll: dergestalt, dass eine Beziehung in die Brüche ging. So seien »die Emotionen aus Trennungsschmerz und Sinnkrise Hefe für einen Künstler«, und die großartigsten Songs seien vor diesem Hintergrund entstanden. Aus dem daraus entstandenem Album, diesem hier, ist auch eine Single ausgekoppelt worden: "Wunderschöner Morgen".
Der Musiker Bahr 'entstand' im Alter von 14 mit dem ersten Kontakt zur Gitarre. Sechs Jahre später war es das Banjo, mit dem in der Cool Street Jazz Band Dixieland und Swing vorgetragen wurde. Nach dem Studium folgte ein dreijähriger Aufenthalt in den Niederlanden mit einer Tätigkeit als Zahnarzt. Die Produktion dieses Albums dauerte nebenbei drei Jahre.
Die Texte kommen unverblümt ohne Schnörkel, ohne Metaphern, und widmen sich direkt dem jeweiligen Thema, nur - ob sich 'gut' auf 'Mut ' und 'Wut ' unbedingt reimen muss? Im Gegensatz zum trocken rockenden Start wird es im zweiten Track gleich viel angenehmer und harmonischer. Fröhlicher im angedeuteten Reggae-Milieu bewegt sich "Der Sommer bist du" mit einem Ansatz zum 'Sommerhit'. "Sturm": Dazu fällt mir ein, dass das ein typisches Beispiel dafür ist, deutschsprachige Musik grundsätzlich einzuordnen. Man wird unweigerlich einen 'internationalen Standard' ansetzen wollen, doch gerade auch hier wieder klingt das so 'typisch deutsch', anders kann ich es nicht umschreiben.
Wir sind ja ein wenig gebrandmarkt, ob eines übermächtigen deutschen Schlagers, und alles, was in deutsch gesungen wird, bugsiert stets in 'gefährlicher Randnähe' zum Schlager. "Sturm" (ein Schlager ist das nicht), klingt das nun nach Münchener Freiheit, ist da ein Hauch Michy Reincke? So richtig Rock ist das auch nicht, auch keine Popmusik. Hat sich hier also im Laufe der Jahre tatsächlich die typisch deutsche, deutschsprachige Rock/Popmusik entwickelt? Es scheint so, also stecke ich das hier einmal in diese 'Schublade'.
Balladen gibt es natürlich auch, "Ich fall' in deine Arme", "Zeit für mich" und "Melancho", die für mich angenehmste in diesem Trio. Die "Zahnarzthelferin" kommt mit dem Einsatz des Banjos und im leicht flapsigem Ambiente so, als sollte hier eine kleine Spur Country eingeschoben werden. Originalgeräusche aus der Zahnarztpraxis inklusive Bohrgeräusche und Patientenschrei sollen wohl etwas Humor in die Angelegenheit bringen. Eine Hommage an die angeblich hübsche Helferin ist damit sicher gelungen, oder? (»Keine hält den Sauger so wie sie«).
Insgesamt fällt mir auf, dass der Gesang nicht unbedingt immer eine Stärke ist, so wirkt er meistens recht hart und wenig geschmeidig und eine gewisse Unruhe wohnt ihm inne. Sicher ist es grundsätzlich nicht einfach, deutsche Texte musikalisch umzusetzen, doch vielleicht sollte man sich dann von starren Formen, die am Reim kleben, etwas lösen.
Dazu wirkt die Stimme oft zu akzentuiert, zu bestimmt, zu vordergründig und nicht im Mix genügend 'eingebettet'. Darunter leiden auch ganz besonders die Balladen, die dadurch nicht unbedingt sehr romantisch klingend vorgetragen werden. Es scheint, als wolle uns der Künstler mit einer einwandfreien und klaren Aussprache beglücken. Leider geht das auf Kosten einer gewissen Lässigkeit.
Referenz ist für mich, was eine andere Umsetzung betrifft, immer noch Michy Reincke, der das mit seiner sicher nicht berauschend guten Stimme besser löst. Auch musikalisch ist er mit seiner Band viel flexibler und lockerer, weniger verkrampft, wie es hier bisweilen wirkt. Das kann aber auch daran liegen, dass das Schlagzeug offensichtlich ein programmiertes ist und dafür sorgt, dass die grundsätzlich gut gemachte Umsetzung der Arrangements und der Musik dadurch zu viel Steifigkeit erfährt. Ganz schlimm empfinde ich das bei "Schnee", wobei hier auch noch die Keyboards ein überflüssiges Element erzeugen. Im Ansatz gelungen sind jene Titel, die durch die Bläserarrangements eine angenehme Bereicherung erfahren, und auch "Wunderschöner Morgen" mit seinem Ausdruck von Fröhlichkeit, Ausgelassenheit und Zuversicht oder das druckvolle "Sturm" sind solche Nummern, die aus meiner Sicht absolut entwicklungsfähig sind, ja, das ist ausbaufähig.
Auch "Mein Herz klopft" sollte man noch einmal überarbeiten, der Aufbau des Songs gibt das her. Hier würde ich die Lockerheit der Musik eines Herman Brood als Empfehlung heran ziehen!
Eine gute Abwechslung und ein Hinweis auf weitere Verwendung ist der gelungene Saxofoneinsatz auf "Nervös". Anselm Simon bläst hier eine 'ordentliche Kanne'!
Line-up:
Mat Bahr (Gesang, Chor, Gitarre, Keyboards, Banjo)
Friedrich Schapper (Gitarre, Keyboards, Chor, Programming, Produktion - #1-5, 7, 8, 10, 12)
Simon Gaudes (Keyboards, Programming, Produktion - #6, 9, 11, 13)
Anselm Simon (Saxofone - #9)
Lana Quish (Chor - #12)
Ama Osina Hellhammer (Chor - #9,11)
Henrike Baumgart (Chor - #2)
Sylvia Wahler (Chor - #2)
Xandi Ferreira Godinho (Chor - #13)
Tracklist
01:Alles wird gut (4:00)
02:Wunderschöner Morgen (3:55)
03:Der Sommer bist du (3:34)
04:Sturm (3:42)
05:Ich fall' in deine Arme (4:01)
06:Zeit für mich (3:34)
07:Wahre Worte (2:47)
08:Melancho (2.43)
09:Nervös (3:37)
10:Seelenfängerin (3:27)
11:Mein Herz klopft (2:49)
12:Schnee (3:19)
13.Zahnarzthelferin (4:14)
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