Colosseum / Live05
live_05 Spielzeit: 98:58
Medium: DoCD
Label: Ruf Records, 2010
Stil: Blues, Rock, Jazz

Review vom 19.07.2010


Mike Kempf
Es gibt Musiker/Bands, die schau ich mir, wenn sie mal in Berlin und Umgebung auftreten, immer wieder gerne an! Dazu gehört z. B. die Hamburg Blues Band. Vor allem seit sie mit ihren Gastspielern 'The Voice' Chris Farlowe und Clem Clempson auf Tour sind. Und zwar schon so lange, dass ich überlege, ob der Begriff 'Gastspieler' hier noch eine Bedeutung findet. Während ich die filigrane Fingerfertigkeit von Clempson an seinem Sechssaiter sehr schätze, fasziniert mich das Blues-Gesangsurgestein Farlowe nicht nur wegen seiner Stimmbänder, sondern wegen seines außergewöhnlichen Entertainments, das man heutzutage nicht mehr allzu häufig live geboten bekommt. Wer noch nicht in den Genuss eines solchen Highligths gekommen ist, dem empfehle ich die Rockpalast-DVD. Ein tolles Konzert Farlowes, in dem sein Gesang, Witz, Charme und Dialog mit den Fans prächtig dokumentiert ist. Weiterhin empfehle ich, unsere Tourdatenbank regelmäßig zu checken, da die Beiden, die seit 1970 Colosseum angehören, im Oktober und November diesen Jahres in Deutschland mit der Band auf Tour sind! Es sei noch erwähnt, dass sich die Band 1971 auflöste, um sich 1994 wieder, auf Initiative Jon Hisemans, zu vereinen, um gemeinsam auch im Rockpalast aufzutreten. Zwar rief Hiseman zwischenzeitlich Colosseum II ins Leben, u.a. mit
Gary Moore, diese hatten aber nur wenig mit dem originalen Ursprungs von Colosseum I gemeinsam. Genug der Vorgeschichte, es wird Zeit den Doppeldecker selbst berichten zu lassen, der zwölf Songs und zwei kleinere Intermezzos in knappen 99 Minuten aufweist und dabei die Sahnestücke aus der Sommertour 2005 bietet, die der bekannte Toningenieur Miles Ashton digital auf 24 Spuren aufzeichnete. Für die Songauswahl zeigen sich Clempson und Dave Greenslade verantwortlich, die darauf achteten, dass dem Hörer das Gefühl vermittelt wird, ein komplettes Konzert in einem Guss zu erleben.
Nach "Showtime", in dem Farlowe in 34 Sekunden seine musikalischen Mitstreiter ankündigt, brandet hintergründig tosender Applaus auf. Richtig los geht's mit "Come Right Back", bei dem 'The Voice' einige Duftmarken hinterlässt, seinem Kehlkopf alle Höhen und Tiefen rauskitzelt und sich dabei von den Instrumentalisten aus einem Gemisch von Blues und Jazz glänzend begleiten lässt. Allen voran an dem soften Gebläse, Barbara Thompsons. Diese glänzt auch bei "Theme For An Imaginary Western" mit astreinen Saxophon-Soli, die nur die Note 1 verdienen! Zum Schluss setzt Clempson zu einem wahren Hochgenuss an Gitarrenläufen an, die sehr gekonnt, aber nicht aufdringlich wirken!
Das gleiche gilt für die Rhythmiker, obwohl sich stets soft im Hintergrund bewegend, sie ihr herausragendes Können unter Beweis stellen. Danach gibt sich der Frontmann die Ehre und heitert mit seinen witzigen Ansagen die Anwesenden auf, die die Showeinlagen wohlwollend aufsaugen und zum Teil mit einem großen Gelächter quittieren.
Greenslades erstklassige Keyboardeinlagen eröffnen "Rope Ladder To The Moon", zwischendurch mischt sich Thompsons hervorragendes 'Gebläse' ein und Farlowe sorgt fürs perfekte Vortragen der Textpassagen. Im Prinzip ist der Tastenmann federführend für das Teil, obwohl er immer wieder Barbaras Saxofon genügend Spielraum einräumt, damit auch sie einige Highlights setzen kann und Farlowe zum Ende sein bekanntes 'Nachäffen' diverser Töne der Instrumentalisten demonstriert. "January's Search" heißt die folgende Nummer, die sich ziemlich ungezwungen im Jazz-Fahrwasser bewegt, sehr abwechslungsreich rüberkommt und bei der Thompson wahre Bläserattacken in die Waagschale wirft, die zum wiederholten Male die Ausnahmestellung der sympathischen Musikerin unterstreicht! Ob es aber bei jedem Musikfeund gut ankommt? Ich sag's mal so: Man sollte sehr offen sein gegenüber Jazz, Fusion oder experimenteller Musik, sonst könnte die Stimmung leicht in die Gegenrichtung umkippen. Colosseum-Fans kommen auf alle Fälle auf ihre Kosten, ebenso Liebhaber die sich dem Stil eines Pat Metheny, um nur einen zu nennen, zugehörig fühlen! Irgendwie logisch, dass sich die Attribute auch bei "February's Valentyne" wiederholen, nur dass hier ein chorähnlicher Gesang begleitet und die einzige Frau der Combo sich die Lunge ausbläst! Klasse Barbara! "The Grass Is Always Greener" beschließt in über elf Minuten das erste Scheibchen, das nur aus Songmaterial des am 11. Juni 2005 im Stuttgarter Theaterhaus stattgefundenen Gigs bietet. Und wieder gibt's reichlich experimentellen Jazz Rock auf die Gehörnerven, an dem der anspruchsvolle Hörer seine helle Freude haben kann. Für tätowierte, bierliebende, langhaarige Lederkuttenträger und 'Schwermetaller' dürften die Tonkonserven eher nichts sein. Im Übrigen steht der Finalsong des ersten Teils ganz klar im Schatten von Clempson, der ebenfalls sein Ausnahmekönnen als Gitarrist fett untermauert und etliche, qualitativ hochwertige Solis zelebriert!
Disk 2 weist nur Songs aus dem Innsbrucker Treibhaus vom 30. Juni 2005 auf und beginnt so, wie die erste aufgehört hat. Denn bei "Those About To Die" steht erst das Geklampfe von Clempson im Mittelpunkt ehe Dave Greenslade an seinen Keys das Zepter übernimmt, um es später an Barbaras Saxophon weiterzureichen, sie es aber letztlich gemeinsam nach Hause fahren. Nachdem man Farlowe eine Pause gönnte, darf dieser beim nahtlosen Übergang zu "Stormy Monday Blues" seine veredelten Stimmbänder zum Einsatz bringen. Diesmal kommen auch Fans des traditionellen Blues auf ihre Kosten, denn hier wurde auf nur wenige Jazz-Elemente gesetzt. Letztlich demonstriert der gute, alte Chris, warum er sich schon in jungen Jahren den Spitznamen 'The Voice' einhandelte.
Auch "No Pleasin'" und "Tomorrows Blues" bewegen sich mehr im Blues und bieten dem Sänger allerbestes Terrain um seine Gesangeskünste glanzvoll in Szene zu setzen. Danach ist Showtime für Drummer Jon Hiseman angesagt, der in knapp drei Minuten seine Felle in Schallgeschwindigkeit beackert und schließlich unbemerkt das Finale mit "Lost Angeles" einläutet. Hier werden in über sechzehn Minuten alle Register des Könnens der Band gezogen und zum wiederholen Male experimentaler Jazz Rock geboten, bei dem sich jeder musikalische Individualist noch mal so richtig an seinem Spielgerät austobt!
Fazit: Dem Konsumenten werden gute eineinhalb Stunden Musik auf hohem Niveau geboten! Man sollte sich beim Abspielen des Doppel-Albums Zeit lassen, um die Feinheiten genaustens rauszuhören. Jeder Musiker für sich steht schon für hohe Qualität, die sich auch in der Gesamtheit gut widerspiegelt! Ob sie aber die Dynamik aus ihren Anfängen erreichen, da bin ich ehrlich gesagt etwas am Zweifeln. Immerhin sind fast vier Jahrzehnte vergangen! Ein vorheriges Reinhören kann da behilflich sein, um sich selbst einen Eindruck zu verschaffen. Wie bereits oben erwähnt, werden Hard- und Metal-Rocker wahrscheinlich Verdauungsschwierigkeiten bekommen. Für den Blues-Fan vielleicht, für den Jazz-Freund sind die Scheiben ein Muss! Ich jedenfalls habe mir den 23. Oktober schon mal notiert und werde mir die Kapelle in der Berliner Kulturbrauerei ansehen! Nun überlege ich ernsthaft, ob ich unserer Chefetage nicht ein paar Euro 'Taschengeld' rausleiere, damit ich vielleicht meinen neuen 'Star', Barbara Thompson, nach dem Gig zu einem Diner einladen kann, um ihr dabei interviewtaugliche Fragen zu stellen! Auch wenn es nicht klappen sollte: Barbara, du hast einen neuen Fan gewonnen! Was Farlowe und Clempson angeht, stelle ich für mich fest, dass sie mir bei der Hamburg Blues Band noch besser gefallen. Hier geht's einfach bluesiger zu, findet daher bei mir mehr Gefallen und ist einfach bekömmlicher als das eben Gehörte.
Line-up:
Chris Farlowe (vocals)
Clem Clempson (vocals, guitars)
Mark Clarke (vocals, bass)
Dave Greenslade (Hammond organ, electric piano)
Barbara Thompson (sop, alto, tenor saxes)
Jon Hiseman (pearl drums, paiste cymbals)
Tracklist
CD 1:
01:Showtime
02:Come Right Back
03:Theme For An Imaginary Western
04:Lights
05:Rope Ladder To The Moon

The Valentyne Suite:
06:January's Search
07:February's Valentyne
08:The Grass Is Always Greener

CD 2:
01:Those About To Die
02:Stormy Monday Blues
03:No Pleasin'
04:Tomorrows Blues
05:Drum Intro To LA
06:Lost Angeles
Externe Links: