Conception / In Your Multitude
In Your Multitude Spielzeit: 46:05
Medium: CD
Label: Noise Records, 1995
Stil: Progressive Metal


Review vom 21.12.2009


Boris Theobald
Es gibt und gab zahllose gute, exzellente und herausragende Gruppen im Bereich Progressive Metal - aber es können auch aus letzterer Kategorie immer nur ganz wenige sein, die als bahnbrechend und richtungsweisend in den Kanon der Musikliteratur eingehen. Conception gehören zu jenen Bands, deren Schaffen sich größtenteils im Schatten anderer abgespielt hat, die in Relation zum kommerziellen 'Erfolg' deutlich überqualifiziert waren.
Das macht sie heute zu einem fetten Kreuz auf der musikalischen Schatzkarte. Progressive Menschen mit besonderen Ansprüchen heben zunächst die 'Schätze' aus dem Jahren 1991 und 1993, "The Last Sunset" (1994 wiederveröffentlicht) und "Parallel Minds" - und dann "In Your Multitude" aus dem Jahr 1995. Für mich handelt es sich dabei um das stärkste von vier Alben der Norweger, deren bekanntestes Bandmitglied, Sänger Roy Khan, nach dem (vorläufigen) Aus von Conception mit Kamelot erst richtig Karriere machte.
War "Parallel Minds" ein Prog Metal-Werk der 'alten' Schule, deutlich von Bands wie Queensrÿche inspiriert - großartig, aber vielleicht ein paar Jahre zu spät - bedeutete "In Your Multitude" einen musikalischen Quantensprung. Stilistisch war es kaum eine Richtungsänderung, sondern vielmehr eine Art Perfektion. Das Flair des 80er-Jahre-Metals ist verschwunden. Die starke Produktion des Albums, von keinem Geringeren als Tommy Newton gehandelt, klingt zeitlos. Es wird viel mit Effekten gearbeitet, die einen ab der ersten Hundertstelsekunde mitnehmen - die knisternde Spannung aus Streicher-Tremolos à la Hitchcocks "Psycho" und nervösen Dschungel-Trommeln zu Beginn von "Under A Mourning Star".
Das ist nur der erste Vorgeschmack des detaillierten Synthesizer-Feintunings von Tour-Keyboarder Trond Nagell-Dahl, der als Gastmusiker mitwirkt. Nicht nur was die Effekte angeht, sind Conception wieder mit den Kreativ-Vorreitern Queensrÿche 'gleichgezogen'. Die ganzen, perfekt austarierten Atmosphären eines sehr ernst und nachdenklich klingenden Albums erinnern schon an "Promised Land" von 1994. Doch dieses Mal ist man weit davon entfernt, auf vorgezeichneten Wegen zu wandern - "In Your Multitude" ist viel mehr. Es ist technisierter, 'proggiger', und dennoch völlig unverdächtig, in die Dream Theater-Kerbe zu schlagen.
Es kommt eben etwas Unvergleichbares dabei raus, wenn das kongeniale Duo Khan (alle Lyrics) und Østby (u.a. auch Ark, Jørn Lande) auf seinem kreativen Höhepunkt agiert. Khans eindringliche, schmerzerfüllte Stimme (mit Opern-Ausbildung!) jagt einem ein ums andere Mal eiskalte Schauer über den Rücken, sei es expressiv und elegisch in hohen Höhen wie bei "Missionary Man", oder unheilschwanger und dämonisch im düsteren "Guilt". Østby überzeugt zugleich mit messerscharfen und teuflisch groovenden Heavy-Riffs, die in bestechender Weise Rhythmik und Melodie miteinander verbinden. Eine Funktionstrennung von Rhythmus- und Lead-Gitarre ist praktisch nicht existent - diese Musik steht drüber. Heraus kommen betörende Heavy-Hooklines mit gehobener rhythmischer Dimension - Nackenbrecher zum Mitzählen.
All das verpacken Conception in kompakten Songs, in denen so viel mehr drinsteckt, als es die bloße Minutenzahl nur im Geringsten erahnen lässt. 'Es auf den Punkt bringen', die Eingebungen in starke Songs zu verpacken - auch das ist eine Kunst, welche die Band perfekt beherrscht; mit straighten Refrains, die brutal ins Ohr gehen. Nur mit "A Million Gods" bricht die Band aus dem straffen Schema aus und zeigt ganz exponiert, wie Technik-affin sie ist. Hier wird das bewundernswerte Zusammenspiel der Rhythmussektion komplett ausgereizt, und die Spannungskurve beinhaltet sowohl kleine Solo-Duelle und -Duette zwischen Keyboard und Frickelgitarre als auch Breaks mit spanischer Akustikgitarre in ausgedehnten Instrumentalpassagen.
Schwachpunkte sind auf "In Your Multitude" keine auszumachen, auch nicht da, wo man 'noch' stark nach Queensrÿche klingt (die Powerchords von "Retrospect"!!) oder 'schon' nach dem Power Metal, den Khan drei Jahre später mit Kamelot spielte, wie beim Double Bass-Brecher "Some Wounds". Nein, diese Stücke tragen viel mehr zur Vielschichtigkeit der Platte bei, bei der am Ende alles stimmt, sogar die Dramaturgie!
Mittendrin glänzt die weniger als drei Minuten lange, aber sensationell schöne Akustik-Ballade "Sanctuary", zu der mit außer Queensrÿches "I Will Remember" kein Vergleichswert einfällt. Und ganz am Ende des 46 Minuten langen Albums steht mit dem Titeltrack ein langsames Stück in einer bezaubernd-fesselnden Power-Atmosphäre.
Unterbewertet waren Conception eigentlich nie. Doch die Meinung der Kritiker allein hat eine Band noch selten aus ihrem unverdienten Schattendasein gehievt - da gehört eben noch das Glück dazu, ausgerechnet zur richtigen Zeit am richtigen Ort für die Ohren der richtigen Leute die richtige Musik zu machen. Schade für Conception, die trotz kaum wahrnehmbarer kommerzieller Karriere eine musikalische Entwicklung auf der Überholspur hingelegt hatten. "Parallel Minds" hinkte anno 1993 stilistisch noch etwas hinterher (obwohl ich auch Leute kenne, die jenes Album für das stärkste der Band halten). Mit dem nahezu 'überproduzierten', experimentell klingenden "Flow" waren sie anno 1997 ihrer Zeit dann schon um Jahre voraus. "In Your Multitude" war der Volltreffer dazwischen, der bis heute ein Geheimtipp geblieben ist - zehn Millimeter meines CD-Regals, an denen ich höchst ehrfürchtig vorbeischreite.
1995 gab es übrigens eine Wiedervereinigung. Amlien, Heimdal, Khan und Østby traten beim Prog Power USA und einem Festival in Norwegen auf. Ob es das letzte Lebenszeichen von Conception war?
Man darf gespannt sein...
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Line-up:
Tore Østby (guitar)
Roy S. Khan (vocals)
Ingar Amlien (bass)
Arve Heimdal (drums)

Guest musician:
Trond Nagell-Dahl (keyboard)
Tommy Newton (guitar - # 4)
Tracklist
01:Under A Mourning Star (5:09)
02:Missionary Man (3:39)
03:Retrospect (3:12)
04:Guilt (3:46)
05:Sanctuary (2:57)
06:A Million Gods (7:44)
07:Some Wounds (4:35)
08:Carnal Comprehension (4:21)
09:Solar Serpent (3:56)
10:In Your Multitude (6:39)
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