Camper Van Beethoven / La Costa Perdida
La Costa Perdida Spielzeit: 43:04
Medium: CD
Label: 429 Records, 2013
Stil: Indie Folk Rock, Alternative

Review vom 14.05.2013


René Francke
Camper Van Beethoven - Zunächst vermutete ich dahinter eine wilde, rasterzöpfetragende Hippiebande aus den späten 60er Jahren, die aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Mit diesem ersten Gedanken kommt man der Musik dieser Combo zwar schon etwas näher, allerdings greift diese platte Erklärung schlicht zu kurz. Denn hier sind professionelle Multiinstrumentalisten mit jahrzehntelanger Erfahrung und einem Ozean an Ideen am Werk.
Mitte der 80er Jahre schmissen die Herren Victor Krummenacher, Greg Lisher, David Lowery, Chris Pedersen und Jonathan Segel aus dem sonnigen Kalifornien erstmalig den Motor ihres farbenprächtigen Campers an und brausten los. Mit dieser rollenden Villa Kunterbunt musizierten sie die kalifornische Lebensart in einer erfrischend schizophrenen Mischung aus Indie Folk Rock, Punk, Ska, Blues, Country, World Music und ach-was-weiß-ich-noch-für-Genres; sie selber bezeichnen ihr irrwitziges Musikallerlei als »surrealist absurdist Folk«. Humorvoll coverten sie unter anderem Status Quo und landeten mit "Take The Skinheads Bowling" vom Debüt "Telephone Free Landslide Victory" (1985) ihren kommerziell größten Hit. Nach fünf Alben folgte 1990 die Trennung. Die Bandmitglieder gingen fortan verschiedenen Soloprojekten nach (Cracker, Monks Of Doom, Camper van Chadbourne). Bei ihrer Reunion zum Anfang des neuen Jahrtausends blieben sie ihrem ungewöhnlichen Weg treu: 2002 nahmen sie Fleetwood Macs Album "Tusk" von vorn bis hinten komplett neu auf, bevor sie zwei Jahre später mit "New Roman Times" ein anspruchsvolles eigenes Neuwerk präsentierten. Bis zum aktuellen achten Studioalbum, das Mitte Februar 2013 erschien, gingen noch einmal acht lange Jahre ins Land.
Dass Fans nicht noch länger warten mussten, ist einem glücklichen Umstand zu verdanken: Aufgrund einer unerwarteten Regenfront musste ein Konzert kurzfristig verschoben werden. Die freie Zeit nutzten Camper Van Beethoven effektiv im heimischen Studio von Jonathan Segel: »Jonathan hat massig Instrumente bei sich liegen, wir haben einfach losgelegt«, erzählt Lowery über den Beginn der Aufnahmen. Nach zwei Wochen war das Werk im Kasten und bekam den Namen "La Costa Perdida". Die Verlorene/Vergessene Küste also; und diese existiert wirklich (für Geografiefreunde: auf der Landkarte zu finden als Lost Coast). Sie ist der dünn besiedelte nördliche Landstrich Kaliforniens, wo alle Bandmitglieder aufgewachsen und zu Hause sind.
Der Sound von Camper Van Beethoven (CVB) lässt sich am besten mit Adjektiven wie ausgefallen, hypnotisch, aufgeregt, psychedelisch, verspielt und einfallsreich umreißen. Ihre Musik lässt sich nicht fassen, zu reichhaltig und bunt sind die Einflüsse. Zudem verbinden CVB Tiefsinniges mit Selbstironie, altersmilden Charme mit jugendlichem Leichtsinn, mal geben sie etwas vor, im nächsten Moment ziehen sie es wieder zurück.
Der Opener "Come Down The Coast" ist eine idyllisch-seichte, typisch kalifornische Easy-Going-Hymne, die den Zuhörer mit sonnigen Gitarren und verliebten Mandolinenklängen in das Album hineinträgt. Während im ersten Track gleich mehrere Herzdamen mit solch wohl klingenden Namen wie Esmeralda, Magdalena oder Rosalina angefleht werden, mal wieder vorbeizuschauen, gibt man allerdings schon im zweiten Song zu bedenken, dass man "Too High For The Love-in" war. Der Tempowechsel am Ende dieses Songs signalisiert die zunehmende Altersschwäche und körperliche Anfälligkeit, womit die alte Garde um Lowery besonders sich selbst gehörig auf die Schippe nimmt und sich mit den Worten »Bring. To. Me. The. Antivenom. Make me a sandwich.« durch den Rest des Songs schleppt.
Wildwestartig kommt der schnurrend rollende Blues Rock-Song "You Got To Roll" daher. Eine gedämpft-schläfrige Bass-Drum, Klapperschlangenrasseln, Tambourine und eine warme Gitarrenspur lassen vor meinem inneren Auge die Szenerie eines modernen Westerns entstehen. "Someday Our Love Will Sell Us Out" ist mit disharmonisch-leidenden Teufelsgeigen-, Slide Guitar- und Sitar-Melodielinien durchsetzt, dann kommt auch noch ein schräger Zwischenpart daher - da hebt der Zuhörerkopf automatisch in psychedelische Sphären ab.
"Peaches In The Summertime" ist ein violinenangereicherter Ska-Kehrer in knackigen zwei Minuten. Der Beginn von "Northern California Girls" ist eine augenzwinkernde Hommage an den mehrstimmigen Beach Boys-Klassiker "California Girls". In dieser siebenminütigen Perle malt die Band ein Bild vom Ausklingen eines typisch kalifornischen Tages mit Sonnenuntergang, dem Meer und wunderschönen Frauen, die am Strand entlangspazieren. "Summer Days" ist Melancholie pur - diese sonnenverwöhnten Kalifornier könnten in unseren Breiten gar nicht überleben.
Der Titeltrack ist ein Country-Song mit Polka-Beat und der vertonte Witz über den Versuch, in der Fremde mit gebrochenem Spanisch aufzutrumpfen und sich sogleich wie ein Hispano zu fühlen. Und in der Instrumental-Collage "Aged In Wood" kokettieren die Jungs wieder mit ihrem Alter - wahrlich: In Eiche gereift. Somit kann der bis zur Oberkante mit Anmut gefüllte Closer "A Love For All Time" nur eine Liebeserklärung an Kalifornien sein.
Mit ihrer neuen Platte "La Costa Perdida" läuten die ergrauten Herren für alle einen sonnenreichen kalifornischen Musiksommer ein - egal wo und in welcher Jahreszeit man sich gerade befindet. Beim Hören dieser Scheibe werden derartig viele Bilder in meinem Kopf erzeugt: Ich rieche die salzige Gischt der brandenden Meereswellen, ich spüre die sengende Sonne auf meiner Haut, ich höre den Seelenklang und das Lebensgefühl der Westküste aus jeder Note spürbar heraus. Der Camper rollt wieder und schnurrt wie eine spielfreudige Katze, deren Fell in bunten Farben leuchtet.
Line-up:
Victor Krummenacher (bass, baritone guitar)
Greg Lisher (guitar)
David Lowery (guitars,vocals)
Jonathan Segel (violin, guitar, mandolin, organ, vocals)
Michael Urbano (drums, percussion)
Chris Pedersen (drums - #2, 8)
David Barbe (additional percussion)
Alex Kroh (additional percussion)
Sanna Olsson (backing vocals - #1, 10)
Ansley Stewart (backing vocals - #2)
Velena Vego (backing vocals - #2)
Thomas Johnson, Payton Bradford, Carter King, Brannen Miles, Daniel Womack, Dennis Love, Hardy Morris (backing vocals - #6)
Tracklist
01:Come Down The Coast
02:Too High For The Love-In
03:You Got To Roll
04:Someday Our Love Will Sell Us Out
05:Peaches In The Summertime
06:Northern California Girls
07:Summer Days
08:La Costa Perdida
09:Aged In Wood
10:A Love For All Time
Externe Links: